28.Sonntag im Jahreskreis C

gehalten in St. M. Loreto im Oktober 1989

 

In einer Predigt über das Gebet habe ich einmal den - wie ich überzeugt bin -richtigen Satz formuliert: "Denkende Menschen waren allezeit auch betende Menschen, betende Menschen sollten aber auch denkende Menschen sein!"

Heute möchte ich - im Anschluss an das Sonntagsevangelium- diesen Satz ergänzen und sagen: "Denkende Menschen sind auch dankende Menschen!"

Da heilte der göttliche Heiland 10 Aussätzige von ihrer schrecklichen Krankheit. Ein einziger von den 10 Geheilten fand es für richtig und angebracht, umzukehren und dem Herrn für die Wohltat der Heilung zu danken.

Neun vergaßen auf das Danken, unterließen das Danken - vielleicht gar nicht aus Schlechtigkeit und Bosheit - höchstwahrscheinlich nur aus Gedankenlosigkeit. Undankbarkeit aus Gedankenlosigkeit! Wie oft trifft das zu! Umgekehrt: Denkende Menschen sind auch dankende Menschen, sind auch dankbare Menschen!

Nur ein einziger von den 10 Geheilten kam zu Christus zurück, fiel vor Ihm nieder und dankte Ihm. Ist das nicht eigentlich ein erschütterndes Bild? Der Herr Jesus mit diesem einen, der Ihm zu Füßen kniet und Gott mit lauter Stimme dankt? - und schon weit weg in der Ferne die neun anderen Geheilten... Da kommt die enttäuschte Frage über die Lippen des Herrn: "Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind denn die übrigen neun?"

Denkende Menschen sind auch dankende, dankbare Menschen! Was ist denn eigentlich die Dankbarkeit? Ganz allgemein gesagt: Dankbarkeit ist eine Tugend, die sich aus der Grundtugend der Gerechtigkeit ableitet. Der dankbare Mensch denkt daran, dass ihm ganz unverdient Wohltaten erwiesen worden sind, er anerkennt das innerlich und äußerlich und zeigt sich auf diese Weise dankbar für die empfangene Wohltat. - Die Tugend der Dankbarkeit ist zunächst eine Sache des Verstandes: Ich denke an die unverdient empfangene Wohltat; und dann ist die Tugend der Dankbarkeit eine Sache des Herzens: ich gebe vor mir selber zu, dass ich von einem anderen eine Wohltat empfangen habe, auf die ich eigentlich keinen Anspruch hatte. Ich zeige das nun dem Geber der Wohltat in Worten und in Werken: Ich sage Dank und suche auch meinerseits dem Wohltäter irgendetwas Gutes zu erweisen; ich zeige mich erkenntlich, ich danke.

Ein ergreifendes Beispiel für einen wahrhaft denkenden und dankenden Menschen habe ich in der Lebensgeschichte von Mutter Theresa von Kalkutta gelesen: Eines Tages wurde in einer indischen Großstadt ein armer, todkranker Paria von einer der Schwestern der Ordenskongregation der Mutter Theresa von der Straße aufgelesen und in das Hospiz gebracht, das die Schwester für solche arme Menschen führen. Dieser arme Mensch hatte von seinen eigenen Landsleuten bisher nur Misshandlung, Verachtung und Ausgrenzung erfahren und hatte bisher nur in der eisig kalten Atmosphäre heidnischer Lieblosigkeit gelebt.

Nun aber verspürte er zum ersten Mal den linden, warmen Hauch echt christlicher Nächstenliebe. Die Eisrinde um sein Herz schmolz von Tag zu Tag  mehr unter der liebevollen Pflege, obwohl die Todeskrankheit immer mehr sich auswirkte. Aber der Todkranke fing zu denken und nun auch zu danken an: Er spürte: ich muss die Güte und Liebe dieser Schwestern belohnen. Das stand schließlich bei ihm fest. Aber wie? Hab und Gut besaß er nicht. Mit den paar Lumpen, die ihm als Kleidung gedient hatten, konnte er auch keine Ehre einlegen bei den guten Schwestern, um sie ihnen etwa aus Dankbarkeit zu vermachen. Endlich hatte er sich eine Lösung ausgedacht. Eines Tages rief er die Schwester, die ihn bisher so treu und gut gepflegt hatte, an sein Bett und sagte: "Schwester, ich muss bald sterben. Da möchte ich doch aus Dankbarkeit etwas für euch tun. Aber ihr seht ja selbst, ich habe gar nichts, was ich euch geben könnte. Aber wenn ich gestorben bin, dann zieht mir bitte die Haut ab, und macht Leder daraus und verfertigt damit Schuhe für euch!" Denkende Menschen sind dankende Menschen!

