6. Sonntag im Jahreskreis – LJ B
gehalten in Parsch am 11.2.1973
Der Aussatz war einst eine furchtbare Krankheit, die den Menschen an Leib und Seele traf:
1. Der Aussatz entstellte das Äußere des Menschen und gab ihm ein hässliches, ekelerregendes Aussehen: Haut und Glieder entfärbten sich und schwollen an, Wunden und Geschwüre stellten sich ein. Flüssigkeit rann aus den Augen, aus den Wunden, aus den Geschwüren; die Stimme wurde heiser und klanglos, oft bis zur völligen Stummheit erlöschend; in einem letzten Stadium fielen von den Fingern und Zehen die Nägel ab, der ganze Leib ging nach und nach in Fäulnis über, der Mensch begann bei lebendigem Leib zu verwesen. Der Aussätzige wurde im letzten Stadium seiner Krankheit zur lebendigen Leiche.
2. Zu den nicht geringen körperlichen Schmerzen und Leiden, dem unangenehmen Zucken und Jucken, Beißen und Reißen, das durch alle Glieder ging, zu dem unausstehlichen Körpergeruch, der für den Aussätzigen selber allmählich unerträglich wurde, kamen Depressionen: Schwermut, Angstzustände und tiefste Verzweiflung.
Das alles wirkte sich zur Zeit Christi, als die Aussätzigen noch keine Pflege erfuhren, sondern aus der Gemeinschaft ausgeschieden, ja förmlich ausgestoßen wurden, noch unsagbar stärker aus, denn diese Unglücklichen waren für die Mitmenschen und überhaupt für das Gemeinschaftsleben praktisch wie gestorben, sie wurden wortwörtlich als Auswurf der Menschheit behandelt. Die Aussätzigen durften mit den Gesunden nicht zusammenkommen, durften an den gottesdienstlichen Veranstaltungen im Tempel und in der örtlichen Synagoge nicht teilnehmen, erlebten also auch die religiöse Gemeinschaft nicht. Das, was der Gottesdienst, das verlesene und verkündete Wort Gottes und ähnliches mehr an Trost und Erhebung zu bieten hatte, erfuhren sie nicht im geringsten. Die Aussätzigen mussten überdies die Gesunden vor jeder Berührung mit ihnen oder auch nur vor jeder Annäherung an sie warnen mit dem Ruf: "Unrein, unrein!" So waren sie Boten und Künder ihres eigenen Unheils, fanden dabei aber nicht einmal auch nur von Ferne ein mitleidiges Herz, weil sich mit ihrer schrecklichen Krankheit beim Volk damals vielfach die Vorstellung verband, der Aussatz sei die sichtbare Strafe für begangene Sünden und er sei darum nur das äußerlich Sichtbare dessen, was an innerer Verdorbenheit und Verkommenheit im Aussätzigen stecke.
Ausgestoßen, verstoßen, gesellschaftlich disqualifiziert, das war das Los eines Aussätzigen, der auch im Sinn der alttestamentlichen Kultgesetze als "unrein" galt. Was tat nun der arme Aussätzige im heutigen SoEv? Er hat von dem Mann mit Wort- und Wundergewalt aus Nazareth gehört. In seiner furchtbaren leiblichen und seelischen Not verzagte er nicht, sondern glaubte daran, dass dieser Jesus ihm helfen könne. ein grenzenloses Vertrauen treibt ihn dazu, sich gegen alles Gesetz diesem Jesus zu nähern. Er wirf sich vor Jesus auf die Knie nieder und spricht in seinem großen, starken Glauben und Vertrauen die Bitte aus: "Wenn du willst, kannst du mich rein machen!" Was steckt doch in diesem kurzen Satz alles an ergreifendem Vertrauen und ergreifender Ergebung zugleich! "Wenn du willst..." Das heißt doch: Du, Jesus, brauchst nur wollen... Du hast die Macht, mir zu helfen. Ich glaube daran. Aber wenn du nicht willst ..., so muss ich halt mein hartes Los weitertragen. Ich bin auch dazu bereit. Wie du willst und was du willst, es soll mir recht sein, weil es immer das Beste für mich sein wird. Ich vertraue darauf.
Ist das, was dieser Aussätzige spricht, nicht ein herrliches Gebet? Hat seine Bitte nicht alle Eigenschaften an sich, die unser Gebet, unser Bittgebet haben müsste? Demütig, vertrauensvoll, gottergeben und gläubig müssten wir beten und es ganz Gott überlassen, ob und wie er uns erhört. Die Bitte des Aussätzigen ist wie ein Glaubensbekenntnis: Er glaubt an die Allmacht des Herrn: Du kannst mir helfen, Du brauchst nur wollen. Er glaubt an die Güte des Herrn: Du wirst mir helfen, ich glaube daran, dass du willst. „Herr, wenn du willst, kannst du mich rein machen!“
Mir ist, als klänge in diesen Worten des Aussätzigen das an, was der große Münchener Männerapostel P. Rupert Mayer so gern gebetet hat:
„Herr, wie Du willst, soll mir geschehn,
und wie Du willst, so will ich gehen,
hilf Deinen Willen nur verstehn!
