26. Sonntag im Jahreskreis – LjB

gehalten in Parsch, am 27.9.1970

 

Ärgernis, das ist das große Stichwort in der Belehrung der Jünger, wie sie Jesus im heutigen SoEv vornimmt:

Es ist vom Ärgernisnehmen und Ärgernisgeben die Rede und zwar zuerst

1) vom Ärgernis der kleinen, engen Geister aus Eifersucht

2) vom Ärgernis, das den Kleinen, den schlicht und ein einfach Glaubenden gegeben wird:

a) durch die Untreue der Jünger Jesu (der Priester, die ihr Zölibatsversprechen brechen),

b) durch den Hochmut der Theologen, die Verwirrung stiften,

1) vom Ärgernis, das uns Auge, Hand und Fuß bereiten

2) vom Ärgernis, das wir anderen bereiten durch Mangel an Glaube und Liebe.

 

Aber sehen wir zuerst an, was denn Ärgernis eigentlich ist: Ärgernis (skandalon–Scandalum, Skandal): eigentlich das Stellholz einer Falle, dann die Falle, übertragen: das, was Anlass zum Straucheln und Stürzen wird. Moraltheologisch: das, was Entrüstung, Empörung hervorruft, ein Verhalten in Wort oder Werk, das seiner Natur oder den Umständen nach einem anderen an seiner Seele schadet, ihm Schaden zufügt, indem es ihm Anlass oder Anreiz oder Anleitung zur Sünde ist.

Auch ein an sich sittlich gutes Verhalten, z.B. Christi, seiner Kirche, seine Jünger, kann Ärgernis erregen, vor allem wenn es auf eine böse, unbußfertige oder geistig unreife, charakterschwache Haltung trifft. So haben die Juden daran Ärgernis genommen, dass Jesus Christus nicht als der Messias, wie sie ihn sich vorstellten und erwarteten, auftrat.

Paulus spricht (1 Kor 1,23) vor allem vom Ärgernis des Kreuzes Christi: Das Kreuz in seiner scheinbaren Sinnlosigkeit wurde den auf einen glorreichen Messias wartenden Juden zum Ärgernis, den weisheitsstolzen Griechen aber zur Torheit. "Selig, wer an mir kein Ärgernis nimmt", sagt Christus. Das Ärgernis des Kreuzes bleibt; es kann und darf nicht aus dem Christentum und aus der Frohbotschaft Christi eliminiert werden. Paulus lässt im Gal 6,12ff das Ärgernis des Kreuzes sehr betont stehen: Er sagt, dass es nicht beseitigt werden dürfe, sofern das Ärgernis des Kreuzes Verzicht auf eitlen Selbstruhm und Bereitschaft zur Übernahme des Kreuzes Jesu bedeutet.

Ganz anders ist es mit dem Ärgernis, das wir durch unser Verhalten anderen bereiten. Vom schlechten, unsittlichen Ärgernisgeben und Ärgernisnehmen ist heute im SoEv die Rede.

1) Da steht zuerst das falsche, kleinliche Ärgernisnehmen aus Eifersucht, weil andere auch etwas leisten für Christus, obwohl wir es ihnen wegen ihres Lebenswandels gar nicht zugetraut hätten, oder etwas zustandebringen, obgleich sie nicht zur wahren Kirche Christi gehören. Das ärgert uns!

Wie dumm, engstirnig und intolerant ist es doch, sich darüber zu ärgern, dass es auch außerhalb der Kirche Christi gute, bewunderungswerte Menschen gibt, die ebenfalls wie wir, oft noch besser und zielstrebiger als wir, gegen das Böse ankämpfen. Wie kleinlich und engstirnig verhielt sich hier doch der Apostel Johannes, wenn er im eigenen Namen und im Namen anderer Apostel zu Christus sagte: "Meister, wir haben gesehen, wie jemand, der uns nicht nachfolgt, in deinem Namen Dämonen ausgetrieben hat! Wir wollten ihn daran hindern, weil er uns nicht nachfolgt!" Jesus erwiderte: "Hindert ihn doch nicht! Keiner, der in meinem Namen Wunder wirkt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns!"

