24. Sonntag im Jahreskreis – C
gehalten in St. M. Loreto am 15.9.1974
Das dreifach Verlorene und Wiedergefundene, so könnte man das heutige SoEv überschreiben, oder: Die suchende Sünderliebe des Heilands und seiner Mutter. Man hat diese drei Gleichnisse des Herrn von dem verlorenen Schaf, von der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn die Perlen im kostbaren Gleichnis-Schatz des Heilands und „das Evangelium in den Evangelien“ genannt. Die Ausdruckskraft und Anschaulichkeit dieser drei Gleichnisse, vor allem des dritten ist so groß, ihr religiöser Gehalt so tröstlich für uns alle, dass man sie immer wieder überdenken sollte.
Was uns dabei gesagt werden soll, ist klar: Es wird uns gezeigt, wie ergreifend groß und letztlich unbegreiflich Gottes verzeihende Liebe gegen die Sünder ist. Gott freut sich mehr darüber, wenn er einem Sünder verzeihen kann, als wenn er einen Gerechten belohnen kann! Gott schenkt seine Liebe voller Freude auch und gerade denen, die seine Liebe eigentlich überhaupt nicht verdienen.
Sehen wir uns kurz die drei Gleichnisse, die an sich auch ohne Erklärung zu verstehen sind, näher an:
1) Das Gleichnis vom verlorenen Schaf: Ein schriftkundiger Kenner des Hl. Landes, P. Gebhard Heyder, erzählt, wie er im Spätsommer einmal am Südosthang des Karmelgebirges einen arabischen Hirten beobachtete, der müde, aber mit strahlendem Gesicht auf seinen Schultern ein kleines Schaf heimwärts trug. Es hatte sich in den Bergen auf einer steilen Felswand verirrt. Der Hirt hatte den Verlust erst gemerkt, als er mit der Herde bereits im Tal unten bei der Tränke angekommen war. Dort "ließ er die 99 zurück" und stieg dem verlorenen Schäflein nach. Die Freude über das Wiedergefundene sah man ihm deutlich an. Der gute Hirte geht dem verlorenen Schaf nach und sucht und sucht, bis er es findet. Die Liebe und Verbundenheit mit seinen Schafen treibt den Hirten zum unermüdlichen Suchen an. Das ist ein Gleichnis für die weltweite Erlöserliebe Christi, die sich um jede verirrte Menschenseele sorgt; auch der verlorenste Mensch kann noch gerettet werden, sofern er nur reumütig umkehren will. Seine Heimkehr in den Schafstall Christi löst sogar bei den Engeln im Himmel jubelnde Freude aus, weil sie sehen, wie wiederum ein leerer Sitz ihrer abtrünnigen Gefährten besetzt wird.
Der Heiland schließt dieses 1. Gleichnis mit dem gewichtigen Satz: "Im Himmel ist mehr Freude über einen einzigen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen". - Die "Gerechten, die der Buße nicht bedürfen", sind die Pharisäernaturen, die ihre Sündhaftigkeit nicht einsehen wollen, es sind die Selbstgerechten, Scheinheiligen, an denen weder Christus noch der Himmel Freude haben können. Sind wir nicht alle arme Sünder, die gar sehr der verzeihenden Liebe und der suchenden Sorge des barmherzigen Gottes bedürfen? Leider werden wir, die wir noch praktizieren, gar leicht von der pharisäischen Selbstgerechtigkeit befallen, in der wir zwar um die Bekehrung der Sünder beten, es aber dann, wenn sich einer wirklich bekehrt, nicht recht glauben wollen, ihn argwöhnisch von oben herab mustern, geringschätzig von ihm denken, statt sich von Herzen zu freuen, so wie sich der gute Hirte freut...
