Allerheiligen
gehalten in St. M. Loreto am 1.11.1989
Im nic.-konst. Glaubensbekenntnis, dem eigentlichen Meß-Credo, bekennen wir u.a. auch, dass wir an die "eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" glauben. Heute, am Allerheiligenfest, sollten wir einmal an die Eigenschaft der Heiligkeit dieser Kirchen Christi, der anzugehören wir das Glück und die Gnade haben. In unserer Zeit reden, kritisieren und schimpfen so viele über die Kirche, man macht sie in sinnloser Kritik schlecht und nennt sie nicht bloß eine Kirche der Sünder, was sie ja sicher auch ist, man nennt sie sogar eine sündige Kirche, was falsch ist. Sie ist die „heilige Kirche“, weil ihr Stifter und Gründer der Heilige schlechthin, der Sohn Gottes Jesus Christus ist, und weil sie ihren Gliedern eine heilige Lehre zu verkünden und heiligende Gnadenmittel anzubieten hat. Dazu kommt noch, dass die Kirche auf Grund ihrer heiligen Lehre, die sie zu verkünden hat, und auf Grund der heiligenden Gnadenmittel, die sie - vor allem in den Sakramenten und Sakramentalien – zu spenden hat, auch zahllose Heilige hervorgebracht hat und immer noch hervorbringt und darum nicht bloß eine Kirche der Sünder, sondern vor allem auch eine Kirche der Heiligen ist.
Wie viele Heilige hat doch die Kirche durch die in ihr entstandenen Orden hervorgebracht. Ich denke da etwa nur an die auf den hl. Franziskus zurückgehenden Orden. Da ist mir neulich bei einem Einkehrtag, den ich in Altötting für den Marianischen Segenskreis zu halten hatte, ein Büchlein in die Hände geraten über alle franziskanischen Seligen und Heiligen. Ich habe gestaunt, wie groß diese Zahl ist. Gleiches kann man von den Seligen und Heiligen der benediktinischen und dominikanischen Ordensfamilien sagen. Von den Orden ganz abgesehen, wie viele Menschen sind auch im Klerus, im Bischofs- und Weltpriesterstand zu vollendeter Heiligkeit herangereift. Aber auch zahlreiche Laien, Männer, Frauen, sogar Kinder haben das Ziel der Heiligkeit erreicht. Ja, die Kirche ist nicht bloß eine Kirche der Sünder, sie ist auch eine Kirche der Heiligen, die Kirche ist Mutter von zahllosen Heiligen aus allen Nationen, Altersstufen und Berufen, wie die Selig- und Heiligsprechungen der vergangenen Jahre besonders eindringlich zeigen. Seien wir dankbar dafür und stolz darauf, dass die Kirche, der wir angehören, nicht bloß eine Kirche der Sünder, sondern doch auch eine Kirche der Heiligen ist und dass keine andere menschliche Gemeinschaft so viele und so bedeutende Menschen hervorgebracht und geformt hat, die wirklich ganz und gar dem entsprochen haben, was man unter Heiligkeit versteht.
Aber was versteht man denn überhaupt unter Heiligkeit? Wer sind denn die Heiligen? Was haben sie uns zu sagen?
Es hat Verfasser von Heiligenlegenden gegeben, die das Bild der Heiligen entstellt und aus ihnen seltsame, blutleere Wesen gemacht haben. Die wirklichen Heiligen waren anders, sie waren Menschen aus Fleisch und Blut wie wir, aus unserem Holz geschnitzt. Das II. Vat. Konzil nennt die Heiligen einmal großartig "Schicksalsgenossen unserer Menschlichkeit". Wie kein Künstler vom Himmel fällt, so auch erst recht kein Heiliger. Auch sie waren Ringende und Reifende, die sich durch das Böse und Schlechte hindurchkämpfen mussten - genau wie wir -, aber sie haben es eben wirklich getan; auch die Heiligen hatten ihre Fehler, Schwächen und Leidenschaften und ein Heiliger ohne Leidenschaft wäre eine armselige Gipsfigur, aber die Heiligen haben ihre Triebe gemeistert und ihre Leidenschaften für das Gute eingesetzt. Ein konkretes Beispiel dafür: Da ist vor Jahren von einem ausgezeichneten italienischen Wissenschaftler ein Buch über Graphologie erschienen. Darin untersucht dieser Wissenschaftler hochinteressant – glaubwürdig auch eine ganze Reihe von Schriftproben von Heiligen. Er weist u.a. nach, dass der liebenswürdige Jugendapostel des vorigen Jahrhunderts, der hl. Don Bosco, wie aus dessen Schrift für den erfahrenen Graphologen zu erkennen sei, von Natur aus die Neigung zur Homosexualität gehabt habe. Vielleicht hat Don Bosco um diese seine Leidenschaft gewusst, er hat aber diese Leidenschaft mit Hilfe der Gnade Gottes nicht bloß niedergerungen, so dass er niemals in dieser Richtung sündigte, er hat vielmehr kraft dieser Leidenschaft sein ganzes, weites Herz der gefährdeten männlichen Jugend mit Einsatz gewidmet, um sie in der Stadt Turin und weit darüber hinaus durch sein großes, weltweites Erziehungswerk wieder auf die rechte Bahn zu führen. So gelang es ihm, aus den Reihen seiner von ihm seelsorglich betreuten Buben gar manche nicht bloß zum Priestertum, sondern zur Heiligkeit zu führen; einer der Buben Don Boscos ist sogar heiliggesprochen worden: der hl. Dominikus Savio.
