25. Sonntag im Jahreskreis – Lj B
gehalten in St. M. Loreto 23.9.1979
Die Schule hat wieder begonnen. Jeder Lehrer, jeder Katechet, aber auch jede Mutter, jeder Vater weiß es: ein Kind unterrichten ist nicht immer leicht, kann sogar eine sehr schwierige Aufgabe sein. Da gibt es Kinder, die sehr schnell begreifen, andere aber, die eine lange Leitung haben: Man sagt es ihnen so, man erklärt es ihnen anders, man gebraucht Beispiele, Vergleiche, Bilder. Und trotzdem geht das zu Erlernende einfach nicht in das Köpfchen hinein. Und selbst gut begabte Kinder stehen bisweilen vor einer Aufgabe, mit der sie nicht recht fertig werden, bis es auf einmal blitzt: richtig, so geht es! Aber bis es so weit ist, braucht es vielleicht viel Anstrengung und Nervenkraft auf Seiten des Erziehers, des Lehrers.
Und wie oft geht es uns selber auch so, dass wir etwas einfach nicht begreifen und verstehen. Wenn man ehrlich ist, gibt man zu, dass man eben nicht alles einsehen und begreifen kann, vor allem nicht Glaubensgeheimnisse.
Auch die Apostel in der Schule des göttlichen Meisters waren keine Wunderkinder; die meisten von ihnen waren ja ihrer Herkunft nach einfache schlichte Menschen, die nicht einmal Volksschulbildung hatten. Nun gingen sie bei Jesus schon das dritte Jahr in die Schule. Und was er ihnen in diesem dritten Jahr beibringen wollte, war keine leicht verständliche Sache, nämlich Leiden und Sterben des Messias am Schandholz des Kreuzes zur Erlösung der Menschen. Wir hörten von dieser ersten Leidensweissagung Jesu im Evangelium des letzten Sonntages. Da hat Jesus klar davon geredet, dass er, der Menschensohn, der Messias, leiden und den Sühnetod am Kreuze sterben müsse, um so die Menschen zu erlösen.
Diesmal spricht Jesus auf der Wanderung durch Galiläa zum zweiten Mal davon, ganz klar, ganz konkret, dass er den Heiden ausgeliefert und getötet werde, aber am dritten Tag werde er auferstehen.
Nun aber heißt es von den Aposteln: "Sie verstanden dieses Wort nicht..." Trotz langer und engster Gemeinschaft mit Jesus und trotz der vorausgegangenen ersten Leidensweissagung verstehen sie Ihn und sein Vorhaben immer noch nicht.
Ein leidender Messias, der in Gehorsam gegen den Willen des Vaters am Schandpfahl des Kreuzes stirbt, das war für sie immer noch völlig unbegreiflich bei der Vorstellung, die sie vom verheißenen Messias hatten. Und das Wort vom Auferstehen am dritten Tag nach dem Tod, was soll das? Das Alte Testament - so wussten es die Apostel - hat von den großen Propheten berichtet, dass sie hie und da einen Toten in der Kraft Gottes wieder zum Leben zurückgerufen haben. Aber dass ein Toter aus eigener Kraft aus dem Grabe aufersteht, nein, das war für sie undenkbar. Da kamen die Apostel bei ihrer immer noch ganz irdischen Messiasvorstellung einfach nicht mit.
Wenn sie den Meister doch wenigstens gefragt hätten. Dann hätte Er ihnen die ganze angekündigte Sache sicher noch näher erklärt. Aber Ihn darüber zu fragen, davor scheuten sie zurück, da waren sie wie schüchterne Erstklassler,
die sich ihren Lehrer nicht zu fragen trauen. Aber unter sich selber beschäftigten sie sich umso mehr mit diesen Fragen: Wie hat der Meister das gemeint: sterben und auferstehen? Sterben, das darf ihm doch nicht passieren! Aber es wäre vielleicht doch denkbar, dass ihn die Schriftgelehrten und Pharisäer umbringen. Aber auferstehen? Nein, das ist ja ganz unmöglich. Und wie, wenn er wirklich getötet würde? Wäre dann alles aus? Oder wer von uns könnte etwa an seine Stelle treten? Was der Meister mit ihnen so großartig angefangen hatte, musste doch weitergeführt werden. Wer käme vielleicht dafür in Frage? Wer ist denn unter uns der Größte, der Klügste, der Mutigste? Und es entsteht ein Streit, wer unter ihnen der Größte sei.
Es ist eigentlich eine groteske, ja erschütternde Situation, dass sich die Apostel nicht etwa über den Sinn der zweiten Leidensvoraussage des Herrn unterhalten, sondern darüber, wer unter ihnen wohl der Größte sei. Es erschüttert uns, dass solch diesseitig – irdische Gedanken sie bewegen und das in einer Zeit, in der der Herr bereits ganz überlegt und bewusst seinem Leiden entgegengeht.
Wie vom Lehrer bei einem Unfug ertappte Schulbuben kommen uns die Apostel vor, wie sie jetzt vom göttlichen Meister danach gefragt werden, worüber sie denn unterwegs miteinander gesprochen haben, und sie darauf beschämt schweigen, "denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei.“
Es würde uns nicht in Erstaunen versetzen, wenn der Herr ihnen daraufhin ob solchen Verhaltens ernste Vorhaltungen gemacht hätte. Aber die Pädagogik des göttlichen Meisters geht andere Wege: "Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein!“
Ein vielsagendes Wort, das freilich höchst unmodern klingt: heute ist doch alles auf das Verdienen aus, nicht auf das Dienen. Das gilt für den kirchlichen Bereich, das gilt für den staatlichen Bereich. Auf dem II. Vat. Konzil ist so stark der Dienstcharakter aller Ämter betont worden und man hat begonnen, Prunk und Pracht und Triumphalismus in der Kirche abzubauen, und die beiden Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI. haben in ergreifender Weise begonnen, damit ernst zu machen, dass der Papst zwar der Erste in der Kirche ist, aber eben doch „Servus servorum Dei“, „Diener der Diener Gottes“.
