29. Sonntag im Jahreskreis – C

gehalten in St. M. Loreto und im Hohen Dom zu Salzburg am 16. Oktober 1977

 

Das heutige SoEv stammt wohl aus einer Religionsstunde, die Christus eines Tages seinen Jüngern über das Gebet gehalten hat. Zu allererst hat Er die Seinen über die Wichtigkeit des Gebetes belehrt durch das Beispiel, das Er ihnen gab. Oft hat Er sich zum Gebet, zu trauter Zwiesprache mit seinem himmlischen Vater auf einen Berg zurückgezogen und ganze Nächte dort gebetet. Eines Morgens kam Er strahlend und wie verklärt vom nächtlichen Gebet herab ins Tal zurück zu seinen Jüngern. Dieser Anblick Jesu ergriff die Apostel und spontan kam über ihre Lippen die Bitte: "Herr, lehre uns beten!" Hilf uns, dass auch wir so beten können wie Du es ganz offensichtlich kannst! Der Herr mag dann die Seinen über das Wesen, über Sinn und Zweck des Gebetes belehrt und ihnen gesagt haben, dass wir Menschen beten sollen, um Gott zu loben, ihm zu danken und ihn um seinen Beistand, um seine Hilfe, um seine Wohltaten und Gnaden zu bitten. Das Gebet als Lobgebet, als Dankgebet, als Bittgebet. Auch über die Wirkung des Gebetes - über die erwartete Erhörung der vorgetragenen Bitte hinaus - mag Christus zu den Jüngern bisweilen gesprochen und ihnen dabei gezeigt haben, wie gerade das Gebet uns Menschen im Guten stärkt, uns im Leid tröstet, uns in der Not hilft.

Schließlich mag der Herr vor seinen Jüngern auch sehr anschaulich die notwendigen Eigenschaften des Gebetes erörtert haben und ihnen gezeigt haben, wie das Gebet andächtig, demütig, vertrauensvoll, gottergeben und vor allem auch beharrlich sein soll. Man dürfe ja nicht meinen, dass das Gebet, weil es vielleicht nicht sofort erhört wurde, wertlos war. Gott wartet eben aus wahrhaft weisen pädagogischen Gründen bisweilen mit der Erhörung zu; er will eben, dass wir beharrlich beten.

Und gerade die geduldige Beharrlichkeit im Gebet mag Christus dabei durch das im heutigen SoEv erzählte Gleichnis sehr anschaulich illustriert haben: Es ging um eine Witwe, die - vermutlich in einer Geldsache- bei einem Richter ihre Klage eingebracht hatte: vielleicht wurde sie um eine schöne Geldsumme betrogen, oder vielleicht war ihr ein Teil ihres Erbes vorenthalten worden, sodaß sie dadurch in eine ganz große Notlage geraten war. Jedenfalls war sie eine hilflose, wehrlose Witwe, während ihr Prozeßgegner wohl ein reicher, angesehener Mann gewesen sein wird.

Der armen Witwe fehlten nun auch die nötigen Mittel für einen guten Rechtsanwalt oder die Mittel, um durch ein Bestechungsgeschenk - wie es im Orient damals üblich war - nachzuhelfen, damit der Richter den Prozess beschleunigt durchführe und ihr, der armen, betrogenen Witwe, rasch zu ihrem Recht verhelfe. Ihr blieb - dem Richter gegenüber - nichts als nur Ausdauer und Beharrlichkeit. Dieser Richter war in der ganzen Stadt gefürchtet als hartherziger Mann ohne Gefühl und ohne Glauben. Er kannte nur seine Paragraphen, die Menschen mit ihren Sorgen und Anliegen interessierten ihn überhaupt nicht. Die Leute in der Stadt, die Nachbarinnen der Witwe und andere, wohlmeinende Leute hatten es ihr von allem Anfang an gesagt: Bei diesem Richter kommst du nicht durch! Bei ihm erreichst du nichts, wenn du nicht mit Bestechungsgeld nachhelfen kannst! Das aber hatte sie nicht. Was tat nur die arme Witwe? Sie ließ einfach nicht locker und ließ sich von diesem Richter nicht abwimmeln. Alle Tage wieder ging sie hin und klopfte unentwegt bei ihm an. Ob er auch die Augen wütend rollte und die Stirne furchte, ob er ihr auch zehnmal, ja hundertmal die Türe wies, sie ging dennoch immer wieder hin und forderte ihr Recht. Immer wieder bettelte sie: „Es ist doch Ihre Aufgabe als Richter, mir zu meinem Recht zu verhelfen! Dazu sind Sie doch schließlich da!" Sie jammerte, sie schimpfte, sie drohte, ja, sie drohte. Sonst wäre es doch undenkbar, dass der herzlose Richter es eines Tages mit der Angst zu tun bekam: "Die fährt mir ja noch ins Gesicht und zerkratzt mich, wenn ich ihr nicht zu ihrem Recht verhelfe!"

