6. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C
gehalten in St. M. Loreto am 12.2.1995
Die Bergpredigt – Manifest und Grundgesetz des Gottesreiches
Das 1.Kapitel Kirchengeschichte, von dem letztes Mal im Anschluss an Lk 5 die Rede war, geht weiter: Überblicken wir das Ganze noch einmal:
Lk 4: Jesus in der Synagoge von Nazareth - Man lehnt ihn ab. Er geht weg und gründet seine Kirche: im Boot des Petrus predigt der Herr, im Auftrag an Petrus wirkt Jesus das Wunder des Fischfangs. Und dem Petrus wird dann der Auftrag für ihn und seine Nachfolger zuteil: Von nun an sollst du Menschen fangen.
Heute Lk 6: Jesus auf dem Berg, wo er die ganze Nacht gebetet und dann in der Morgenfrühe die Wahl der 12 Apostel vorgenommen hat.
Nun steigt Jesus mit den 12 Aposteln den Berg hinab zu den Volksscharen aus Juden und Heiden, aus Jerusalem und vom heidnischen Küstengebiet von Tyrus: Arme, Notleidende, Unterdrückte, im Sinn der Welt zukurzgekommene Menschen sind ihm gefolgt, um sein Wort zu hören. Für diese soll nun die auf die Apostel und auf Petrus als dem Oberhaupt des Apostelkollegiums gegründete Kirche dasein! Nie hätte es die Kirche vergessen dürfen im Laufe ihrer Geschichte, dass sie vor allem für die Armen, die Entrechteten, die Kranken und Leidenden, die im irdischen Leben Zukurzgekommenen dasein muss nach dem Vorbild ihres göttlichen Stifters. Und immer war die Kirche im Lauf ihrer Geschichte dem Verhalten Jesu dann am nächsten, wenn sie sich mit den Armen und Entrechteten, Unterdrückten und ihrer Menschenwürde Beraubten beschäftigte und sich ihrer annahm.
So hat es Christus getan! So zeigte er es nun in der folgenden Bergpredigt: „Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: „Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes! Selig ihr, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen!“
Was ist es doch Großes und Gewaltiges um die Bergpredigt Jesu! Was aber haben daraus die Menschen vielfach gemacht? Eine harmlose Angelegenheit! Dabei ist die Bergpredigt das Grundgesetz für die Kirche Christi, das große Manifest des Reiches Gottes!
Manifest! Ja, unwillkürlich fällt einem der Vergleich ein mit einem anderen Manifest, das vor mehr als 100 Jahren erlassen wurde und aufwühlend und revolutionierend gewirkt hat: Das kommunistische Manifest Karl Marx‘s! „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Und dann folgt die Aufforderung zur Enteignung der besitzenden Klassen, zur Entmachtung der Mächtigen!
Hat Christus in seiner Bergpredigt nicht ähnliches gewollt? Steht er nicht doch wie ein Revolutionär da, wenn er in seiner Bergpredigt in die Masse der Armen und Unterdrückten, Zukurzgekommenen und Leidenden hineinruft: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich! Selig ihr, die ihr jetzt hungert, ihr werdet satt werden!
Selig ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen! Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, freut euch und jubelt, es kommt schon der große Zahltag für eure Unterdrücker!
Ja, was ist dieser Jesus? Worum geht es in seiner Bergpredigt? War dieser Jesus nur ein harmloser Wanderprediger? Oder ein Volksaufwiegler? Revolutionär? Oder was sonst?
Und die Bergpredigt: harmlose Predigt für kleine, beschränkte Leute? Oder Revolutionsmanifest? Oder was sonst!?
Selig ihr Armen...
Ist dieser Jesus nur ein Vertröster auf das Jenseits, der die Religion zur billigen Vertröstung der Armen macht, zum Opium für das Volk, zum Hasch für Zukurzgekommene, und ihnen Hoffnungen vorspiegelt, vorgaukelt, die den Willen der Armen und Unterdrückten zur Veränderung ihrer Notsituation nur lähmt?