Man kann an sich Johannes und seine Mitapostel schon verstehen; es war doch sehr menschlich: Sie spürten gar manchmal, dass sie zu wenige waren, sie, die sich für alles verantwortlich fühlten und für alles zu sorgen hatten und die aus Liebe zu Christus und um seiner Nachfolge willen alles, Haus und Hof und Familie, verlassen hatten. Und nun hörten sie oder sahen es sogar mit eigenen Augen, dass Leute, die keineswegs so wie sie mit der Christusnachfolge ernst gemacht hatten, die also weder Jünger noch Apostel Jesu geworden waren, noch mitarbeiteten an der großen Mission ihres Meisters, doch in seinem Namen Teufel austrieben. Da regte sich bei ihnen — begreiflicherweise möchten wir sagen — die Eifersucht: "Meister, schau doch, was sich diese Leute erlauben! Das musst du doch verbieten!" Aber der Meister verbot es nicht. Wer einen Teufel in Namen des göttlichen Meisters austreibt, ist gewiss nicht feindlich gegen den Meister gesinnt. Warum sollte der Meister es ihnen verbieten?

Gibt es diese Eifersucht heute nicht noch genau so wie damals bei den Aposteln?

Ärgern wir uns doch nicht über das Gute, das außerhalb der katholischen Kirche, in anderen christlichen Gemeinschaften, sogar bei Sekten, geschieht. Freuen wir uns doch lieber darüber! Wenn sie, die andern, die Andersgläubigen, Christus verkündigen und Christus lieben, dann sind sie ja schließlich in einem ganz wesentlichen Punkt mit uns eins!

2) ist vom Ärgernis die Rede, das den Kleinen, den schlicht und einfach, aber ehrlich und aufrichtig Glaubenden gegeben wird:

a) etwa durch jene, die wohl durch Berufung und Beruf Jünger Christi sind, aber es an Christustreue, an Christusliebe oder an Treue und Liebe zur Kirche Christi und zu ihrem sichtbaren Oberhaupt fehlen lassen! Leider gibt es heute so manche Priester und Ordensleute, die da den Gläubigen Ärgernis, oft schweres und schwerstes Ärgernis geben, etwa durch ihr Aufbegehren gegen das einst in voller Freiwilligkeit übernommene Zölibatsversprechen, durch ihre Untreue, durch ihre Kritiksucht an Kirche und Papst.

b) noch schlimmer und folgenschwerer ist das Ärgernis, das den schlichten, einfachen Gläubigen heute durch jene Theologen gegeben wird, die durch Uminterpretierung der Glaubenswahrheiten, durch Aufweichen und Preisgeben von christlichen und sittlichen Grundsätzen Verwirrung stiften. Hier gilt oft wirklich dann das harte Wort des Herrn im heutigen SoEv: "Wer einem von den einfachen Gläubigen um seinen Glauben bringt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde!" Hier kann man nur den Wunsch und die Bitte aussprechen: Lasst euch, liebe Gläubige, nicht verwirren durch solche, die alles besser wissen als der Papst und die Bischöfe, denen der Herr den Beistand des Hl. Geistes und die Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens und der Sitten verheißen hat. Haltet euch an die klaren Worte und Weisungen des Papstes, der als Nachfolger Petri den Auftrag Christi erfüllt, seine Brüder im Glauben zu stärken!

3) das Ärgernis, das uns Auge, Hand und Fuß bereiten!

Hand, Fuß, Auge stehen in diesem Heilandswort für alles, was dem Menschen lieb und wert und für den Lebensvollzug sogar unbedingt erforderlich ist. All das könnte uns zum Ärgernis werden, sodass unsere Christusnachfolge und sogar unser ewiges Heil dadurch in Frage gestellt würden. Da heißt es dann hart sein gegen sich selbst! Da heißt es dann – wenn es sein muss – auch Verzicht leisten auf etwas, was uns so lieb und teuer ist wie die Augen, die Hände, die Füße. Dann haben wir uns von Gedanken, Vorstellungen, Wünschen und Begierden zu trennen, die nicht dem Geist des Christentums, der echten Christusnachfolge und dem Gebot der Liebe entsprechen! "...hau sie ab und wirf sie von dir!“ Das ist orientalische Redeweise, die nicht wörtlich, buchstäblich verstanden sein will, sondern dem Geiste nach. Aber dann bleibt trotzdem, dass halt doch etwas auszureißen ist, dass man sich doch von etwas trennen muss, wenn es um das ewige Heil geht!