4. Sonntag im Jahreskreis – B

gehalten in St. M. Loreto am 31.1.1982

 

 

Das heutige SoEv beginnt mit dem Bericht über das Staunen der Menschen über den wortgewaltigen Lehrer Jesus, der lehrte wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten, und der eine Lehre vortrug, die ebenso staunenswert war wie die Art seines Lehrens.

Die Persönlichkeit Jesu machte von Anfang an einen so unerhörten Eindruck, dass nicht bloß seine jüdischen Zeitgenossen aus dem Staunen nicht herauskamen, sondern auch in den heidnischen Ländern, in denen bei der ersten Evangelisierung die Botschaft von Jesus Christus und seiner Lehre verbreitet wurde, Er einen so ungeheuren Eindruck machte, dass die 217 n.Chr. verstorbene heidnische Kaiserin Julia Domna den Gelehrten Philstratus beauftragte, im ganzen, gesamten Heidentum einen Mann ausfindig zu machen, den man Jesus Christus an die Seite stellen könnte. Es ist, als ob das Heidentum damals geahnt hätte, dass durch die einzigartige Persönlichkeit Jesu und seiner Lehre die Axt an die Wurzel des Heidentums gelegt sei. Der Gelehrte Philostratus glaubte damals in Apollonius von Tyana einen Jesus Christus ebenbürtigen Mann gefunden zu haben; er übertrug ohne alle Gewissensbedenken vieles von dem, was die Evangelien über Jesus Christus berichten, kurzer Hand auf diesen Apollonius von Tyana.

Der heidnische Philosoph Celsus, ein gottloser Spötter, ging im 2. Jahrhundert nach Christus einen anderen Weg als der Gelehrte Philostratus, um das gewaltige, beeindruckende Bild Jesu Christi zu verdunkeln: nach Art der jüdischen Rabbiner suchte er das Leben Jesu, wie es in der Evangelien aufgeschrieben ist, durch erdichtete Schandtaten zu besudeln, ein Machwerk, das im 19. Jahrhundert von dem atheistischer Professor Häckel wieder aufgewärmt und in seinem Buch "Die Welträtsel" vor allem in der arbeitenden Bevölkerung verbreitet wurde. Die Juden hatten ein noch größeres Interesse, die Persönlichkeit Jesu zu verunglimpfen. In ihrem Religionslehrbuch, dem sogenannten Talmud, ist sogar der Befehl enthalten, dass der Jude dreimal täglich aus Hass gegen Jesus um Ausrottung des Christentums beten müsse. Alle Beschimpfungen, die das talmudische Judentum im Lauf der Jahrhunderte über Jesus Christus und seine Kirche aufgehäuft hat, wurden auf Veranlassung von Amsterdamer Juden im vorigen Jahrhundert von Lessing in seinen sogenannten "Wolfenbüttler Fragmenten" von neuem unter das Volk geworfen. Aus diesen Schmähschriften gegen Jesus Christus schöpften seither alle Feinde Christi und seiner Kirche. Das ist das Eigentümliche in der Geschichte, dass es eigentlich nie eine Persönlichkeit gegeben hat, der man sich auf der einen Seite mit solcher Glaubenskraft angeschlossen hat, aber auf der anderen Seite auch keine Persönlichkeit gegeben hat, die man so bekämpft und gehasst hat wie Jesus von Nazaret. Es ist zum Gesetz der Geschichte geworden: an Ihm scheiden sich die Geister, die Menschen, die Philosophen, die Weltanschauungen und Ideologien. Man muss zu Ihm Stellung nehmen, um entweder gläubig zu werden oder Ihm gegenüber feindselig verstockt zu werden. "Er ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler und als Zeichen des Widerspruchs", so hat schon der greise Simeon es angekündigt gehabt, als er das göttliche Kind in seinen Armen hielt, das ihm die jungfräuliche Mutter Maria auf dem Tempelplatz in Jerusalem überreicht hatte.