Oder will er wirklich eine Revolution der Herzen, einen radikalen Gesinnungswandel in der Wertung der Mitmenschen, der Armen und Unterdrückten, auf deren Menschenwürde und Menschenrechte die Großen, die Reichen, die Mächtigen weithin vergessen haben?
Selig ihr Armen...
Oder will er sagen, dass die Armut zwar überwunden werden soll, aber dass es letztlich gar nicht auf Arm oder Reich hier auf Erden ankommt? Dieser Jesus ist sicher kein solcher Weltverbesserer gewesen, wie es sie schon zu Tausenden vor ihm gab und zu Tausenden nach ihm! Er vertröstete nicht die Armen mit einem schönen Märchenhimmel, wie ihn sich der Haschraucher ausmalt!
Dieser Jesus ist kein Revolutionär im Sinn von Karl Marx, der von einem allgemeinen Umsturz und von der Umkehr und radikalen Umstrukturierung aller Gesellschaftsformen sprach.
Das ist gemeint, wenn Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt das Jetzt und das Dann so kontraststark gegenüberstellt und betont, dass dem künftigen „Dann“ das Übergewicht zukommt vor dem Gegenwärtigen, dem „Jetzt“. Das „Jetzt“ in Armut und Leid, was bedeutet es schon, was wiegt es schon, wenn nun das „Dann“ des eigentlichen Lebens in der Ewigkeit nur richtig ausfällt!
Dort aber wird es dann die Umwertung aller Werte geben! Dieses „Dann“, wenn Gott über dich, über mich Gericht gehalten hat und die Ewigkeit begonnen hat, wird entscheidend sein, vergiss es nicht! Denk an das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus!
Selig ihr Armen...
Und das Wehe über die Reichen: „Wehe euch, die ihr jetzt reich seid, denn ihr seid bereits getröstet! Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern! Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet weinen und wehklagen!
Der Herr verurteilt aber nicht den Reichen schlechthin, sondern den, der sich in seinen materiellen Reichtum verliert und verbohrt und dabei ganz auf den Mitmenschen vergisst!
Umgekehrt, auch dem Reichen kann die Seligpreisung des Herrn gelten, wenn er der schweren Hypothek eingedenk ist, die auf seinem Reichtum zu Gunsten der Armen liegt, und wenn er wieder und immer wieder den Armen, den Unterdrückten, den Hungernden, den Leidenden, den Gequälten hilft mit Werken der leiblichen und geistlichen Barmherzigkeit!
Uns allen aber gilt der Dauerauftrag des Herrn: mitzuhelfen durch Güte, Liebe und Selbstlosigkeit, alles Leid und alle Armut auf Erden, soweit das möglich ist, zu überwinden. Es gelingt nicht durch einen revolutionären Gewaltakt, sondern in einem nicht überschaubaren Dauerprozess, der viel aktive Geduld, noch mehr Liebe und Selbstlosigkeit erfordert! Dazu hat sich Christus mit den Ärmsten der Armen identifiziert: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Und diesen Daueraftrag gab er seiner Kirche und uns allen, die wir die Kirche bilden! Dann, ja dann wird es gelingen, in der Kirche und durch die Kirche und alle ihre Glieder eine Revolution der Herzen durchzuführen. Und dann gilt das Wort des Herrn:
Freuet euch und jubelt, wenn das geschieht, denn euer Lohn wird groß sein im Himmel!
Wehe aber den Reichen, den Satten, den Übermütigen: sie werden dann hungern, weinen, wehklagen...
Und auch hier gilt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Das sind die, die mit dem armen Jesus arm geworden sind, geistig arm, vielleicht mitten im Reichtum, um den Armen, dem Bruder in Not, Freund und Helfer und Bruder zu sein!