Dankbarkeit den Mitmenschen gegenüber, die uns Wohltaten erweisen! Leider ist sie gerade heute eine oft sehr seltene Tugend! Am Zahlenverhältnis hat sich seit der Episode im Leben Jesu, wo nur einer von zehn es der Mühe wert fand, umzukehren und zu danken, nicht viel oder gar nichts geändert.

Dankbarkeit Gott gegenüber, wie sieht es denn damit aus? Wohl kaum besser, obwohl denkende Menschen sich sagen müssten, dass wir Gott gegenüber ganz besonders zu Dank verpflichtet sind, weil er wahrlich unser größter Wohltäter ist!

Im 1 Joh 4,10 schreibt der Apostel: "Nicht dass wir Gott (zuerst) geliebt hätten, nein, Er hat uns (zuerst) geliebt!". Bevor wir Menschen Gott überhaupt lieben konnten, musste Er uns erst einmal das natürliche Leben schenken. Gott war also gut zu uns, noch bevor wir zu Ihm gut sein konnten. Er ist uns also mit seiner Güte meilenweit voraus. Schauen wir uns dieses erste Geschenk, diese erste Wohltat Gottes in der langen Reihe der Gottesgaben etwas näher an: Gottes Schöpferliebe formte unseren Leib, dieses wundervolle Kunstwerk, das der medizinischen Forschung immer neue Rätsel aufgibt und das für die größten Ärzte trotz tausendjähriger Forschung ein fast unerforschtes Gebiet geblieben ist. Es ist so schnell gesagt: "Gott hat den Menschen erschaffen" (Gen 1,27), aber wie viel liebende Sorge Gottes ist schon in den menschlichen Leib hineinverfrachtet! Gottes Schöpferliebe formte auch die menschliche Seele, die sein eigenes Abbild und Gleichnis ist. Warum aber schuf Gott Leib und Seele? Lag eine Nötigung für Gott etwa vor? Musste Gott den Menschen erschaffen? Nein, wahrlich nicht, Gott hatte ja uns Menschen nicht nötig. Alle Geschöpfe zusammen können dem Herrn des Himmels und der Erde kein Quentchen Glück hinzu verschaffen, als Er schon von Ewigkeit her besitzt. Warum hat uns Gott dann erschaffen? Weil Er gut zu uns sein wollte. Die Liebe und Güte Gottes ist der erste und letzte Grund unseres Daseins.

Zu dem natürlichen Leben schenkte uns Gott als zweite, noch größere Wohltat das übernatürliche Leben der heiligmachenden Gnade, das wir in der Taufe empfangen haben.

„Seht, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat, dass wir Kinder Gottes heißen und es auch sind!" So ruft der Apostel Johannes im 1 Joh 3,1 aus. Gottes Liebe sorgte dann dafür, dass uns christliche Eltern, gute Priester, Lehrer und Erzieher gut und wahrhaft christlich erzogen und gebildet haben. Wie gewaltig groß ist doch auch diese Wohltat Gottes, die wahrlich nicht selbstverständlich ist, wenn wir heute einen Blick tun in die gegenwärtigen schulischen und erzieherischen Verhältnisse, in denen die jungen Menschen oft areligiös, unchristlich und sogar unsittlich herangebildet werden! Auch dafür sorgte Gott in seiner Liebe und Güte, dass wir im Sturm und Drang der Jugendzeit den Glauben und die Sitten bewahrten und nicht - wie manche um uns herum - dem modernen Zeitgeist verfielen.

Wer kann ferner all die Gnaden aufzählen, die uns Gott durch die Gnadenmittel und Sakramente der Kirche in unserem bisherigen Leben schon zuteil werden ließ?

