27. Sonntag im Jahreskreis – C
gehalten in St. M. Loreto und im
Hohen Dom zu Salzburg am 8.10.1995
Das Wort, das am Anfang des heutigen Sonntagsevangeliums die Apostel an Jesus Christus richten, ist ungemein aktuell. Die Apostel bitten den Herrn um stärkeren Glauben; sie haben es wohl in der Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten und Pharisäern immer mehr gespürt: Auch wenn wir an unserem Meister noch so viel Außerordentliches, ja Wunderbares sehen, erleben und beobachten, ohne starken Glauben verstehen wir sein Persongeheimnis, seine Absichten und Intentionen nicht und alles bleibt uns ohne Glauben ein unlösbares Rätsel. "Herr, stärke unseren Glauben!" Diese Bitte der Apostel sollten auch wir in dieser Zeit der Glaubenskrise, des Kleinglaubens, des immer stärkeren Glaubensabfalls und Unglaubens täglich an den Herrn richten, denn wir spüren es heute mehr denn je, wie schwach, wie gefährdet, wie angefochten unser Glaube und der Glaube derer, die den Glauben zu verkünden haben, geworden ist. Immer wieder tauchen da heute Fragen auf, die die noch Glaubenden hart bedrängen und ihnen zu schaffen machen: Wie ist denn das heute mit den überlieferten Glaubenswahrheiten? Gelten sie noch? Stimmen sie noch? Stimmt denn das, was uns einst in unserer Kindheit und Jugend von der Kirche und den Verkündern des christlichen Glaubens, den Priestern, den Predigern, den Katecheten, zu glauben vorgelegt worden ist, noch in unserer Zeit? Wir sind alle in dieser allgemein gewordenen Glaubenskrise im Glauben angefochten und in Gefahr, im Glauben schwach zu werden! Und doch wissen wir um die Notwendigkeit, um die Heilsnotwendigkeit des Glaubens, denn Jesus Christus hat so klar und eindringlich gesagt: "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird selig werden. Wer nicht glaubt, wird verdammt werden!
Und der apostolische Verfasser des Hebräerbriefes (11,6) hat - gültig für alle Menschen - geschrieben: "Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen!"
Da müsste doch eigentlich wirklich über unsere Lippen immer wieder die Bitte der Apostel kommen: "Herr, stärke und vermehre unseren Glauben!"
Was aber hat Christus auf die Bitte der Apostel um Stärkung und Vermehrung ihres Glaubens geantwortet? Er hat ihnen gesagt: "Hättet ihr Glauben auch nur so groß wie ein Senfkörnlein, es würde eigentlich schon genügen, um Wunderbares zu vollbringen!"
Das Senfkörnlein, das nicht einmal einen Millimeter Durchmesser hat, ist wahrlich etwas Kleinwinziges. Und doch trägt es eine geheimnisvolle, vitale Kraft in sich: Es wächst, es entfaltet sich und wird, weil es voller Leben ist, zu einem Baum von drei und noch mehr Metern Höhe.
Der Herr will uns, wenn er den Glauben mit einem Senfkörnlein vergleicht, wohl vor allem dies sagen, dass es beim Glauben nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität und Intensität ankommt. Es geht - so will uns Christus wohl beibringen - im Glauben nicht darum, dass man weiß Gott wie viele Glaubenswahrheiten exakt kennt, also ein immenses theologisches Glaubenswissen hat, sondern es geht darum, dass unser Glaube wirklich lebendige Kraft besitzt und unser ganzes Leben formen und prägen muss. Es könnte jemand die Glaubenslehre der Kirche, die gesamte Theologie mit allen geoffenbarten Glaubenswahrheiten genauestens studiert haben und könnte genau Bescheid wissen über gar alle theologischen Fragen, die den Bereich der kirchlichen Glaubensverkündigung berühren, und er könnte dabei dennoch ein durch und durch ungläubiger Mensch sein. Wir erleben es ja heute an manchen modernistischen Startheologen! Glaube - wenn wirkliches Vertrauen in die Allmacht, Wahrhaftigkeit, Güte und Treue Gottes dahintersteckt - befähigt zu großen Taten.