Herr, wann Du willst, dann ist es Zeit;
und wann Du willst, bin ich bereit,
heut und in alle Ewigkeit!
Herr, was Du willst, das nehm ich hin,
und was Du willst, ist mir Gewinn;
genug, dass ich Dein Eigen bin.
Herr, weil du´s willst, drum ist es gut;
und weil Du´s willst, drum hab ich Mut.
Mein Herz in Deinen Händen ruht!
Das rechte Beten in Demut, voll Vertrauen, voll Glaube an die Macht des Herrn, dieses rechte Beten erhört der Herr immer. Er zeigt es uns an diesem konkreten Fall. Der Herr Jesus setzte sich nun über alle Gesetze und Bestimmungen, die ihm vorschreiben würden, diesen Aussätzigen als Ausgestoßenen zu betrachten und zu meiden, souverän hinweg. Er ging ihm sogar noch entgegen und tat nun etwas, was kein Mensch im Alten Bund gewagt hätte: Jesus streckte seine Hand nach dem Aussätzigen aus, aber nicht etwa, um ihn wegzustoßen, sondern um ihn zu berühren mit seiner heiligen und ehrwürdigen, hilfsbereiten und mächtigen Hand, von der so viel heilende, lindernde Kraft ausging. Er fürchtete dabei auch nicht, angesteckt zu werden, sondern spricht nun das eine kurze Wort: "Ich will!"
In meiner Studentenzeit gab es ein Buch, verfasst von Hermann Fisscher SVD mit dem Titel: „Ich will!“ Dieses Buch gab uns jungen Leuten damals viel, weil es in einer guten, klugen Sprache zur Willensschulung und zur Selbstbeherrschung im Kampf gegen Triebhaftigkeit und Leidenschaft erzog. Da stand am Anfang ein schlichter Vers, von dem das ganze Buch seinen Titel hatte. Ich kann nicht mehr den ganzen Vers. Es ist schon zu lange her. Aber den Anfang und das Ende dieses Verses habe ich mir gemerkt; es hieß: "Ich will! Dies Wort ist mächtig... Die Sterne reißt's vom Himmel, dies eine Wort: Ich will!" Das war Übertreibung. Das bringt der menschliche Wille nicht, noch nicht zusammen. Aber es ist unglaublich, was ein starker Wille alles erreichen kann. Und doch sind ihm zuletzt Grenzen gesetzt, die er nicht überschreiten kann. Bei Ihm aber, der dem Aussätzigen gegenüber dieses Wort "Ich will" sprach, gab es keine Grenzen seiner Macht. "Ich will! Dies Wort war mächtig..." So mächtig, wie das Wort des Schöpfers am Schöpfungsmorgen "Fiat...Es werde" "Ich will!" Das Wort aus dem Munde Jesu war wundermächtig. Das Wunder geschah: Sofort wich die Krankheit vom Aussätzigen. Er war plötzlich rein, ganz rein...
Und die Folge der wunderbaren Heilung: Der Geheilte war nun berechtigt, wieder in die Volksgemeinschaft aufgenommen zu werden, an den gottesdienstlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Er musste sich aber zuerst von den zuständigen Stellen, von den Priestern, die erfolgte Heilung, seine wiedererlangte Reinheit bestätigen lassen. Und er sollte zum Zeugnis seiner Heilung das Reinigungsopfer, das Mose vorgeschrieben hatte, darbringen. Solange er das nicht getan hat, sollte er seine Heilung den Leuten nicht erzählen. Allerdings hielt es der Geheilte nicht aus: Er musste es herausjubeln, was da Wunderbares an ihm geschehen war. Dem Heiland war bei dem nun entstehenden Gerede der Menschen nicht recht wohl. Er wollte nicht das oberflächliche Bestauntwerden. Er zog sich darum an einen einsamen Ort zurück, um dem Gerede aus dem Wege zu gehen. Er schaltete, wie er es gerne zu tun pflegte, Stunden und Tage der Stille und Einkehr ein. Auch das wäre vielsagend für uns gehetzte Menschen...
Nun zuletzt die Frage an uns: Was will Christus uns mit diesem Wunder der Heilung des Aussätzigen sagen? Er führte den Ausgestoßenen in die menschliche Gesellschaft zurück. Er führt auch uns, wenn wir uns vom Aussatz der Sünde heilen lassen, immer wieder zurück in die von Ihm gestiftete Heilgemeinschaft der Kirche und in die von Ihm wiederhergestellte Gnadengemeinschaft mit dem himmlischen Vater zurück. Aber es braucht bei uns das Erkennen unserer seelischen Not, das Erkennen der Armseligkeit und Hilfsbedürftigkeit und das Vertrauen darauf, dass nur einer helfen kann, um uns vom Aussatz der Sünde zu reinigen: Er, unser Heiland Jesus Christus!
Er tut es immer wieder in jenem heute so verkannten und verachteten Sakrament, in welchem wir hineingetaucht und gereinigt werden von aller Sündenschuld im Blute Christi, das er in seiner Passion und in seinem Sühnetod am Kreuze für uns vergossen hat. Es ist das Sakrament der Buße!
