30.Sonntag im Jahreskreis – C

gehalten in St. M. Loreto am 26. Oktober 1980

 

"Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten..." So fängt Christus das Gleichnis im heutigen SoEv zu erzählen an, mit welchem er jenen Menschen etwas ganz Wichtiges sagen wollte, "die davon überzeugt sind, selber gerecht zu sein und dabei alle anderen verachten". Dann schildert der Herr unübertrefflich den stolzen Pharisäer und den demütigen, schuldbewussten, reumütigen Zöllner.

Lassen wir diese Schilderung der beiden, die da in den Tempel hinaufgingen, um zu beten, zunächst einmal beiseite.

Mir hat es gleich der erste Satz allein schon angetan: "Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten".

Da schaue ich mir jetzt im Geiste die Katholiken in unserem Lande an und da sehe ich 1. jene, die sonntags nicht mehrhinaufgehen in den Tempel, in die Kirche,um zu beten. Das Gebot Gottes lautet: Du sollst den Tag des Herrn heiligen, auch durch Teilnahme am Sonntagsgottesdienst. Aber da gibt es bei uns in Österreich viele Menschen, 60-70% der Katholiken, die den Sonntag nicht mehr heiligen durch Teilnahme am Sonntagsgottesdienst, die also nicht mehr in den Tempel, in die Kirche gehen, weder werktags, wo sie nicht verpflichtet sind, noch sonntags, wo sie verpflichtet sind. Sie fühlen sich erhaben über eine sogenannte Sonntagspflicht und machen vielfach den Sonntag, den Tag des Herrn zu einer Karikatur Wie viele Ausreden gibt es da, wenn es gilt, an der Sonntagsmesse teilzunehmen. Man hat für alles Mögliche und Unmögliche Zeit, nur nicht für Gott, Seele und Ewigkeit. Dann wird man sich einmal schwer wundern, wenn Gott im persönlichen Gericht in der Todesstunde sagt: „Weiche von mir, du Verfluchter, ins ewige Feuer, denn du hast für mich nie Zeit gehabt. Jetzt habe ich für dich keine Zeit, die ganze Ewigkeit hindurch!Wenn man so in einem Wohnblock einer Großstadt wohnt und der einzige Kirchgänger am Sonntag ist, macht man so seine Beobachtungen: da muss man am Sonntag den Hund spazieren führen, darum kann man unmöglich in den Sonntagsgottesdienst gehen; da muss man gerade am Sonntag sein Auto säubern, pflegen und reparieren, da muss man gerade am Sonntag die Waschmaschine laufen lassen und die Wäsche waschen und bügeln; ganz unmöglich, dass man da für den Sonntagsgottesdienst Zeit hätte, der einem noch dazu nichts gibt.

Ich sehe dann 2. jene im Geiste vor mir, die zwar hinaufgehen in den Tempel, aber nicht um zu beten. Auch sie machen den Sonntagsgottesdienst zur Karikatur: Man geht in die Kirche um sich mit Freunden und Freundinnen zu treffen; man geht in die Kirche zur Modeschau; man geht in die Kirche am Sonntag zu einem Plauderstündchen; ja, ich habe es auf früheren Seelsorgsposten erlebt, dass dieses Plauderstündchen zum Schweinehandel und Kuhhandel herhalten musste. Man geht - so erlebe ich es oft in unserem Dom - in den Gottesdienst um ein kirchenmusikalisches Konzert zu erleben; statt des Gebetbuches hat man womöglich, wie ich beobachten konnte, die Partitur der betreffenden Messe von Mozart, Beethoven oder Schubert in der Hand.

Auch das habe ich an einem Ort erlebt: Junge Menschen gingen - von den Eltern dazu verpflichtet - in den Sonntagsgottesdienst, aber nicht zum Beten, sondern zu faulem Zeitvertreib. Jugendliche, die sich auf der Empore der Kirche während des ganzen Gottesdienstes nur unterhielten, auch mit scheußlichen Pornozeichnungen, die sie in die Kirchenbänke schnitzten; und als ich den Vernünftigsten unter ihnen fragte: "Was tut ihr denn eigentlich während der Sonntagsmesse?" Da war die Antwort: "Halt warten, bis es gar ist!"