Beachten wir aber: Die Heiligen haben nicht - wie Stoiker - versucht, mit ihren Leidenschaften aus eigener Kraft fertig zu werden, sie haben vielmehr ihre menschliche Armseligkeit vor Gott hingetragen, betend und büßend. Sie gehören - wie es in der GehOffb 7,14 heißt - zur Schar jener, "die aus der großen Drangsal kommen und ihre Kleider weiß gewaschen haben im Blute des Lammes".
Heiligsein ist nicht eigene Leistung, sondern ein Geschenk göttlicher Güte und Barmherzigkeit. Alle Heiligkeit gründet in Gott, dem Allheiligen. Von Ihm aber schreibt der hl. Paulus, der selbst aus einem Sünder ein Heiliger geworden ist: "Das ist der Wille Gottes, dass ihr heilig seid!" (1 Thess 4,3).Der heilige Gott will den heiligen Menschen.
Heiligsein heißt: Gott ganz gehören, sich ganz Gott anheimgeben, sich ganz dem heiligen Willen Gottes ausliefern. Der Heilige ist letztlich der echte, wahre Mensch, der sich nicht in sich selbst verkrampft hat, sondern der sich ganz zu Gott hin in Demut und Liebe geöffnet hat.
Die Heiligen waren Menschen, die trotz ihrer Fehler, Schwächen und Leidenschaften kämpfend und ringend sich ganz Gott überlassen haben und von Gott das ewige Leben, die ewige Zukunft, die ewige Jugend erhofft und auch erhalten haben. In den Heiligen erkennen wir, was Gott mit der Erschaffung des Menschen eigentlich gewollt und uns Menschen zugedacht hat. Der Allerheiligentag verkündet uns die tröstliche Botschaft, dass zahllose Menschen, die uns vorausgegangen sind, ihr endgültiges Ziel erreicht haben und schon bei Gott im ewigen Glück, im ewigen Frieden, in der ewigen Freude und Seligkeit sind. Das Leben dieser Menschen ist für immer und ewig geglückt. Gott hat ihnen, weil sie sich Ihm und seinem heiligen Willen überlassen haben, auf die bedrängende Frage nach dem letzten Sinn des Lebens, des Leidens und Sterbens eine beseligende Antwort gegeben: der letzte Sinn menschlicher Existenz ist nicht das Nichts und die Verzweiflung, sondern die beseligende Schau Gottes und der ewig beglückende Besitz Gottes in der niemals enttäuschende Liebe zu Gott, der es mit den Menschen, die Ihn von Herzen lieben, so gut meint, dass der hl. Paulus aufgrund besonderer Erleuchtung niederschreiben musste: "Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und in kein Menschenherz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben!"
Beachten wir zuletzt aber noch folgendes: Wenn die Hl. Schrift sagt: "Das ist der Wille Gottes, dass ihr heilig seid!" (1 Thess 4,3), so meint sie damit nicht nur die Heiligen im Himmel, sondern uns alle, und zwar nicht erst nach dem Tod, sondern jetzt schon, sofern wir in der Liebe und Gnade Gottes leben und es verstehen, uns von Gott ergreifen zu lassen und immer wieder, nicht mit verkrampften Fäusten, sondern mit offenen Händen vor Ihn hintreten mit der Bitte: "So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt. Wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz..."
Wer an die Gemeinschaft der Heiligen und an das ewige Leben glaubt, der weiß, dass unser irdisches Leben nur ein vorläufiges ist, und dass wir aus der Fremde in die Heimat, aus dem Zelt, das abgebrochen wird, in das Vaterhaus, aus dem Vergänglichen in das Endgültige und ewig Bleibende unterwegs sind.
Es mag sein, dass ein Gläubiger in seinem irdischen Leben dasselbe erduldet wie ein Ungläubiger. Aber der wirklich Gläubige, der sich auch bemüht, aus dem Glauben zu leben, erfährt doch alles grundlegend anders, zum Beispiel das Sterben eines lieben Angehörigen oder den eigenen Tod. Der an den Herrn wirklich Glaubende erkennt in allem einen letzten Sinn, der das sichtbare Geschehen weit übersteigt. Der wahrhaft Glaubende weiß aus der Hl. Schrift um jenes kostbare wahrhaft österliche Wort: "Keiner von uns lebt sich selbst, keiner von uns stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn." (Röm 14,7-8)