Um die dauernde Belästigung durch diese Witwe los zu werden, bequemte sich der herzlose Richter schließlich doch dazu, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen. Diese Frau war in ihrer Zudringlichkeit eine beharrliche Bettlerin.

Christus sagt uns nun, wir sollten es beim Gebet wie diese Frau machen: Wir sollten beharrlich beten, nicht wie Menschen, die es gleich wieder aufgeben, wenn sie nicht sofort erhört werden. Es gibt ja leider Menschen, die sich zuerst jahrelang nicht mehr um Gott gekümmert haben. Nun sind sie in Not geraten. Da fangen sie zu beten an gemäß dem bekannten Sprichwort: "Not lehrt beten." Und meinen dabei, Gott müsse sie sofort und auf der Stelle erhören. Sie behandeln Gott wie einen Hausknecht, dem man nur zu pfeifen braucht und er kommt und bringt, was man gerade braucht. Nein, Gott ist, nicht der Knecht, er ist der Herr. Und er will von uns gebeten sein und erhört uns manchmal gar nicht so schnell. Warum wohl? Weil er viel besser weiß, was uns wirklich zum Heile dient, als wir kurzsichtigen Menschen, die wir uns wie kleine, dumme Kinder schnell, schnell etwas einbilden, was vielleicht gar nicht zu unserem Nutzen und Heil, sondern vielmehr zu unserem Schaden wäre.

Christus mahnt uns heute also zur Beharrlichkeit im Gebet. Wir aber sollten uns im Zusammenhang mit dem heutigen SoEv gerade bezüglich unseres Gebet wieder einmal wichtige Gewissensfragen vorlegen: Bete ich denn überhaupt noch? Und zwar gut, richtig, vertrauensvoll, demütig, gottergeben, beharrlich? Trage ich all meine Sorgen und Anliegen zu allererst immer Gott vor im Gebet, statt immer nur allzu menschlich zu rechnen und zu überlegen? Ist mir klar, dass ohne Gebet mein Glaube erschlafft, mein Glaubensleben allmählich stirbt, meine Gottesliebe erkaltet? Bin ich auch wirklich beharrlich in meinem Beten? Lass ich mich beim Beten allzu schnell entmutigen, wenn die Erhörung meines Gebetes sich anscheinend verzögert? Ist mein Glaube und mein Vertrauen stark genug, um letztlich alles dem Willen Gottes anheimzustellen, der am besten weiß, was mir zum Heile dient?

Und was sind denn überhaupt die Sorgen und Anliegen die ich im Bittgebet Gott vorzutragen pflege? Sind es immer nur meine kleinen und oft kleinlichen egoistischen Sorgen und Anliegen? Bete ich — wie es vor allem notwendig wäre — um Festigkeit und Treue im Glauben und um den Sieg des Reiches Gottes?

Am Schluss des heutigen SoEv stellt Christus selbst eine Frage. Es ist eine ganz ernste Frage: "Wenn der Menschensohn kommt, wird er dann auf der Erde noch Glauben antreffen?" Wird etwa der Schrumpfungsprozeß bei denen, die lebendige Glieder in der Glaubensgemeinschaft der Kirche sind, immer noch mehr zunehmen, bis dann zuletzt bei der Wiederkunft Christi zum Gericht nur noch ganz wenige es sind, die Ihm im Glauben die Treue gehalten haben?

Sorgen wir dafür — gerade auch durch unser rechtes, vertrauensvolles und beharrliches Beten — ,dass wir beim Kommen des Herrn zum Gericht — zum persönlichen und zum allgemeinen Gericht — zu jenen gehören, die dem Herrn in der Bereitschaft des Glaubens und der Liebe entgegenharrten. Amen