Die geschichtliche Persönlichkeit Jesu Christi steht in dieser Hinsicht wirklich einzigartig da. Die Persönlichkeit Jesu ist aber auch einzigartig aus dem Grund, weil sie eine doppelte Geschichte hat, insofern als die Geschichte von Jesus nicht erst von seiner Geburt an berichtet, sondern längst schon vor seiner Geburt. Von uns allen, auch von den Größen der Geschichte, weiß man vor der Geburt nichts. Der Name des Messias und Erlösers Jesus Christus aber geht durch die Geschichte schon Jahrtausende vor seiner Geburt. Alle Völker haben schließlich als gemeinsames Erbe aus dem verlorenen Paradies als Uroffenbarung den Glauben an einen kommenden Erlöser mit in die Welt hineingenommen. Unversehrt und irrtumslos aber hat sich dieser Glaube beim Volk Israel erhalten. Dieses Volk hat die Paradieses-Ankündigung vom kommenden Erlöser und Messias wie ein heiliges Feuer durch die Jahrtausende getragen, um in der Fülle der Zeit den Messias selbst hervorzubringen. Wir bemerken die unerhört einzigartige Geschichtstatsache, dass im Volk Israel nicht nur die Patriarchen, die Stammväter der Urzeit, sondern auch immer wieder im Lauf der Jahrhunderte auftretende Propheten auf Jesus Christus hingewiesen haben, auf Ort und Zeitpunkt seiner Geburt, auf seine Wunder, vor allem aber auch auf sein Leiden und Sterben und Auferstehen. Dabei lassen diese Männer keinen Zweifel, dass dieser kommende Messias weit über alle menschlichen Schranken hinausragt, denn sie nennen ihn den Wunderbaren, den starken Gott, den Vater der Zukunft, wie Jesaja geschrieben hat, sie sagen von diesem Messias, dass er aus den Tagen der Ewigkeit kommt, wie der Prophet Micha geschrieben hat, dass er der Menschensohn sein wird, der über den Wolken thront, wie Daniel angekündigt hat. Jesus Christus selbst beteuert, dass in Ihm alles vollendet sei, "was durch die Propheten vom Menschensohn geschrieben worden ist" (Lk 24,27). Die ganze Geschichte des Volkes Israel kreist letztlich um diese eine Persönlichkeit und auf Ihn hin ist alles ausgerichtet.

Nach diesen Überlegungen können wir nur wieder an das herangehen, was das heutige SoEv über den einzigartigen Lehrer Jesus Christus und über seine einzigartige Lehre berichtet: Da kommt Jesus - wohl mit seinen ersten Aposteln, die Er zu seiner Nachfolge berufen hat, an einem Sabbat in die Synagoge von Kapharnaum am See Gennesaret. Und Er beginnt dort zu lehren. Dieser erste Auftritt aber muss so beeindruckend gewesen sein, dass alle ins Staunen gerieten über seine Lehre und über die Art seines Lehrens. Wörtlich übersetzt aus dem griechischen Urtext des MkEv heißt es eigentlich: "Sie erschauderten über seine Lehre". Der Evangelist Markus gebraucht diesen Ausdruck dann noch öfters (Mk 6,2; 7,37; 10,26; 11,18). Die Menschen waren also betroffen und erschüttert.

Die Ursache dafür war einerseits die ganze Art und Weise, wie Jesus lehrte, dann aber auch der Inhalt seiner Lehre.

Die Art und Weise seines Lehrens: Er lehrte mit Vollmacht, mit Gewalt, mit wuchtiger Kraft - das alles steckt im griechischen Wort "exusia", das hier der Evangelist Markus gebraucht; aber das ist noch nicht alles: es steckt vor allem auch die kraftvolle Autorität darin, mit der Jesus lehrte: bei seinem Lehren ging es nicht um etwas Eingelerntes und auswendig Gelerntes, das heruntergeplappert wird; da ging es auch nicht um das in einer der großen Rabbinerschulen überlieferte Schema F: "Rabbi X hat gesagt, dass Rabbi Y gesagt hat...". So redeten und argumentierten die Schriftgelehrten, die da die überkommenen Worte der Propheten hin- und herdrehten und nach ihrem Sinn auszulegen und zu interpretieren suchten. Jesus - das spürten seine Zuhörer in der Synagoge von Kapharnaum und das spürten die Menschen der späteren Generationen immer wieder – Jesus lehrte aus eigenem Urteil und Wissen, er lehrte mit dem Anspruch, das einzig Richtige und Wahre zu kennen und zu lehren, nämlich den Willen Gottes in seiner authentischen Echtheit und Ursprünglichkeit.

Dabei war Jesu Lehren nicht bloß anders als das der Schriftgelehrten, sondern auch anders als das der Propheten. Diese haben dort, wo sie im Auftrag Gottes etwas verkündeten oder ankündigten nie sich auf ihr eigenes Wissen berufen, sondern immer auf den Auftrag Gottes. Darum sagten sie am Schluss ihrer Ankündigungen immer: "So spricht der Herr" oder "Spruch des Herrn". Jesus aber berief sich nicht darauf, sondern sagte vielmehr mit einzigartiger und unüberhörbarer Betonung: "Amen, amen, Ich sage euch… Ihr habt gehört, dass den Alten das und das gesagt worden ist. Ich aber sage euch..."