Wie oft hat uns Gottes Vorsehung auch schon aus drohenden Gefahren des Leibes und der Seele errettet, sicher viel öfter, als wir meinen.

Daneben läuft noch für einen jeden von uns ein besonderes Konto beim gütigen Gott: besondere Talente, besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten, besondere Vorzüge des Leibes oder der Seele, die andere nicht haben, die nur wir besitzen. All das aber haben wir nicht aus uns selbst, sondern weil Gott es uns in seiner Güte völlig unverdient zuteilte.

Wahrlich, Gott ist unser erster und größer Wohltäter! Unser natürliches und unser übernatürliches Leben bildet einen ständigen Beweis für diese Tatsache.

Was folgt daraus, wenn wir an diese Tatsache denken? Denkende Menschen müssen auch dankende Menschen sein! "Vere dignum et justum est, aequum et salutare, nos tibi (Deus) semper et ubique gratias agere... Ja, es ist würdig und recht, billig und heilsam, dass wir Dir immer und überall danksagen, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott..."

Der hl. Paulus gibt im Eph 5,20 die Mahnung: "Dankt immer Gott dem Vater für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus!" Und im 1 Thess 5,18 schreibt er: "Seid in allen Lagen dankbar, denn das will Gott von euch in Christus Jesu!“

Die großen Vorbilder der Dankbarkeit gegen Gott sind unser Herr Jesus Christus und die Heiligen: Der Heiland dankte dem Vater im Himmel öffentlich vor der wunderbaren Brotvermehrung, dann als er den Lazarus vom Tode erweckte, weiter vor der Einsetzung des Altarssakramentes beim Letzten Abendmahl, Er dankt heute noch immerfort im großen Opfer des Dankes, in der Hl. Eucharistie, - ein griechisches Fremdwort, das ja auf Deutsch nichts anderes bedeutet als Danksagung! - Wie der Heiland, so führten auch die Heiligen ein Leben der Dankbarkeit. Nur ein paar Beispiele: Die seligste Jungfrau Maria sang aus dankerfülltem Herzen ihr Magnifikat: „Großes hat an mir getan, der mächtig und dessen Name heilig ist, denn Er hat herabgeschaut auf die Niedrigkeit seiner Magd!"

Als man den hochbetagten und schwerkranken heiligen Bischof Johannes Chrysostomus von einem Verbannungsort zum anderen geschleppt hatte und er schließlich unterwegs starb, da war sein letztes Wort "Gott sei Dank für alles!" So manche Heilige der folgenden Jahrhunderte haben es diesem großen Kirchenlehrer nachgemacht; sie starben mit einem Deo gratias auf den Lippen und die Grundhaltung aller Heiligen Gott gegenüber war die, wie sie im bekannten Dankgebet zum Ausdruck kommt: "Nie kann, o Herr, ich danken dir genug. Es soll dir danken jeder Atemzug, es soll dir danken jeder Herzensschlag bis zu dem letzten Schlag an meinem letzten Tag!"

Wir müssen also Gott danken: Der denkende Verstand, fordert es, die Hl. Schrift mahnt dazu, der Heiland und die Heiligen geben uns das Beispiel dafür.

Fragen wir zuletzt noch ganz schlicht und einfach, wie wir unseren Dank Gott gegenüber zum Ausdruck bringen können und sollen: Sicher im Herzen, in Worten und in Werken!

 

1. Im Herzen durch die Gesinnung der Dankbarkeit! Denken wir doch oft an Gottes Wohltaten! Gehen wir hin und wieder in Gedanken unser Leben mit seinen einzelnen Stationen durch und erinnern wir uns daran, wie Gott es doch immer unsagbar gut mit uns gemeint hat und sogar aus Unglück und Sünde Gutes entstehen ließ. Tage, an denen wir in besonderer Weise die Gesinnung der Dankbarkeit Gott gegenüber in unserem Herzen wachrufen sollten, wären der Geburtstag, der Tauftag, der Erstbeicht- und Erstkommuniontag, der Firmtag, die Tage besonderer Gnadenerweise vonseiten Gottes, die Tage besonderer Erfolge in unserem Berufsleben, die Tage, an denen uns in wichtigen Anliegen Erhörung unserer Gebete in auffallender Weise zuteil wurde usw.

