18. Sonntag im Jahreskreis - C
gehalten in St. M. Loreto am 4.8.1974
Ein Evangelium haben wir gehört, das ausgezeichnet in die gegenwärtige Erntezeit, aber ganz besonders in unsere materialistische Zeit passt, in der so viele auf die Letzten Dinge, die so plötzlich an den Menschen herantreten können, und vor allem auf Gott ganz vergessen. Sehen wir uns das im Evangelium Berichtete näher an:
"Einer aus dem Volk, ein unbekannter, unbenannter Mensch — er könnte den Namen "Jedermann" tragen — wendet sich an Jesus mit einer recht sonderbaren Bitte: "Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen!" Es geht also um eine der üblichen Erbstreitigkeiten. Der Mann, der sich an Jesus wendet, fühlte sich durch seinen Bruder schwer benachteiligt. So soll Jesus eine Entscheidung fällen.
Der Herr aber weist das Ansinnen ganz energisch zurück: "Mensch, wer hat mich denn zum Richter oder Erbteiler über euch eingesetzt?" Gott hat mich dazu nicht eingesetzt, Gott hat mich dazu nicht in die Welt gesandt, dass ich mich um eure Rechtshändel und Erbstreitigkeiten kümmere. Damit müsst ihr schon selber fertig werden.
Diese Intervention des Mannes, der sich in Erbangelegenheiten von seinem Bruder benachteiligt fühlte, nahm nun Jesus zum Anlass einer grundsätzlichen Belehrung: "Gebt acht und hütet euch vor aller Habsucht! Denn das Leben eines Menschen, was seine Dauer auf Erden betrifft, und erst recht das ewige Leben hängt nicht vom Vermögen, vom irdischen Besitz ab, mag der auch noch so groß sein.
Der Herr erzählt dann das Gleichnis vom törichten Bauern, der in seiner Habsucht ganz geblendet war Eine ausgezeichnete Ernte hatte so viel eingebracht, dass die alten Scheunen für die Aufnahme des Erntesegens nicht mehr reichten. Da führte der Bauer — vielleicht noch auf dem letzten gefüllten Erntewagen, mit dem er in die Scheune einfuhr, den er aber aus Platzmangel nicht mehr abladen konnte, ein Selbstgespräch, einen Monolog: "Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll...“ Nach einigem Überlegen sagt er sich: "So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen
Abreißen und größere bauen. Dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen." Dabei bewegt ihn der Hintergedanke: bei diesen riesigen Vorräten kann ich mir in Zukunft das Leben schöner als bisher machen. "Ich hab' ja nun einen großes Vorrat, der für viele Jahre reicht. Da will ich mich jetzt ausruhen, essen und trinken und es mir gut gehen lassen."
Kaum hat er dieses Selbstgespräch zu Ende geführt, wird aus dem Monolog ein höchst unangenehmer Dialog: Ein ganz unerwarteter, vergessener Gesprächspartner meldet sich plötzlich zu Wort. Es ist Gott. Er sagt zum Bauern: "Du Narr! Heute noch, in dieser Nacht noch wirst du abberufen und es wird Rechenschaft von dir gefordert!"
Mit dieser Möglichkeit, mit dem Tod, hat der Bauer, hat der Jedermann im heutigen SoEv nicht gerechnet.
Der Heiland schließt das Gleichnis mit der Feststellung: So wie diesem Bauern wird es jedem ergehen, der nur für sich selber Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich geworden ist!
"Gebt acht und hütet euch vor aller Habsucht!" Die Mahnung gilt uns allen, ob wir große Gehälter oder nur eine kleine Rente beziehen, ob wir wie Jedermann einen riesigen Gutshof oder nur eine bescheidene Eigentumswohnung zu eigen haben: Die Habsucht kann sich in das Herz eines Jeden schleichen, wir sind alle anfällig für diesen materialistischen Zeitgeist.
Habsucht, was ist sie denn? Das süchtige Suchen, immer mehr zu haben an irdischem, materiellem Besitz, wobei man auf die Tatsache vergisst, dass man bei allem, was man hat, nur Verwalter und Treuhänder Gottes ist und von ihm einmal, vielleicht schon bald, vielleicht ganz plötzlich zur Rechenschaft gezogen wird. — Die Habsucht ist meist verbunden mit der Gier, nicht nur immer noch mehr zu bekommene, sondern auch nichts mehr auszulassen und anderen nichts zu vergönnen. Die Habsucht ist meist verschwistert mit dem Geiz und mit dem Neid und vor allem auch mit der Unzufriedenheit, sowie mit der Gottvergessenheit und Todvergessenheit: Vor dem Horizont des Todes erweist sich alles, was ein Mensch erwirbt, als brüchig und unbeständig. Und wer das vergisst, vergisst allzu leicht auch auf Gott. Der Glaube erstickt im irdischen Wohlstand, der Glaube an Gott und an die letzten Dinge. Wir erleben es heute oft in erschütternder Weise. Kaum hat es einer zu Wohlstand gebracht, unterlässt er Gebet und Gottesdienst, vergisst auf Gott und vergisst, dass hinter seinem Rücken, wie bei Jedermann, der Tod steht. Und kaum ist ein bescheidener Wohlstand erworben, muss er weiter vergrößert werden, es schleicht sich die Unzufriedenheit ins Herz, bis auf einmal bei allem Raffen und Schaffen ein Herzinfarkt daherkommt und dem Menschen zeigt, mit wie wenig er eigentlich auskommt.
