17. Sonntag im Jahreskreis – C

gehalten in St. M. Loreto am 28.7.1974

 

 

"Jesus war einmal beim Gebet. Und als Er es beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu Ihm: „Herr, lehre uns beten..." So fängt das heutige SoEv an: Der betende Heiland – und ein Jünger Jesu, der von dem Anblick des betenden Meisters zu tiefst ergriffen war und nun in sich das Verlangen spürte, auch so beten zu können. Da kommt dann über seine Lippen eine großartige Bitte: "Herr, lehre uns beten...". Und der Heiland darauf: "So sollt ihr beten: Vater unser..." Der Herr lehrt die Jünger und uns alle das kostbarste, inhaltsreichste, vielsagendste Gebet. Daran knüpft der Herr noch die Mahnung, dass unser Beten vertrauensvoll und beharrlich sein soll.

Ich möchte da nun in meiner Predigt nicht das Gebet des Herrn, das Vaterunser kommentieren, obwohl das immer wieder wertvoll und wichtig ist. Ich möchte heute einmal ganz allgemein über das Gebet sprechen und das, was ich da sagen möchte, in folgende zwei Sätze zusammenfassen: 1. Denkende Menschen waren allezeit auch betende Menschen. Und 2. Betende Menschen sollten aber auch denkende Menschen sein.

Zum Ersten: Denkende Menschen sind allezeit auch betende Menschen gewesen!

Mit diesem Satz möchte ich vor allem an die Notwendigkeit des Gebetes erinnern. Es gibt heute viele Menschen, die damit prahlen, dass sie nicht mehr beten und die behaupten, dass das Gebet eine überlebte Angelegenheit sei, etwas vielleicht noch für Kinder und Greise oder höchstens für bigotte Frauen, die man dann so verächtlich "Betschwestern" nennt; aber das Gebet sei nichts für vernünftige, richtig im Leben stehende, moderne Menschen.

Solchen Zeitgenossen, die so reden, möchte ich es entgegenrufen und förmlich in die Seele hineinschreien: Denkende Menschen waren allezeit auch betende Menschen und so wird es immer bleiben! Denn nur wer oberflächlich in den Tag hineinlebt und gedankenlos und glaubenslos dahinlebt, weiß nicht, wie notwendig das Gebet ist. Wann haben wir es mehr gespürt als in den vergangenen schweren Kriegszeiten, dass wir alle ganz und gar auf Gottes Gnade, auf Gottes Hilfe, auf Gottes Schutz und Beistand angewiesen sind? Gott macht aber seinen Segen vom Gebet der Menschen abhängig nach dem Wort des Heilands im heutigen Evangelium: "Bittet, dann wird euch gegeben!" Gott ist auch in dieser Hinsicht ein richtiger Vater, unser Vater im Himmel, der von seinen Kindern gebeten werden will, wenn sie von Ihm etwas erhalten und erlangen wollen, wenn sie etwas von Ihm wünschen und brauchen. Und wie viele Wünsche haben wir doch, wie viele Sorgen und Anliegen brennen uns allen auf der Seele in den leiblichen und geistig—geistlichen Nöten der Gegenwart! Wer kann denn helfen in allen Nöten und Sorgen, die über unsere eigenen Kräfte hinausgehen? Wer kann Kraft geben, um all das Schwere, das über Menschen und ganze Völker hereinbrechen kann, hinwegzukommen? Gott, der Allmächtige, allein! An Gottes Segen ist alles gelegen! Und wer etwa behaupten möchte, er wisse nicht, worum er beten solle und wozu er beten solle, der zeigt, dass er ein gedankenloser, oberflächlicher Mensch ist, ein Mensch, der nichts denkt, aber denkende Menschen sind betende Menschen, auch in unserer Zeit und gerade auch in unserer Zeit!