2) Das Gleichnis von der verlorenen Drachme: Eine Drachme war in der Antike eine kleine Münze, in unserer Währung etwa ein Fünf-Schilling Stück. Zehn Fünf-Schilling-Münzen besaß diese kleine Rentnerin. Eine hatte sie verloren. Vielleicht brauchte sie auch dieses Geldstück bitter notwendig, um sich beim Arzt eine Medizin zu kaufen. Nun zündet sie - weil es während des Suchens finster geworden ist - ein Licht an und kehrt ihr ganzes, bescheidenes Heim aus und sucht und sucht. Und wirklich nach langem, bangem Suchen findet sie das Geldstück. Die Freude ist so groß, dass sie es nicht mehr für sich behalten kann, sie musste ihren Freundinnen und Nachbarinnen mitteilen: Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte! Dass auch eine kleine Münze so emsig gesucht wird, will sagen, dass Christus auch der kleinsten von der Welt geringgeschätzten Menschenseele mit nimmermüder Sorge und Liebe nachgeht. Dieses Bild von der Frau, die da so emsig nach der verlorenen Drachme sucht, mag Jesus vielleicht schon als Knabe an seiner Mutter oder an einer Nachbarsfrau beobacht haben. Im übertragenen Sinn können wir in der suchenden Frau auch die Mutter Kirche sehen, der Christus sein Hirtenamt und seine Hirtensorge übertragen hat. Insofern dann Maria "die Mutter der Kirche" ist, dürfen wir sie als die persönliche Sachwalterin und "Frau" im Hause Gottes betrachten. Mit der Hirtenliebe ihres göttlichen Sohnes durchstöbert sie "sorgfältig" die letzten Winkel dieses großen Hauses, bis sie die letzte und verlorenste Seelen-Münze gefunden hat; es trägt ja auch die verlorenste Seele noch die - wenn auch verwischten - Züge des Bildes ihres göttlichen Sohnes und es ist ja auch für diese Seele das kostbare Blut Jesu vergossen worden; Maria aber hat auch für diese Seele in mütterlicher Liebe unter dem Kreuz ihres Sohnes ihre Tränen vergossen. Von daher trägt Maria mit Recht die Ehrentitel "Mutter der Barmherzigkeit“ und "Zuflucht der Sünder", die das Gebet um die Bekehrung der Sünder so dringend in Fatima empfohlen hat.
3) Das Gleichnis vom verlorenen Sohn! Wie viel wäre zu diesem schönsten Gleichnis Jesu zu sagen: Ein Mann hatte zwei Söhne; da sprach eines Tages der jüngere von ihnen zum Vater: "Vater, gib mir vom Erbe den Vermögensanteil, der mir zusteht!" Da teilte er das Vermögen unter die beiden Söhne auf. Wenige Tage darauf raffte der jüngere Sohn alles zusammen und wanderte aus in ein fernes Land. Und dort verschwendete er sein Vermögen durch ein ausschweifendes Leben. Aber als er alles verschwendet hatte in liederlicher Gesellschaft, stand er bald allein und verlassen da. Keiner seiner liederlichen Genossen nahm ihn in sein Haus auf. Dazu brach auch noch eine schwere Hungersnot in jenem Lande aus, das Brot wurde teuer, die Verdienstmöglichkeit wurde gering. "Er fing an zu darben", er fing an Not zu leiden. Er, der Sohn eines reichen Gutsbesitzers, der nun bettelarm geworden war, verdingte sich an einen Bürger jenes Landes. Dieser schickte ihn auf seine Felder, die Schweine zu hüten. Tiefer könnte ein gläubiger junger Jude aus reichem Haus gar nicht sinken, als dass er sich mit Schweinen, die doch zu den unreinen Tieren zählen, abgeben musste und zuletzt froh gewesen wäre, von dem seinen Hunger stillen zu können, was er den Schweinen als Fraß vorwerfen musste, aber auch das war ihm verwehrt und versagt. Wie ist da doch anschaulich geschildert, wie die Sünde entehrt und enterbt und das Gotteskind bei den Schweinen landet.
"Da ging er in sich", heißt es nun im Gleichnis. Mit dem knurrenden Magen meldet sich auch das mahnende Gewissen, das durch Laster und Leidenschaft zum Schweigen gebracht worden war. Es beginnt die Gewissenserforschung. Der Verirrte denkt zurück an Heimat und Vaterhaus, wo sein jugendlicher Übermut es nicht mehr ausgehalten hatte und ihm die gute Hausmannskost nicht mehr geschmeckt hatte. Jetzt aber lief ihm das Wasser im Munde zusammen, wenn er auch nur an das trockene Stück Brot in der Hand eines Taglöhners auf dem Hof seines Vaters dachte. Mit dem Gedanken an die Heimat wurde auch die Sehnsucht nach ihr wach.