Aber jene, die in der Kirche heute am meisten gegen den Triumphalismus wettern, zeigen oft am allerwenigsten Dienstbereitschaft, sondern wollen nur diktieren und tyrannisieren und in ihrem Sinn die Kirche umfunktionieren.
Und im staatlichen Bereich ist es nicht viel anders: Die obersten Amtsträger nennen sich zwar Minister, d.h. auf gut Deutsch: Diener. Und man hat sehr viel vom Abbau der Privilegien geredet, man sieht aber wenig davon. Aber reden wir nicht von den Großen in Kirche und Staat, reden wir von uns selber, von den Kleinen in Kirche und Staat. Sind wir denn besser, wenn es darum geht, wirklich in aller Bescheidenheit und Demut den anderen, den Brüdern in Not, zu dienen? Das Wort Demut hieß ursprünglich Dienmut. Ja, es gehört Mut dazu, zu dienen, etwa als Schwester im Krankenhaus; aber in jedem Beruf, ob hoch oder tief, käme es auf diese Bereitschaft zum Dienen in Liebe an. Wie weit aber sind wir alle oft davon entfernt! Wie sind wir so schnell angerührt und ziehen uns empfindlich und beleidigt zurück, wenn man unseren guten Willen zum Helfen und Dienen missbraucht, wenn man uns ausnützt, wenn man uns in unserer Hilfsbereitschaft und Liebe verkennt. Und wie schnell vergessen wir dann, was der hl. Paulus im Hohenlied der Liebe über diese rechte, demütige, hilfsbereite, dienstbereite Liebe gesagt hat: "Sie ist geduldig, sie ist gütig, sie beneidet nicht, sie handelt nicht prahlerisch, sie bläht sich nicht auf, sie ist nicht selbstsüchtig, sie lässt sich nicht erbittern, sie denkt nichts Arges, sie freut sich nicht am Unrecht, sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles?!"
Solche Haltung ist nicht leicht, aber wir müssten wenigstens immer wieder neu danach ringen und streben, wie es schließlich die Apostel taten. Denn diese haben sicher die Mahnung des Herrn nie mehr vergessen: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein!" Und damit sie es ja unauslöschlich in ihr Herz geschrieben bekamen, nahm der Herr ein Kind, das vielleicht gerade auf der Straße spielte, und stellte es in die Mitte der Apostel und sagte: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen! Und wer ein solches Kind in meinem Kamen aufnimmt, nimmt mich auf!" Es geht um die Gläubigkeit des Kindes, um die Bereitschaft des Kindes, sich führen zu lassen...
Gewiss, heute trifft man nur noch selten solche Kinder, die schlicht und einfach das Wort annehmen, das ihnen gesagt wird; die Stadt mit ihrem Milieu, und die Kommunikationsmittel Radio und Fernsehen verbilden vielfach die Kinder schon in frühem Alter und machen sie altklug, vorlaut, unbescheiden.
Zum unverbildeten Kind gehört die schlichte‚ bescheidene Bereitschaft, sich etwas sagen zu lassen, sich führen zu lassen, gut zu sein und zu gehorchen in aller Demut. Das hat wohl Christus gemeint, wenn er von den Erwachsenen verlangte, sie sollten wie Kinder werden und in der Schlichtheit und Gläubigkeit von Kindern das Wort Gottes so annehmen, wie ein Kind das Wort des Vaters und der Mutter annimmt. Klein sein, demütig sein, wie Er, der für uns ein Kind geworden ist im Geheimnis der Menschwerdung und der der Diener aller geworden ist und von sich sagte: „Ich bin nicht gekommen, mich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und mein Leben hinzugeben als Lösepreis für die Vielen!“
Nur in solcher Haltung bauen wir die Kirche wieder auf: "Miteinander Kirche leben", indem wir einander dienen, einander helfen und zusammenstehen in Liebe, so wie Christus uns geliebt hat und sich für uns dahingegeben hat. Fehlt aber solche Haltung der Dienstbereitschaft, dann zerstören wir die Kirche und machen uns und die ganze Kirche unglaubwürdig in den Augen der Welt, der Ungläubigen und Andersgläubigen.
Durch Stolz und Überheblichkeit, durch Eigensinn und Eigenbrötelei und fehlende Dienstbereitschaft arbeiten heute viele an der Zerstörung der Kirche.
Da fällt mir ein, wie Napoleon eines Tages zornig zum damaligen Kardinalstaatssekretär Consalvi sagte: "Ich werde eure Kirche zerstören!“ Dabei stampfte er wütend mit dem Fuß in den Boden. Kardinal Consalvi aber antwortete dem stolzen, übermütigen Kaiser Napoleon: "Sire, 20 Jahrhunderte sind wir selber schon daran, die Kirche zu zerstören. Es ist uns aber noch immer nicht gelungen!" Warum ist es uns wohl bisher nicht gelungen, die Kirche zu zerstören? Weil es doch immer wieder Heilige gegeben hat, die in ergreifender Demut der Kirche sowie den Brüdern und Schwestern in Not dienten nach dem Beispiel Christi!