Ich könnte das noch weiter ausführen und könnte es am Beispiel großer Männer und Frauen aller Zeiten belegen, dass es wirklich so ist: Denkende Menschen waren alle Zeit auch betende Menschen, ganz gleich sogar in diesem Fall, ob sie Christen, Juden oder Mohammedaner waren oder sind. Ja, sogar unter denkenden Heiden finden wir betende Menschen. Es sind in letzter Zeit ein paar Bücher mit den schönsten Gebeten der Welt erschienen. Darin finden sich auch ergreifende Gebete von Heiden. Ein denkender Mensch weiß eben zu gut, wie sehr wir schwachen, hilflosen Menschen auf die Hilfe, auf den Beistand, auf die Erleuchtung von oben angewiesen sind und wie gut es dem kleinen Menschen ansteht, den großen Gott in einem demütigen Lobgebet zu verherrlichen und zu preisen. Mährend des Krieges hat man gerne das Wort des deutschen Generalfeldmarschalls Hindenburg zitiert: "Man kann es an der Front merken, wenn die Gebete im Hinterland nachlassen!" Hindenburg war kein Katholik, wohl aber ein denkender, gläubiger evangelischer Christ. Ein Großer im Reiche der Technik und Wissenschaft, Marcom, der große italienische Erfinder des Radio, sagte einmal: "Ich glaube an die Macht des Gebetes auch als Wissenschafter!" — Nach den weltlichen Grüßen könnte man vor allem noch hinweisen auf Wort und Beispiel der Heiligen und des Heilands selber. Es würde dadurch nur noch eindeutiger und klarer bewiesen, dass denkende Menschen zu allen Zeiten auch betende Menschen waren: Das Beten ist tatsächlich - wie man gesagt hat - das Atemholen der Seele. So notwendig wie für den Leib und das leibliche Leben das Atemholen ist, auf dass immer wieder frischer Sauerstoff in die Lungen gepumpt werde, so notwendig ist für die Seele das Gebet, auf daß immer wieder Gnade und Segen von oben in die Seele gelangt, damit sie nicht verkümmert und im Irdischen und Allzu-Irdischen oder in der Sünde und Leidenschaft verkommt und versinkt. Denkende Menschen sind auch betende Menschen! Seien wir uns der Notwendigkeit des Gebetes wieder voll bewusst und handeln wir danach! Geben wir vor allem unserem Tagewerk immer den rechten, gottgewollten christlichen Rahmen durch ein gutes Morgen- und Abendgebet! Pflegen wir ganz besonders auch die gute Meinung, jene Gebetsformen, du durch die auch unsere Arbeit in Gebet verwandelt wird, wenn wir alles nach Gottes heiligem Willen und zur größeren Ehre Gottes zu tun und zu verrichten uns vornehmen. Pflegen wir wieder mehr als bisher das gemeinsame Gebet in der Familie! In seinem neuen Apostolischen Mahnschreiben "Marialis cultus" über die rechte Pflege und Entfaltung der Marienverehrung vom 2. Februar 1974 schreibt Papst Paul VI. u. a. auch diesen wichtigen Satz : "Der Wiederentdeckung des theologischen Begriffes von der Familie als einer Art Hauskirche muss konsequenterweise das konkrete Bemühen folgen, in das Leben der Familie wieder das gemeinschaftliche Gebet einzuführen!" Die Väter und Mütter sollten wieder mehr vor ihren Kindern, mit ihren Kindern, für ihre Kinder beten, dann würde gleich vieles besser ausschauen in unseren Familien und in der Erziehung!

Nun noch zum zweiten Satz: Betende Menschen sollen auch denkende Menschen sein!

Wir sollen, um es mit anderen Worten zu sagen, bei unserem Beten nicht gedankenlos etwas herunterleiern und herunterplappern, sondern wirklich mit unseren Gedanken dabei sein! Wir sollen also andächtig beten. Das Wort "andächtig" will ja nichts anderes besagen als "an das denken", was man spricht im Gebet. Wir sollen wirklich unser Beten zu einem andächtigen, frommen, vertrauensvollen Sprechen mit Gott und seinen Heiligen machen. Darauf kommt es an, wenn wir unserem Beten auch die Erhörung sichern wollen! Vergessen wir es doch nicht: Wenn unser Gebet oft nicht erhört wird, so liegt die Schuld daran nicht beim Gebet als solchem, weil es angeblich ja doch nichts nützt und hilft. Die Schuld liegt dann auch nicht bei Gott, wie so viele meinen, die sich nur in äußerster Not zum Beten aufraffen und dabei meinen, Gott müsste wie ein braver Hausknecht sofort hilfreich zur Stelle sein, wenn man ihm pfeift. Die Schuld dafür, dass das Gebet nicht erhört wird, liegt immer bei uns selbst, weil wir nicht richtig gebetet haben.

Der Grund, warum unsere Gebete oft keinen Erfolg haben und nicht erhört werden, kann ein dreifacher sein:

a)       entweder haben wir, die wir gebetet haben, nichts getaugt, oder

b)       es hat die Art unseres Betens nichts getaugt, oder

c)       es hat das nichts getaugt, worum wir gebetet haben.