Der richtig starke, vertrauensvolle, lebendige Glaube besitzt auch dort noch Chancen und Möglichkeiten, wo die Menschen ohne Glauben an eine unübersteigbare Mauer stoßen und nicht mehr aus und ein wissen. Menschen ohne starken, lebendigen Glauben sind bei scheinbaren Ausweglosigkeiten ratlos und kapitulieren bei Schicksalsschlägen und Katastrophen. Der Mensch aber, dem ein starker, lebendiger Glaube mit dem rechten Gottvertrauen eigen ist, weiß, dass sich sein Glaube gerade angesichts des scheinbar Unmöglichen erst richtig bewähren muss; er vertraut auf die Tatsache, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist und dass darum dem Menschen, der wirklich glaubt, im Blick auf Gott ebenfalls fast nichts unmöglich ist.
Gerade heute, in dieser Zeit der Glaubenskrise und der Kirchenkrise, lassen sich so viele in der Kirche von einem unchristlichen, kleingläubigen oder schon ungläubigen Pessimismus befallen! Das ist Mangel an vertrauensvollem, lebendigem Glauben!
"Herr, gib uns mehr Glauben! Herr, stärke unseren Glauben!" Diese Bitte der Apostel sollten wir wirklich gerade in unserer Zeit oft aussprechen. Im täglichen Oktoberrosenkranz wäre das gleich am Anfang etwas vom Wichtigsten, das wir uns und den uns anvertrauten Menschen erbitten sollten von Jesus, "der in uns den Glauben vermehre"! Hier muss für unser ganzes christliches und geistliches Leben das solide, tragfähige Fundament gelegt werden: in einem starken, lebendigen Glauben, bei dem es - wie gesagt - nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität ankommt.
Gibt es etwa einen Test dafür? Ja, vielleicht können wir am Wort des Herrn über die rechte Beschaffenheit und Qualität des Glaubens unseren Glauben testen: Der Herr sagt: "WENN euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkörnlein, so könntet ihr zu dem Maulbeerbaum da sagen: Zieh deine Wurzeln (aus dem Boden) heraus und wachse weiter im Meer! - und er würde euch gehorchen!" Wir brauchen jetzt nicht gleich um die Echtheit unseres Glaubens zittern, wenn wir uns nicht auf dieses eigenartige Experiment einlassen, einen Feigenbaum ins Meer zu versetzen, damit er dort - statt in humusreichem Boden - im Wasser weiterwachse. Dieses Heilandswort will sicher nicht wörtlich verstanden werden. Der Herr will uns nur sagen: Ob unser Glaube echt und lebendig ist oder nicht, das muss sich an dem zeigen, was dieser unser Glaube bewirkt und dass er überhaupt etwas bewirkt, die Welt zu verändern vermag und es bei uns zustandebringt, einfach anders zu leben als die Masse, die gedankenlos und oberflächlich dahinlebt...
Unser Glaube - das will der Herr mit dem vorgeschlagenen Test sagen – muss sichtbare, spürbare Auswirkungen haben. Dann und nur dann ist er echt und lebendig. Und ein Zweites gehört beim Testen der Echtheit und Lebendigkeit unseres Glaubens noch dazu: nämlich dies, dass wir dabei testen, ob wir von Gott wirklich ganz groß und von uns selber ganz klein denken. Das will uns Christus mit dem im heutigen Sonntagsevangelium noch folgenden Gleichnis vom Sklaven sagen: Ein richtiger Sklave war im Altertum seinem Eigentümer und Herrn völlig unterworfen, er war ganz und gar von ihm abhängig, ihm total ausgeliefert. Der Sklave war im Altertum seinem Herrn zu unbedingter Dienstleistung verpflichtet. Und wenn er den ganzen Tag seinen Dienst getan hatte hinter dem Pflug oder bei der Herde und abends müde heimkam, so war sein Dienst noch nicht getan. Sogleich begann die nächste Arbeit, seinem Herrn das Essen zu richten und aufzuwarten. Und hatte er auch das getan, so durfte er noch immer nicht auf Dank vonseiten seines Herrn warten und etwa gar Ansprüche stellen. Er wusste, dass er nur ein unnützer Knecht war, der das, was er von seinem Herrn nun zum Leben bekam, nur aus Gnade erhielt, nicht aber, weil er etwa einen Rechtsanspruch darauf hatte.
Seht, genau so wie der Sklave in völliger Abhängigkeit von seinem Herrn stand, so steht der Mensch zu Gott im Verhältnis völliger Abhängigkeit und kann ihm deshalb nicht mit Forderungen gegenübertreten oder auf seine eigen Leistungen pochen, er ist Gott gegenüber immer nur der Empfangende, Gott aber ist der absolute Herr. Freilich wissen wir, dass dieser Herr nicht die Launen eines antiken Sklavenhalters hat, sondern es mit dem Menschen unendlich gut meint, das ändert aber nichts am Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen.
