23. Sonntag im Jahreskreis – C

gehalten in Parsch am 5. September 1971

 

„Wenn jemand zu Mir kommt, muss er Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sich selbst gering achten, sonst kann er nicht Mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und Mir nachfolgt, kann nicht Mein Jünger sein! ... Keiner von euch, der nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet, kann Mein Jünger sein!“

Wer ist doch dieser, der solch radikale Forderungen stellt? Es ist der menschgewordene Sohn Gottes, der allein ein Recht hat, solche Forderungen für seine Nachfolge zu stellen. Aber was sagen Sie dazu, die Sie Ihre Familie, Ihr Geschäft, Ihren Besitz haben? Alles verlassen, auf alles verzichten, um Jesus nachzufolgen. Sicher denken Sie sofort: "Das ist doch sinnlos, das kann doch niemand von Mir verlangen! Das ist doch eine Überforderung sondergleichen!" Und wir alle lehnen insgesamt sehr schnell diese Bedingungen der Nachfolge Christi ab oder sagen höchstens: ,,Für Priester und Ordensleute mag das angehen, aber doch nicht für Weltleute. Wo kämen diese da hin?! Und es können doch nicht alle Familienväter es so machen wie der Schweizer Heilige Bruder Klaus von Flüe, der seine Frau, seine 10 Kinder und seine Landwirtschaft verließ, um in der Stille der Einsiedelei des Ranft in Flüeli Gott anzubeten. Die meisten schütteln, wenn sie so etwas hören, den Kopf und finden solche Handlungsweise unbegreiflich. Und doch hat dieser Heilige nichts anderes getan als dass er ernst gemacht hat mit dem heutigen Evangelium. Und der Kleinbauer und Mesner Franz Jägerstätter in dem kleinen Innviertler Ort St. Radegund an der Salzach hat ebenfalls nach dem heutigen Evangelium gehandelt: Als er 1943 zum aktiven Wehrdienst einberufen wurde, weigerte er sich, einzurücken, weil ihm sein Gewissen verbiete, an einem ungerechten Krieg teilzunehmen und den Eid auf Hitler zu schwören. Nach einem Kriegsgerichtsprozeß in Berlin wurde er zum Tod verurteilt. Man erinnerte ihn an seine Frau und seine kleinen Kinder; er solle wenigstens ihretwegen nachgeben, solle um Begnadigung ersuchen und an die Front gehen. Er aber erklärte, Gott mehr gehorchen zu müssen.

Sehen Sie, das sind Fälle, wo Menschen, vom Anruf Gottes gepackt und überwältigt, mitten in der Welt ganz ernst gemacht haben mit dem heutigen Evangelium und mit dem Wort des Herrn: „Wenn jemand zu Mir kommt, muss er auf alles verzichten!“ „Ja, das sind Ausnahmen“, sagen wir dann gleich sehr schnell. „Von uns aber kann man das nicht verlangen!“ Richtig! Und doch, etwas von der Bereitschaft, aus Liebe zu Gott, aus Liebe zu Christus das und jenes, was uns lieb und teuer ist, aufzugeben und darauf zu verzichten, müsste in allen Christen – ganz gleich, ob Priester, Ordensleute oder Laien – spürbar sein, sonst wäre unser Christentum nur Schein und Farce und unsere Gottesliebe nicht echt, die doch so sein müsste, dass wir Gott und Christus lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus unserem ganzen Gemüt und aus allen unseren Kräften. Wie hängen wir manchmal an Dingen, an Menschen, an Gewohnheiten usw., und auf einmal, ganz unerwartet und plötzlich, heißt es alles aufgeben und verlassen. Ich denke an die Millionen Menschen, die beim Zusammenbruch im Frühjahr 1945 in Polen, in der CSSR, in Schlesien, in Jugoslawien vertrieben wurden und kaum das Lebensnotwendigste mitnehmen durften...