Nach diesen drei Dingen muss man fragen, wenn man meint, im Gebet nicht erhört worden zu sein:

a) Nicht Gott war daran Schuld, sondern höchstwahrscheinlich hat der Beter nichts getaugt, als er betete. Denn wenn der Mensch in Feindschaft mit Gott durch die schwere Sünde lebt und in diesem Zustand zu beten beginnt, wie darf er da erwarten, dass Gott seinem Beten Erhörung schenkt? Es ist, wie wenn ein Kind, das seinem Vater durch fortgesetzten Ungehorsam und durch ein ausgelassenes, lasterhaftes Leben nur Kummer und Sorge bereitet, auf einmal mit allen möglichen Wünschen und Anliegen an den Vater herantritt. Der Vater wird in einem solchen Fall sagen: Benimm dich zuerst einmal anders, sei brav und ordentlich und mach mir mehr Freude und weniger Schande, dann kannst du alles von mir haben, so aber nicht! Seht, liebe Brüder und Schwestern im Herrn, bei vielen Menschen ist es ganz ähnlich: Da gibt es sogenannte Christen, die Jahr für Jahr ihre Christenpflichten Gott gegenüber in erbärmlicher Weise vernachlässigen und sich um Gottes Gebot keinen Deut kümmern und ein Sünder— und Lasterleben führen und dahinleben, als ob es keinen Gott gäbe, der für sie jedenfalls Luft ist. Da kommt dann auf einmal eine schwere Prüfung und Heimsuchung über sie. Und nun, wie schon das Sprichwort sagt: Not lehrt beten, fangen sie wieder zu beten an und meinen, sofort, auf den ersten Augenblick auch schon erhört werden zu müssen und der Herrgott habe als braver Hausknecht sofort zu folgen. Nein, wenn solche Menschen in ihrem Beten nicht erhört werden, sollen sie nicht Gott die Schuld geben, sondern sollen aufrichtig zugeben, dass sie die Erhörung ihres Gebetes absolut nicht verdient haben, weil sie nichts getaugt haben vor Gottes Angesicht.

b) Vielleicht aber taugen wir etwas, vielleicht haben wir uns immer redlich bemüht, Gottes Gebote zu beobachten, ganze Christen zu sein und im Gnadenstand, in der Freundschaft mit Gott, in der Gotteskindschaf zu leben. Und nun merken wir, dass unsere Gebete dennoch nicht erhört worden sind. Da liegt dann der Grund dafür woanders. Da muss man sich dann fragen, ob auch die ganze Art unseres Betens etwas getaugt hat, ob die Art unseres  Betens vielleicht nur ein armseliges Geplapper, nur Lippengebet war, während unser Herz weit weg von Gott war, oder ob wir vielleicht nur brauchtumsmäßig, gewohnheitsmäßig unsere erlernten Gebetsformeln heruntergesagt haben, statt wirklich mit dem Herzen dabei zu sein; oder ob vielleicht unser Beten zu wenig demütig, zu wenig vertrauensvoll, zu wenig beharrlich war

c) Ein letzter Grund könnte freilich auch der sein, dass das nichts getaugt hat, worum wir beteten. Wir hatten uns etwas ganz Bestimmtes als das allein für uns Richtige und Wichtige eingebildet. Gott aber wusste, dass das für unser Seelenheil nur schädlich gewesen wäre. Nach Jahren, nach Jahrzehnten sehen wir manchmal ein, wie gut es war, dass Gott uns damals bei dem, was wir unbedingt mit unserem Beten erreichen wollten, nicht - oder sagen wir besser - , anders erhört hatte. Entscheidend ist ja in all unserem Beten nur, dass Gottes Wille geschieht, dass Gott verherrlicht wird und dass wir glücklich werden - nicht für diese kurze Erdenzeit, sondern für die Ewigkeit. Dazu braucht es Gottes Gnade, die sieben Gaben des Hl. Geistes und Ihn selber, den Hl. Geist, den Geist der Liebe. Ich kann es verstehen, dass ein großer Heiliger schließlich in seinem Bittgebet so weit gekommen ist, dass er nur noch betete: „0 Gott, ich liebe Dich und der einzige Lohn für meine Liebe sei der, dass ich Dich immer noch mehr liebe!Darum geht es wohl, wenn im heutigen SoEv am Schluss das Heilandswort steht: "Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern zu geben pflegt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel denen den Hl. Geist geben, die Ihn darum bitten". Ja, erbitten wir uns gegenseitig den Hl. Geist, den Geist der Liebe, der Gottes- und der Nächstenliebe, lernen wir immer mehr das rechte Beten und halten wir uns an den doppelten Satz: Denkende Menschen waren allezeit auch betende Menschen, betende Menschen sollen aber auch denkende Menschen sein.