"Ich will mich aufmachen", will aufstehen aus meinem Elend, will mich mit letzter Kraft aufraffen und den weiten Heimweg zu meinem Vater antreten, so überlegte nun der verlorene Sohn. Sein Stolz und Übermut von ehedem war gebrochen durch bitterste Not. Es begann die Reue, das Umdenken, die Bekehrung. Er wollte vor einem öffentlichen Sündenbekenntnis nicht zurückschrecken. Vor Himmel und Erde, vor Gott und den Menschen wollte er sein lautes „Mea culpa“ sprechen. "Ich bin ja nicht einmal mehr wert, dein Sohn zu heißen, Vater. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner!“
Es bleibt nicht bei Reue und Vorsatz, er macht Ernst mit der Umkehr, mit der Bekehrung. Er trat den weiten Heimweg an. Kaum aber nähert er sich der Heimat, da "erblickt ihn der Vater von ferne" und sein Herz wird von Mitleid gerührt, er eilte dem heimkehrenden Sohn entgegen und überschüttet ihn dann nicht etwa mit Schimpf und mit Vorwürfen, sondern mit den Ausdrücken zärtlichster Vaterliebe. Er fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Diesen Empfang hatte der reuige Heimkehrer nicht erwartet. Der Sohn aber, der bereits die verzeihende Liebe des Vaters so ergreifend erfahren hatte, fühlt sich dennoch zu einem reuigen Sündenbekenntnis verpflichtet, er entwindet sich der Umarmung des Vaters, fällt vor ihm auf die Knie nieder und legt laut seine Beichte ab: "Pater, peccavi!" Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir! Er fühlt sich nicht frei von der Sündenlast, solange er sie nicht auch gebeichtet und sich gleichsam die schwere Schuld von der Seele geredet hatte. Gerührt durch dieses reumütige Sündenbekenntnis gibt der Vater nun gerne die volle Lossprechung und gewährt die Wiederaufnahme in das Elternhaus, und zwar nicht etwa wie dem letzten Taglöhner, sondern wie dem Sohn, der wieder äußerlich und innerlich in alle Sohnesrechte eingesetzt wird. Nur reine Freude erfüllt das Vaterherz über die glückliche Heimkehr des verlorenen Sohnes.
An der Geschichte des verlorenen Sohnes kann jeder Mensch seinen eigenen Lebensweg von Gott weg und zu Gott zurück ablesen. Die Sünde ist Trennung von Gott, die Gewissenserforschung, die Reue und das Eingestehen seiner Verfehlung in einem demütigen Sündenbekenntnis führt wieder zurück zu Gott. So gut ist Gott, so barmherzig! Er verzeiht in unendlicher Liebe!
Gott freut sich nicht über die Sünde, diese hasst er und bestraft er. Gott freut sich auch nicht über den Sünder, der sich lieblos und undankbar von ihm getrennt hat.
Gott hat aber für den, der seine Sünden bereut, eine unendlich große langmütige, verzeihende Liebe. Gott schaut unentwegt nach der Umkehr der Sünder aus!
Ob wir, die wir das unverdiente Glück haben, im wahren Glauben und in der Gnade Gottes zu sein, nicht auch wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn Ausschau halten sollten nach den Sündern? Beten und opfern für die Bekehrung der Sünder?! Es sollte uns ein Herzensanliegen sein. Die Sorge, die Seelsorge um jene, die in Gefahr sind, auf ewig verloren zu gehen! "Suchen und retten, was verloren war!" Das ist die Art des Guten Hirten, das ist die Art der suchenden Mutter, das
ist die Art des wartenden Vaters. Helfen wir dem Guten Hirten, helfen wir der Mutter Kirche und der Mutter der Kirche, der Mutter der Barmherzigkeit, helfen wir dem himmlischen Vater beim Suchen und Heimholen der verlorenen Schafe, der verlorenen Söhne und Töchter.