Ihr kennt doch sicher alle die vielsagende Erzählung des russischen Schriftstellers Leo Tolstoj, die die Aufschrift trägt: "Wie viel Erde braucht der Mensch?"
Es lebte einmal ein Bauer, der war sehr reich. Er hatte große Ländereien und Viehherden, aber glücklich war er nicht. Da hörte er, dass man bei den Baschkiren für eine Mütze voll Gold so viel Ackerland kaufen könne als man im Lauf eines Tages von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umschreiten könne. Als er das hörte, machte er sich auf den Weg in das Land der Baschkiren, nahm den Meisterknecht mit und eine Mütze voll Gold. Mit dem Häuptling der Baschkiren war der Vertrag bald abgeschlossen:
„Ja — wurde ihm gesagt — du kannst alles Land haben, das du vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umschreitest, aber unter einer Bedingung: Du musst pünktlich bei Sonnenuntergang wieder am Ausgangspunkt deines Weges sein, sonst bekommst du keinen Quadratmeter Land und das Geld verfällt uns." So lautete der Vertrag. Am nächsten Morgen stehen sie da und warten auf den Sonnenaufgang, der Bauer mit seinem Knecht, und die Baschkiren, und zwischen ihnen am Boden liegt die Mütze mit dem Gold. Kaum glüht der oberste Rand der Sonne am Horizont auf, da fängt der Bauer an zu wandern. Wie freut er sich, denn er wandert ja seinem Glück entgegen. Heute wird er ein reicher Mann werden. Aber vernünftig wie er ist, schont er anfangs seine Kräfte, um nicht vorzeitig zu ermüden und vor dem Ziel etwa zusammenzubrechen Als die Sonne über ihm steht, sagt er sich: "Nun ist die Hälfte des Tages vorüber, und ich müsste eigentlich den Kreis nach der anderen Richtung ziehen, allein ich habe mich vormittags geschont, um nachmittags dafür rüstiger ausschreiten zu können. Nun gilt's! Jetzt gebe ich an Kraft her, was ich habe." Und der Bauer wandert rascher, immer rascher. Die Sonne ist schon tief am Horizont hinabgesunken, da sieht der Bauer vor sich noch ein großes Stück Land mit tiefschwarzer Ackererde. Wie lacht ihm da das Her in der Brust! Auch das wird er noch in den Kreis seines Besitztums einbeziehen können. So viel Zeit und Kraft hat er noch; aber sputen muss er sich. Und wie er da über die Felder rennt, muss er daran denken, wie er seine Scheunen alle niederbrechen und neue, größere aufrichten wird. Und in diese neuen Scheunen werden die Erntewagen hineinschwanken, und auf den Erntewagen wird ihm das Glück in die Scheunen gefahren. Der unterste Rand der Sonne ist am Horizont gerade am Versinken, da sieht der Bauer, dass er noch gewaltig ausschreiten muss, um rechtzeitig zurückzukommen zum Ausgangspunkt seines Weges. Schon erblickt er von Ferne den Häutling der Baschkiren, der gespannt auf den Ausgang wartet. Der Bauer rafft seine letzten Kräfte zusammen, da ihm schon alles vor den Augen flimmert, er macht rasch noch einige Sätze, er kommt wirklich im allerletzten Augenblick noch zurück, aber beim letzten Schritt, den er macht, stürzt er zu Boden. Da liegt er neben der Mütze mit Gold. Ein Blutstrom quillt ihm über die Lippen. Noch einige Zuckungen, und der Bauer ist tot. Ein Herzschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Erschrocken fährt der Knecht auf und ringt jammernd die Hände. Der Häuptling der Baschkiren aber wirft dem Knecht eine Schaufel zu und sagt: "Hier, Knecht, grab deinem Herrn ein Grab, zwei Meter lang, zwei Meter tief und einen halben Breit. Das ist genug für ihn!" Ja, so viel Erde braucht der Mensch.
Leo Tolstoj hat großartig das Gleichnis des Herrn nacherzählt und ausgedeutet. Auf die Mahnung des Herrn hat er vergessen. Wir wollen sie nicht vergessen Der Herr sagt am Schluss des heutigen SoEv: "So geht es jedem, der nur für sich selbst und für die Erdenzeit Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist."
Vor Gott reich werden? Wodurch? Durch gute Werke, durch Werke der Barmherzigkeit! Durch selbstlose Güte und Liebe dem Mitmenschen, vor allem dem Ehepartner und dem Bruder in Not gegenüber! Reich werden vor Gott, d.h. Schätze sammeln für die Ewigkeit! Beherzigen wir es! Was uns der Heiland im Gleichnis, was uns Leo Tolstoi in seiner Erzählung gesagt hat, das sagt uns Hugo v. Hofmannsthal im Spiel von Jedermann: Nur der gelebte Glaube und die guten Werke retten uns in der Todesstunde und machen uns reich vor Gott. Amen.