 

2. In Worten Gott danken beim Morgen- und Abendgebet, nach dem Essen, nach einer guten hl. Beichte, nach der hl. Kommunion (Danksagung! Wie wichtig wäre sie in jenen kostbaren Augenblicken, da Christus leibhaftig in uns weilt!). In Worten Gott danken nach einer überstandenen Gefahr, nach einer glücklich vollbrachten Aufgabe. Die schönsten Worte des Dankes und der Dankbarkeit Gott gegenüber finden sich in der großen Danksagung der Hl. Eucharistie!

 

3. Im Werk Gott danken, dadurch vor allem, dass wir die empfangenen Wohltaten und Gnaden gut benützen und ausnützen zur größeren Ehre Gottes und zu unserem Seelenheil. Der beste Dank besteht sicher darin, dass wir immer mehr Gottes Liebe zu uns mit Gegenliebe zu erwidern suchen. Diese unsere Gegenliebe darf freilich nicht an erster Stelle im Gefühl bestehen, sondern in der Liebe der Tat, die uns Christus erklärt hat mit den Worten: "Wer Meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der Mich liebt!"(Joh 14,21). Das also ist der beste Dank gegen Gott, dass wir uns ernstlich bemühen, die Sünde zu meiden, Gott die schuldige Ehre nicht zu rauben, sondern zu geben und alles zu tun zur größeren Ehre Gottes.

 

Wir feiern nun Eucharistie. Ich sagte schon, was dieses griechische Wort bedeutet: Danksagung! Je mehr wir es verstehen, uns für die Teilnahme an der Eucharistiefeier Zeit zu nehmen, nicht bloß sonntags, sondern auch werktags, und aus der Eucharistie dann zu leben in der gelebten heiligen Messe, umso mehr bekunden wir dabei dann Gott gegenüber unsere Dankbarkeit für alle seine Gnaden und Wohltaten, mit denen Er uns bisher schon überhäuft hat und sicher noch weiter überhäufen wird.

"Gratias agamus Domino Deo nostro - dignum et justum est! Lasset uns danken dem Herrn unserm Gott. - Das ist würdig und recht!" Sagen wir es nicht nur. Halten wir uns daran. Und danken wir Gott semper et ubique, immer und überall für alles, für Gnaden und Wohltaten und alles Freudige und Schöne in unserem Leben, aber auch für alles Harte und Leidvolle, mit dem er uns etwa prüft und heimsucht, denn Er meint es auch dann unendlich gut mit uns. Wenn ich das sage, steht wieder jener Fürst Hugo Windischgrätz vor meinen Augen, dem ich am Ende meiner römischen Studienzeit - weil ich von den deutschen Behörden kein Visum zur Heimfahrt nach Salzburg bekam - ein halbes Jahr als Sekretär und Hauskaplan gedient habe. Dieser damals noch nicht 50jährige Fürst hatte durch Kreislaufstörungen zuerst ein Bein und dann das Augenlicht völlig verloren. Eines Abends sagte der Fürst, der damals noch einen riesigen Besitz sein eigen nannte, zu mir: "Hochwürden, ich möchte Ihnen etwas anvertrauen: Schauen Sie, ich weiß ganz genau, wie meine Umgebung, die Frau, die Söhne, die Beamten und Angestellten von mir denken: Sie meinen doch alle, es wäre bei meinem Zustand das Gescheiteste, ich würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen und meinem armseligen Leben ein Ende setzen. Ihnen aber verrate ich es: Seit ich blind geworden bin, habe ich keinen Tag unterlassen, das Te Deum zu beten, denn seit damals bin ich innerlich sehend geworden!"

Seht, das ist wahre Dankbarkeit gegen Gott, auch noch bei schwerer Prüfung und Heimsuchung. Täglich durfte ich damals mit päpstlicher Erlaubnis im Arbeitszimmer diesem Fürsten Windischgrätz die hl. Messe feiern. Der Fürst aber ministrierte mir vom Lehnstuhl aus und kommunizierte mit größter Andacht und langer Danksagung. Er wusste: Eucharistie heißt Danksagung!