1. Der Aussätzige erkannte seine trostlose Lage: Ist das nicht im Sakrament der Buße das Erste, was es braucht, um vom Aussatz der Sünde frei zu werden? Gewissenserforschung! Das Erkennen seiner seelischen Not!
2. Der Aussätzige ging dann zu Christus. Er kümmerte sich nicht um das Gerede der Menschen. Er ging zu ihm, warf sich vor Ihm nieder und sprach sein vertrauensvolles Gebet: "Wenn du willst, kannst du mich rein machen!" Ist das nicht das, was wir beim Sakrament der Buße die Reue, das Erkennen seiner Unreinheit und das Bitten um Vergebung, nennen?
3. Und dann kommt für den Aussätzigen noch der Befehl des Herrn: „Geh und zeige dich dem Priester!" Geh! Zeige dich! Verhülle nicht deinen Zustand, verschleiere ihn nicht, beschönige ihn nicht, sag es offen, ehrlich, aufrichtig, wie es in deinem Innern aussieht! Ist das nicht im Sakrament der Buße das, was wir das Sündenbekenntnis, das Beichten nennen, wo wir ehrlich und aufrichtig, mit Zahl und erschwerenden Umständen bekennen und eingestehen, was wir gefehlt haben, heimlich oder öffentlich, in Gedanken, Worten und Werken und durch Unterlassung des Guten.
Geh und zeige dich dem Priester! Er ist der bestellte und zuständige Verwalter dieses heiligen, reinigenden Gnadenquells!
Ob wir Katholiken nicht auch das Bußsakrament, das uns vom Aussatz der Sünde reinigt, wieder mehr schätzen sollten? In der "Münchener Medizinischen Wochenschrift" (Nr.35 v.30.8.1929) hat Dr. Erich Meyer zur Frage Stellung genommen, warum es damals, als bei den Katholiken das Beichten noch ziemlich allgemein üblich war, auffallend weniger Selbstmorde ab als bei Nichtkatholiken. Er schrieb da: "Das hat m.E. seinen Grund ganz überwiegend in der Ohrenbeichte der katholischen Kirche. Ich bemerke hier, dass ich Protestant bin, dass mir also eine Verherrlichung katholischer Einrichtungen ganz fern liegt. Aber in der Ohrenbeichte, zu der der Katholik früher schon als Kind angehalten wurde, liegt für jeden, ganz besonders aber für den Jugendlichen, der tiefe Wert, dass er hier einen Menschen hat, dem er gewissermaßen all seine Nöte und all sein Ringen mitteilen kann. Er braucht nicht das Gefühl zu haben, als würde er dafür, dass er tiefste Seelentiefen offenbart, verachtet. Er weiß ja, dass der Priester an Gottes Statt seine Beichte anhört, vor allem auch, dass er zum Schweigen über alles, was ihm anvertraut wurde, verpflichtet ist. Schon das Aussprechen quälender seelischer Nöte schafft Erleichterung und Befreiung (Erst recht das gläubige Wissen, dass dann alle Schuld vor Gott vergeben ist!) Und dann nimmt der Katholik zusätzlich noch einen feinen Rat mit nach Hause, wie er mit seinen Fehlern und Schwächen fertig werden kann und soll. So geht er in jeder Hinsicht erleichtert von dannen. Die meisten Selbstmorde würden ungeschehen bleiben, wenn dem Selbstmordkandidaten in schweren Stunden ein priesterlicher Freund zur Seite stünde, dem er seine qualvollen Gedanken und Sorgen offenbaren könnte."
Freilich braucht es zum Beichten Demut, erst recht zum aufrichtigen Beichten. Aber dort, wo es um unser Seelenheil geht, müssten wir eben alle die Demut des Aussätzigen im heutigen SoEv aufbringen und das gläubige Vertrauen müssten wir zum Stellvertreter Christi mitbringen, das der Aussätzige zu Christus hatte, als er sprach: „Wenn Du willst, kannst Du mich rein machen!" Die Antwort lautete damals und lautet in jeder hl. Beichte aus dem Munde Christi: "Ich will, sei rein!"
Christus spricht durch den Priester: „Ego te absolvo!“ „Ich spreche dich los von deinen Sünden…!“ Hier steht, wie bei der wunderbaren Heilung des Aussätzigen, Christus in seiner Wort- und Wundergewalt vor uns. Glauben wir daran, dass Er das Wort "Ich will, sei rein!" auch zu uns spricht in der sakramentalen Lossprechung. Aber auch wir müssen dieses Wort sprechen: Ich will! Und unser Wollen muss dabei im Einklang mit seinem Wollen stehen. Dann gilt das gute Dichterwort:
"Ich opfere mein Wollen/Und Wünschen demutsvoll/
Dem gottgewollten Sollen:
Und will nun, was ich soll./
Ich schenke meinen Willen/ Dem Herrn und halte still —
Was immer ich auch möchte,/ Ich will, wie Gott es will! Amen