Jetzt kommen wir 3. zu jenen, die am Sonntag hinaufgehen in den Tempel, um zu beten, ja, aber da sind wir nun bei den zwei Haltungen, die Christus so trefflich geschildert hat einerseits am Pharisäer, anderseits am Zöllner:

  1. Der Pharisäer geht am Sonntag in den Tempel, um zu beten, aber nur um sich selbst dabei anzubeten in Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit und stolzer Verachtung aller anderen: Satte Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit zeigt er im Hinblick auf seine Gesetzestreue, im Hinblick auf sein wöchentliches Fasten und im Hinblick auf seine Freigebigkeit; es ist eine richtige Litanei, die er da dem lieben Gott vorbetet: "Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner da hinten Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens, ich, ich, ich.“ Zur falschen Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit und stolzen Verachtung der anderen kommt bei diesem Pharisäer auch noch die falsche Selbstgenügsamkeit: Er braucht Gottes Barmherzigkeit und Gnade nicht, weil er ja doch auf alle Fälle mit Gottes Anerkennung und Lohn rechnen kann. "Schließlich bin ja nicht ich Gottes Schuldner, sondern umgekehrt, Gott schuldet mir Anerkennung und Lohn. Der Herrgott muss ja schließlich froh sein, dass ich in einer Zeit, wo die Zahl der Sonntagsgottesdienstbesucher immer kleiner und kleiner wird, mich immer noch - wenigstens gelegentlich - aufraffe und in die Kirche gehe. Und schließlich bin ich ja ein Muster von einem guten Katholiken: Ich habe nichts gestohlen, niemand umgebracht und niemand betrogen..." Er denkt nicht daran, dass es das größte und erste Gebot gibt, das Gebot der Liebe, und dass es auch Unterlassungssünden gibt, die oft viel schwerer sind als alle möglichen Tatsünden! Und er beachtet vor allem nicht, dass der Stolz die schlimmste Sünde ist!
  2. Der Zöllner ging auch hinauf in den Tempel, um zu beten; er war sich dabei aber sehr klar seiner Sündhaftigkeit Gott gegenüber bewusst; er war demütig und aufrichtig genug, um seine Armseligkeit und Sündhaftigkeit auch einzugestehen in aller Reue und Demut. Er schlug an seine Brust und betete ein sehr kurzes, aber vielsagendes Gebet: "Herr, sei mir armen Sünder gnädig und barmherzig! Ich verdien es eigentlich, dass Du mich von Deinem Angesicht verwirfst und auf ewig verdammst! Verdient hätte ich es wahrlich. Aber ich vertraue auf Deine unendliche Barmherzigkeit, in der Du wie ein guter Hirte dem verlorenen Schaf nachgehst und es suchst und suchst, bis Du es findest!" Dieser Zöllner wusste, dass dem unendlich großen Gott gegenüber Demut und Reue die einzig richtige Haltung sind, vor dem wir arme Knechte sind, die allen Grund hätten, sich vor Ihm, dem unendlich Großen auch äußerlich durch das Niederknien klein zu machen.

Der Vorsatz, den wir alle miteinander fassen sollten: Wenn wir Gott gegenübertreten im Gebet, beim Gottesdienst, dann geziemt es sich, dass wir uns unserer Sündhaftigkeit bewusst sind, demütig und reumütig sind und zuerst immer ganz ehrlich unsere Schuld bekennen.

Nur der demütige und reumütige Zöllner ging gerechtfertigt aus dem Tempel weg nach Hause, der stolze Pharisäer aber nicht. Ich bin überzeugt: Der Stolz ist etwas vom Ekelhaftesten in den Augen Gottes, der Stolz ist die Kette im Kranz aller Laster, die Demut aber umgekehrt ist die Kette im Rosenkranz aller Tugenden. Das gläubige Volk weiß um die Erbärmlichkeit und Hässlichkeit des Stolzes und es weiß darum, dass mit dem Stolz fast immer die Dummheit verheiratet ist: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz, lautet ein Sprichwort. Leere Kornähren stehen hoch, volle Ähren und volle Köpfe, in denen wirklich etwas steckt, neigen sich recht bescheiden.

Ich meine, das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner möchte uns nicht nur die rechte Gebetshaltung beibringen, sondern auch die rechte charakterliche Haltung Gott und den Mitmenschen gegenüber: Was sind wir denn auch schon und stünden wir, was Titel und Beruf betrifft, noch so hoch? Wie ist das bei einem Kaiserbegräbnis in der Kapuzinergruft in Wien immer sinnvoll zum Ausdruck gebracht worden: "Wer begehrt Einlass?" - "Der Kaiser von Österreich, der König von Ungarn..." - "Den kenne ich nicht!" Immer weniger klangvolle Titel des verstorbenen Herrschers wurden genannt. Immer wieder hieß es: Den kenne ich nicht. Sogar als zuletzt nur noch der Name des verstorbenen Herrschers genannt wurde, hieß es: Den kenne ich nicht! Erst als es hieß: Ein armer Sünder begehrt Einlass!", da wurde aufgetan.

Christus schließt das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner mit dem bekannten Satz: Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden! Mit diesem Satz schließt auch das heutige SoEv.

