Zeichen der Zeit

gehalten in St. M. Loreto 2001

(ohne Datum eingeordnet, auch für Jahresschlußgottesdienst geeignet!)

 

Über "Zeichen der Zeit“ darf ich Ihnen ein paar Denkanstöße zur Meditation geben, die einstimmen soll in die heutigen Beratungen über Trends zur Gesellschaftsveränderung und in der Schulpolitik.

1.                             „Zeichen der Zeit" (signa temporum, semeia ton kairon) ist ein biblischer Begriff. Dort, wo dieser Begriff vorkommt (Mt 16,3;Lk 12,56), werden darunter "geschichtliche Ereignisse und Entwicklungen verstanden, die über sich hinausweisen auf das heilsgeschichtliche Handeln Gottes und das Reifwerden der Welt zum Gericht, die aber nur durch den Glauben recht zu erkennen und zu deuten sind" (Fritz Rienecker, Lexikon zur Bibel, 7. Aufl., Wuppertal 1969, Sp. 1563)

2.                             Will man über "Zeichen der Zeit" meditieren, so muss man wohl von dem Tadel Jesu ausgehen, dass wir Menschen wohl Wetterprognosen zu geben verstehen, die "Zeichen der Zeit" aber nicht zu deuten vermögen. Bei Mt 16,2—4 spricht Jesus: "Wenn es Abend geworden, sagt ihr: 'Gutes Wetter! Es ist Abendrot am Himmel!' — und am Morgen sagt ihr: 'Heute gibt es ein Ungewitter! Es ist trübes Morgenrot!' Das Gesicht des Himmels wisst ihr zu deuten, die 'Zeichen der Zeit' aber nicht!“ Gilt dieser Vorwurf Jesu nur den Menschen von damals? Gilt er etwa auch uns? Nehmen wir diesbezüglich alle Ereignisse in Kirche und Welt immer ernst genug?

3.                             Wie aber kam es damals zu diesem Vorwurf Jesu? Menschen — wohlgemerkt beider Parteirichtungen — engstirnige, gesetzestreue Pharisäer und rationalistisch eingestellte, die Übernatur und die Auferstehung leugnende Sadduzäer kamen zu Jesus und verlangten von Ihm ein Zeichen vom Himmel. Sie waren mit den bisher selbst erlebten oder berichtet bekommenen Wundern Jesu nicht zufrieden und immer noch nicht überzeugt von seiner messianischen Sendung. Noch viel deutlicher müsse er sich als vom Himmel gekommener Messias ausweisen und manifestieren...

4.                             Bedenken wir es in diesem Zusammenhang wieder einmal: Das Transzendente, das Hereinbrechen der Übernatur und ihre Realität kann den Menschen, gerade auch und erst recht den Menschen unserer Zeit, nie rational hinreichend ,etwa gar stringent (zwingend) bewiesen werden, immer haben die Menschen zuletzt noch Einwände und Ausflüchte. Sie wollen nicht einsehen, dass es beim Transzendenten, bei der Übernatur nicht um etwas geht, das sich wie ein mathematisches Rechenexempel auflösen und durchsichtig machen lässt. Es kommt hier letztlich immer auf das demütige Sich—beugen vor Gottes Geheimnissen, auf das gläubige Ja zu Gottes Wort an. Von der Ratio her kann mir das Transzendente, die Offenbarung Gottes, das Heilshandeln Gottes, dessen Wege nicht unsere Wege, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, nie einsichtig gemacht werden. Letztlich heißt es hier glauben. Zum Glaubensakt aber gehört eben das demütige Sich—beugen vor dem, der größer ist als unser Herz, größer als unser Verstand...

5.                             Aus der Antwort Jesu auf die Forderung der Pharisäer und Sadduzäer nach weiteren Wunderzeichen klingt Bitterkeit und Enttäuschung: "...Das Gesicht des Himmels wisst ihr zu deuten, die 'Zeichen der Zeit' aber nicht. Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht verlangt ein Zeichen, es wird ihm aber kein anderes Zeichen mehr gegeben als nur das Zeichen des Jona". Der Evangelist Mt fügt noch die Bemerkung an: "Darauf ließ Er sie stehen und ging hinweg". Er wollte mit ihnen nichts mehr zu tun haben, weil ihnen der "pius credulitatis affectus", die demütige Glaubensbereitschaft völlig abging.