Aber ist denn dieses Bild von Gott richtig? Passt es denn noch in unsere Zeit? Wird da unser Glaube nicht überfordert? Ist man heute nicht über ein Denken in den Kategorien von Herr und Sklave weit hinaus? Und wir müssen zugeben: Sklaverei war etwas Unmoralisches, weil schließlich jedem Menschen, auch dem Ungebildetsten und Ärmsten, die gleiche Menschenwürde zukommt. Und man ist heute längst über Sklaverei und Leibeigenschaft hinaus. Der Arbeiter, der Lohnempfänger, hat seine Abhängigkeit vom Arbeitgeber durch soziale Arbeitsgesetze, durch Tarif- und Kollektivverträge auf ein erträgliches Maß herabgeschraubt und ist dabei, seine Abhängigkeit vom Arbeitgeber noch weiter zu mildern, etwa durch Mitbestimmung.
Gott gegenüber dürfen wir aber ja nicht meinen, wir könnten unsere völlige Abhängigkeit von Ihm mildern und allmählich ganz abschütteln. Gott bleibt immer unser Herr und wir bleiben immer seine Knechte, seine Sklaven in absoluter Abhängigkeit von ihm. Gewiss meinen manche heute, auch am Gottesbild dürften nur noch Züge festgehalten werden, die Reflexe unseres partnerschaftlich geprägten Gesellschaftsbewußtseins sind. Manche meinen tatsächlich auch in der praktischen Einstellung, Gott als einen ihnen gleichgestellten Partner sehen und behandeln zu dürfen. Ja, manche gehen sogar noch weiter und drehen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch völlig um, so dass dann Gott nicht mehr nur als gleichberechtigter Partner, sondern als Knecht behandelt wird. Wie oft erleben wir es doch, dass Menschen, die sich jahrelang nicht mehr um Gott und sein Gebot, um Gott und die ihm schuldige Verehrung im Gebet und Gottesdienst gekümmert haben, bei Schicksalsschlägen und Heimsuchungen auf einmal wieder zu beten beginnen und so tun, als ob nun Gott schnell schnell zu Hilfe kommen müsste nach Art eines Hausknechts, dem man nur zu pfeifen braucht.
Nein, wer so von Gott denkt und so Gott behandelt, bei dem fehlt es weit am richtigen Glauben. Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch bleibt immer das Verhältnis zwischen völlig ungleichen Partnern. Und will man dieses Verhältnis beschreiben, wird man zuletzt doch immer bei dem landen, was uns Christus im Gleichnis vom Sklaven im heutigen SoEv sagen will: Gott ist der absolute Herr und wir sind seine Knechte, seine Sklaven, die auch dann noch, wenn sie in allem den Willen ihres Herrn erfüllt haben, sich sagen müssen, dass sie unnütze Knechte sind und keine Forderungen stellen, können. Aber Gott hat — daran dürfen wir ganz fest glauben — diesen armseligen Sklaven Mensch in unbegreiflicher Liebe angenommen und zu seinem Kind, ja sogar zu seinem Freund gemacht. Christus sagt ausdrücklich zu jenen, die seine Brüder und Jünger geworden sind: "Nicht mehr Knechte nenne ich euch, sondern Freunde!" Und er hat uns die Kunde vom gütigen Vater im Himmel gebracht, zu dem wir "getreu seinem Auftrag" zu sprechen wagen: "Vater unser im Himmel..."
Aber immer müssen wir uns dabei bewusst bleiben, dass wir Gott gegenüber keine Forderungen zu stellen haben und auf keine Leistungen und Verdienste pochen können. Nicht Vertrauen auf die eigene Leistung ist der wahre, echte Glaube, sondern das bereitwillige Sich—ausliefern an diesen Herrn, der es gut, unendlich gut mit uns meint wie der beste Vater. Für solchen Glauben schenkt Gott immer wieder seine Gnade! Das wollte uns Christus lehren im heutigen SoEv. Beherzigen wir es und bemühen wir uns wieder mehr darum in der Kraft jenes Sakramentes, das wir mit vollem Recht "Mysterium fidei, Geheimnis des Glaubens" nennen.