P. Igo Mayr SJ erzählte einmal, er habe eine Köchin gekannt, die sich am Herd gerne ihre Gedanken über den Lauf der Dinge und der Welt gemacht hat. Eines Tages machte sie den Ausspruch: "Wenn es in der Ewigkeit drüben nur nicht wieder so zugeht wie da auf der Welt! Da werden halt auch die Großen und Reichen vorn dran sein, und wir andern müssen hinten stehenbleiben?!" Ja, so ist es doch in der Welt hier herunten. Wer da recht frech zu reden weiß, wer seine Ellbogen gebraucht und sich rücksichtslos den Weg bahnt mit Gewalt und List und viel Geld, der kommt voran. Der Kleine, der Bescheidene aber wird einfach an die Wand gedrückt. Wie tut es da wohl, zu wissen, dass im Gottesreich ganz andere Regeln und ganz andere Maßstäbe gelten.

Nein, ihr lieben, guten, kleinen Leute, ihr braucht wirklich keine Angst zu haben: Gott lässt sich durch keine menschliche Größe und durch keine großen Sprüche irremachen, er schaut den Menschen nicht auf das Äußere, sondern ins Herz. Einmal werden wir erleben, was jene kleine, demütige Magd, Maria, in ihrem Preislied, im Magnifikat, als eigene Erfahrung ausgesprochen hat: "Die Mächtigen stürzt Er vom Thron und erhöht die Niedrigen!" Im Gottesreich geht es gerade umgekehrt wie in der großen Welt zu. Wer da sich selbst erhöhen und auf den ersten Platz vordrängen möchte, vielleicht gar mit dem Hinweis auf den gefüllten Geldsack oder auf einen klingenden Namen, den wird Gott erniedrigen. Wer aber sich selbst erniedrigt, für dessen Erhöhung wird Gott gründlich Sorge tragen. "Sich selbst erniedrigen", das bedeutet nun nicht jene bucklige Demut, in der einer die Gaben und Talente leugnet, die er von Gott bekommen hat, oder das Gute, das er mit Gottes Gnade hat leisten dürfen. Es bedeutet nur, dass einer sich bewusst bleibt: "Alles Gute kommt von oben", auch das Gute, das ich an mir habe, ist Gottes Geschenk. So kann ich auch das zukünftige Gute, Gottes Reich und Gottes Seligkeit, nur wie ein Bettler von Gott in Empfang nehmen als Gnadengeschenk göttlicher Freigebigkeit.

Zwei Menschen vor Gott. - Beide stehen im Tempel, beide glauben zu beten. Aber, so verschieden ihre äußere und erst recht ihre innere Haltung ist, so verschieden ist auch die Wirkung ihres Gebetes. Pharisäer und Zöllner - es darf keine Frage sein, wem von den beiden Betern wir gleichen wollen?! Amen.

Zu seinem Diamantenen Priesterjubiläum fügte Prälat Holböck bei seiner Predigt hinzu:

 

Der Pharisäer ist ein klassisches Beispiel, wie man es vor Gott nicht machen soll, wenn man ihm zu danken hat. Er dankt Gott, ja, aber wie? Mit erbärmlichem Selbstlob: "O Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die andern, wie die Räuber, Betrüger und die Ehebrecher oder wie dieser Zöllner dahinten. Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe den 10. Teil meines ganzen Einkommens für den Tempel her...Ich, ich, ich" So lautet die Litanei der falschen Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, in der er meinte, alles, was er zustandebringe, sei ausschließlich seine eigene Leistung und auf Gott und seine Gnade sei er nicht angewiesen.  Wir aber müssen im Rückblick auf unser Leben zugeben: ALLES IST GNADE! – von Geburt und Taufe und von der Berufung angefangen – und Gott gegenüber sind wir nur arme Sünder, die auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes total angewiesen sind. Ob beim silbernen oder goldenen oder diamantenen Priesterjubiläum können wir Priester immer nur in aller Ehrlichkeit und Demut spreche? "Wir danken Dir, o Herr, dass Du uns berufen hast ,vor Dir zu stehen und dir zu dienen" Vor Gott als Priester zu stehen, vor Gott und für Gott und unseren Herrn Jesus Christus einzustehen und Ihm zu dienen. Auf den verschiedenen Posten, auf die mich die kirchlichen Vorgesetzten gestellt haben, habe ich es  recht und schlecht zu tun versucht und habe der Kirche gedient als nutzloser Knecht. Es war Gnade, alles war Gnade: "Nie kann, o Herr, ich danken Dir genug!“ Und mit dem reuigen Zöllner spreche ich: "O Gott, sei mir armen Sünder gnädig und barmherzig. Amen.