Ich denke an einen schwer verwundeten Soldaten aus Schlesien im Lazarett. Ich bot ihm als Lazarett-Pfarrer die hl. Sakramente an. Er lehnte ab mit der Bemerkung: Ich bin nicht mehr katholisch. Dabei sah ich und spürte ich, wie er sich nach dem Trost im Empfang der hl. Sakramente sehnte. Ich bemerkte, er könne doch wieder katholisch werden. Darauf seine Antwort: Herr Pfarrer, das geht nicht, denn das war die Bedingung meiner protestantischen Großeltern: Nur wenn ich aus der katholischen Kirche austrete, setzen sie mich als ihren Erben ein. So hing er an einem Vermögen, das ihm noch gar nicht gehörte, und verleugnete dafür seinen katholischen Glauben. Das Vermögen aber konnte er nie in Besitz nehmen, weil er nie mehr nach Schlesien zurückkam.

Und geht es nicht in jeder schweren Sünde, die wir begehen, genau so? Irgendeinen irdischen Vorteil, irgendeine Befriedigung unserer Leidenschaften schätzen wir höher ein als die Verbundenheit mit Gott, mit Christus durch die Gnade und durch die Treue gegen sein Gebot.

Und wie oft ist das heute in unserer Wohlstandsgesellschaft der Fall: Auf nichts kann man verzichten, jedes Opfer, und wäre es noch so klein, ist gleich zu groß. Die Lebensform eines kompromisslosen Christentums in absoluter Treue gegen Gottes Gebot dünkt viel zu hart und zu schwer. Und doch gilt das Wort des Herrn im heutigen Evangelium: Wer in die Jüngerschaft Jesu eintritt, muss sich um dieser höheren, wichtigeren und wesentlicheren Bindung willen, die ihn ganz anfordert, von allen bisherigen Bindungen, wenn es sein muss, freimachen, er muss das Kreuz des Opfers, des Verzichtens, der Selbstbeherrschung, der Enthaltsamkeit auf sich nehmen, er muss sich solidarisch erklären mit dem sich hinopfernden, leidenden, kreuztragenden und sterbenden Herrn.

Wert und Unwert eines Menschen, erst recht eines Christen, eines Katholiken, tritt immer erst dann zu Tage, wenn ihm Opfer abverlangt werden.

"Opfergeist ist das Christlichste am Christentum", hat der +Kardinal Faulhaber von München gesagt. Das will man heute, in dieser Zeit, wo bis herein in den Raum der Kirche alle Grundsätze, alle Glaubenssätze aufgeweicht und alle Gebote und Forderungen entschärft werden, um ja noch anzukommen, nicht mehr wahrhaben. Und doch, ein Christentum ohne Opfer, ohne Kreuz, ohne Verzicht aus Liebe zu Gott und um der Nachfolge Christi willen, ist kein Christentum mehr, sondern ein harmloser Humanismus. Und jene Priester– und Ordensleute, die da aufbegehren mit dem Konzil gegen den Zölibat und die Ordensgelübde, die weggingen aus ihrem hl. Beruf und heirateten, nachdem sie vorher schon in Wort und Tat gegen jeden Verzicht und gegen jedes Opfer Propaganda gemacht haben, sind bedauernswerte Verfälscher des echten Christentums und haben nie verstanden, was es heißt, Ernst zu machen mit der Nachfolge Christi im Sinn des Wortes des Herrn im heutigen SoEv. Gott sei Dank gab es und gibt es in großer Zahl auch noch andere Priester und Ordensleute. Zwei Beispiele können das vielleicht ein wenig klar machen:

1. Im spanischen Bürgerkrieg wurden vor 40 Jahren am 21. Juli 1936 im Priesterseminar zu Malaga (in Spanien) von den roten Milizsoldaten etwa 40 jüngere Geistliche gefangengenommen, die dort zu Exerzitien versammelt waren. Der Regens des Priesterseminars, Don Enrique, befand sich unter den Gefangenen. Am 31. August suchte die Mordkommission ihre Opfer unter den 40 Priestern aus. Unter den zur Hinrichtung Bezeichneten befand sich auch ein junger, kranker Priester. Seine Mitgefangenen baten die roten Milizsoldaten, sie möchten doch diesen schonen. "Gut", meinte einer der Mörder, "aber dann muss ein anderer an seine Stelle treten!" Sofort bot sich der Regens des Priesterseminars, Don Enrique, an. Von den Kugeln der Revolutionäre durchbohrt sank er bald darauf als Martyrer des Priestertums und der Nächstenliebe zu Boden. Und das Geheimnis dieser heroischen Opfergesinnung? Das Ernstmachen mit dem Heilandswort im heutigen Evangelium. Bezeichnenderweise stand auf dem Querbalken des gewaltig großen Kreuzes in der Seminarkapelle in goldenen Buchstaben der Satz: "Guter Hirte, gib uns Hirten, die bereit sind, ihr Leben für ihre Schafe hinzugeben!" Das Verlangen der Priesterkandidaten in diesem spanischen Priesterseminar, "Priesterhostien" zu werden, unterzeichneten sie mit ihrem Blut, an erster Stelle der Regens des Seminars.

Und das 2. Beispiel: In Reims in Frankreich kam vor einigen Jahren der sozialistische Stadtrat in das von kath. Ordensschwestern geleitete Haus der Barmherzigkeit für unheilbare Kranke: Als die Herren den 1. Saal betraten und die von Krebs zerfressenen Kranken sahen, hatten sie schon genug und waren froh, als sich die Tür hinter ihnen wieder schloss; aber die Oberin führte sie in den 2. Saal, wo Kranke mit noch ärgeren Leiden gepflegt wurden. Die Herren gingen noch schneller durch, aber sie kamen sofort in einen 3. Raum. Dort zogen sie rasch ihre Taschentücher, denn es schien ihnen unerhört, was die hier liegenden Kranken den Geruchsnerven zumuteten. Die Oberin aber führte die Herren noch in eine weitere Abteilung, wo die schrecklichsten Krankheitsbilder zu sehen waren. Die Besucher kamen bleich und schweigend heraus. Da fragte endlich einer der Herren die Oberin, wie lange sie schon hier sei. Auf ihre Antwort, dass sie nun 40 Jahre in diesem Haus der Ärmsten der Armen diene, fragte er weiter: "Und woher nehmen Sie den Mut zu einem solchen Opferleben?" Statt einer Antwort deutete die Oberin nur stumm auf die Kapelle, wo Christus im Tabernakel unter den Seinen weilte.

Die Folgerung aus diesen Beispielen von Menschen, die im Priester- und Ordensstand Christus in Treue nachgefolgt sind? Wer ist größer: der bisherige Regens des Wiener Priesterseminars, der geheiratet hat und weggegangen ist, oder jener Märtyrer-Regens des Priesterseminars von Malaga, der seinen Priesterkandidaten bis in den Tod vorgelebt hat, was es um die Nachfolge Christi ist?

Wer ist größer: P. Adolf Bormann, der – nach großen Opfern, die er als Missionar im Kongo gebracht hat – vor einiger Zeit in der Heimat eine Ordensfrau, die ihre hl. Gelübde brach, heiratete, oder jene Oberin im Haus der unheilbar Kranken in Reims, die durch 40 Jahre lang treu und opferbereit den Ärmsten der Armen diente, ernst machend mit der Nachfolge Christi bis zum Äußersten?

Beten wir, liebe, Brüder und Schwestern, dass den Priestern und Ordensleuten, den Eheleuten, den jungen, noch begeisterungsfähigen Menschen und allen Christen, die es noch ernst nehmen mit ihrem Christentum, der Opfergeist, der Geist des Verzichtes, der Entsagung, der Geist der Kreuzesliebe nicht abhanden kommt in dieser Zeit der Wohlstandsverwahrlosung und des praktischen Materialismus, der wie ein schleichendes Gift die Substanz des Christentums in unseren Landen zerfrisst! Nehmen wir es – jeder in seiner Art, in seinem Beruf, in seinem Stand mit der Nachfolge Christi und mit dem Kreuztragen ernst! Nur im Kreuz allein liegt Heil und Segen! Amen