6.                             Und nun denken wir an die Menschen von heute: an die Wundersüchtigkeit der einen..., an den Rationalismus der radikalen Entmythologisierer des Christusgeheimnisses auf der anderen Seite... Auf beiden Seiten ist es eigentlich Mangel an echter Glaubensbereitschaft. — Ist das nicht auch schon ein 'Zeichen der Zeit', das uns zu denken geben sollte?

7.                             Und wird dabei nicht immer die Tatsache übersehen, dass sowohl Jesus Christus selbst als auch seine Kirche "ein Zeichen des Widerspruchs" sind, ja sogar sein müssen, ein "signum, cui contradicetur", wie es schon der greise Simeon vom göttlichen Kind angekündigt hatte?

8.                             Nehmen wir dazu noch die ganze Art des Christusereignisses: sein Anfang und sein Ende, die Krippe und das Kreuz. Die Krippe mit dem Kind—werden dessen, der da als Heiland der Welt erwartet worden war. So wird es den Hirten durch die Engel gesagt: "Dies soll euch ein Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegend...". Dazu dann die Forderung dessen, der das Kind—sein nicht verschmäht hat, dass wir alle klein werden müssen wie ein Kind; und dass derjenige, der ein Kind in seinem Namen aufnimmt, Ihn selber aufnimmt. Und schließlich das Ende des Christusereignisses: Das Zeichen des Jona: Das Untergehen und Auferstehen; und zwar im Zeichen des Kreuzes, das dann das letzte Zeichen der Zeit am Ende der Zeit sein wird: "Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen"(Mt 24,30). Vorausgehen die Vorzeichen für seine Wiederkunft: die "magna apostasia" (der große Abfall)! Dazu Naturkatastrophen, Aufruhr, Kriege, Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte, also Entsakralisierung, wie wir modern sagen könnten; überdies das immer stärkere Spürbarwerden antichristlicher, dämonischer Mächte, die dann ihre dichteste, personale Verkörperung finden in der Person des Antichrists. Sind das nicht teilweise wenigstens, Zeichen unserer Zeit?

9.                             Möge jeder in ein paar stillen Augenblicken selber noch über einzelne "Zeichen der Zeit" nachdenken. Ich habe solche einmal zusammenzustellen versucht unter dem Thema "Ambivalenzen unserer Zeit", die da schwankt zwischen Hoffnung und Angst, zwischen übertriebenem Fortschrittsglauben und falschem Pessimismus, zwischen hemmungslosem, jede Autorität ablehnendem Freiheitsdrang und eigenartiger Selbstknechtung und Versklavung der Menschen unserer Zeit durch die verschiedensten Süchte. Dazu kommt noch als Ambivalenz unserer Zeit das Schwanken zwischen restlosem Einsatz der Menschen im Suchen nach Wahrheit einerseits und kapitulierendem Skeptizismus anderseits, zwischen übertriebener Wissenschaftsgläubigkeit einerseits und defaitistischem Agnostizismus anderseits, zwischen neu erwachtem Interesse für religiöse Fragen einerseits und völligem Versinken im Unglauben anderseits...

10.                          Bei all diesen verwirrenden "Zeichen der Zeit" dürfen wir nicht mutlos werden. Brauchen es auch wahrlich nicht, solange wir uns an Ihn halten, den Petrus in seiner Pfingstpredigt charakterisiert hat als einen "Mann, von Gott vor euch beglaubigt durch Machttaten, Wunder und Zeichen, die Gott in eurer Mitte durch Ihn gewirkt hat" (Apg 2,22). Das größte Zeichen und Wunder hat Er gewirkt am Kreuz und durch das Kreuz. Von ihm gilt immer noch der Wahrspruch: "Stat crux, dum volvitur orbis!"

11.                          Schließen wir unsere Meditation mit dem bekannten Gebet von Kardinal J.H. Newman: "0 Gott, die Zeit ist voller Bedrängnis', die Sache Christi liegt wie im Todeskampf. Und doch schritt Christus nie mächtiger durch die Erdenzeit, nie war sein Kommen deutlicher, nie seine Nähe spürbarer, nie sein Dienst köstlicher als jetzt. Darum lass uns im Anblick des Ewigen zwischen Sturm und Sturm in der Erdenzeit zu Dir beten: 0 Gott, Du kannst das Dunkel erleuchten, Du allein kannst es! Amen"