Man muss wirklich diese klare, mutige, kraftvolle Redensweise des Herrn Jesus Christus vergleichen mit dem ewigen Herumreden im Talmud der verschiedenen jüdischen Rabbiner, um zu sehen, wie hinter dem Reden Jesu eine ganz andere Autorität und Macht stand: göttliche Autorität und göttliche Macht. Und diese göttliche Autorität und Macht zeigte sich dann auch gleich im Zusammenprall mit einem unreinen, bösen Geist, von dem ein Mann, der sich da in der Synagoge von Kapharnaum befand, besessen war. Während Jesus noch lehrte, fing dieser Dämon aus dem Besessenen heraus zu schreien an. Man muss sich diese Situation möglichst konkret vorstellen. Es muss da eine fast unheimliche Stimmung entstanden sein, wie dieser Dämon da aus dem Besesseenen heraus Jesus die Sätze entgegenschleuderte: "Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes." Diese Worte, die der Dämon Jesus schreiend, brüllend zuruft, sind von merkwürdiger Zwiespältigkeit: Er will einerseits Jesus schmähen, er will mit Ihm nichts zu tun haben - und dennoch ist er anderseits voll Angst vor der Macht, die Jesus über ihn hat; und dabei muss dieser Dämon von Jesus bekennen: "Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes, also der, der aus jener ganz anderen Welt kommt, gegen die alle dämonischen Mächte und Gewalten letztlich ohnmächtig und machtlos sind, wenn auch ihr Anführer "der Fürst dieser Welt" ist, wie Jesus selbst vom Teufel sagt. Der Dämon im Besessenen weiß, wer Jesus ist und kann sogar seinen Namen nennen. Dieser Dämon weiß noch mehr, da er Jesus mit dem Titel "der Heilige Gottes" anredet, also nicht nur den Namen "Jesus von Nazareth" kennt, sondern allem Anschein nach Einblick in das Persongeheimnis Jesu Christi hat. Unwillkürlich wird man da an die Feststellung im Jakobusbrief(2,10) erinnert, wo es heißt: "Auch die Dämonen glauben und zittern."

Was tut nun aber Jesus? Er zeigt nun erst recht seine Wortgewalt, seine Macht, seine wahrhaft göttliche Autorität. Jesus gibt dem Dämon einen doppelten Befehl, nämlich zu verstummen und auszufahren. Der Befehl Jesu, der Dämon solle verstummen, drückt hier die Macht Jesu aus, den Widergeist zum Schweigen zu bringen. Jesus will keine Anerkennung vonseiten der dämonischen Mächte und Gewalten, denn das gehört ja ohnedies bis hinein in ihre Verwerfung und Verdammung zu ihrer notwendigen Verpflichtung, Ihn, den menschgewordenen Sohn Gottes, als den Größeren und Mächtigeren anzuerkennen. Einst wollten sie Gott gleich sein in ihrem Stolz und ihrer furchtbaren Hybris. Nun wissen sie es und spüren es bis hinein in ihrer Verwerfung: Er ist der Herr, wir sind seine Geschöpfe, die zu spät seine Macht und Größe anerkennen. Beim Geschrei des Dämons aus dem Besessenen ist mir noch aufgefallen, wie dieser in der Mehrzahl geredet hat: "Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen?" Aus der Stimme dieses einen Dämons erklang die Stimme der ganzen widergöttlichen dämonischen Mannschaft des Teufels! Sie möchten die von Jesus Christus erlöste Menschheit verderben und in ihr eigenes Verderben hineinziehen. Es nützt ihnen aber nichts. Jesus Christus hat diese dämonischen Mächte und Gewalten besiegt. Sie dürfen manchmal noch aufbegehren gegen ihr Endschicksal. Aber einmal werden sie alle verstummen müssen wie damals jener Dämon, dem noch ein zweiter Befehl gegeben wurde: "Fahre aus aus dem Besessenen!" Und was geschah auf diesen zweiten Befehl Jesu hin? Es heißt da im Ev: "Der unreine Geist zerrte den (besessenen) Mann hin und her und fuhr dann mit lautem Geschrei aus ihm heraus". Das heftige Schütteln des Besessenen und der gewaltige Schrei zeigen die Gewalt des Dämons an, ja, diese bösen Geister sind mächtig, aber an der Übermacht Jesu zerbricht ihre Macht. Der Dämon musste ausfahren, er musste widerstrebend dem Befehl Jesu gehorchen. Unter Getöse und gewaltiger Erschütterung fuhr er aus.

Und die Reaktion der Menschen in der Synagoge von Kapharnaum? Nochmals ist vom Staunen oder Erschauern der Menschen die Rede, aber nun ist dieses Staunen und Erschaudern noch viel stärker. Dem entspricht die erregte Diskussion, die nun folgt und die in der Frage gipfelt: "Was ist denn das nur? Was bedeutet denn das alles? Eine neue Lehre, die mit Vollmacht verkündet wird! Sogar die unreinen Geister müssen seinem Befehl gehorchen!" Die Leute waren starr vor Staunen. In abgebrochenen Sätzen machten sie sich Luft. Wir hören aus ihren Worten noch heraus, wie der Schauer durch alle Glieder rann. Ganz neu, ganz unerhört neu ist das alles. In der Art und Weise zu lehren und im Inhalt seiner Lehre zeigte sich Jesus den Schriftgelehrten weit überlegen, ja sogar den alttestamentlichen Propheten weit überlegen. Das aber, was die Menschen damals wirklich beeindruckte, war zuletzt diese unerhörte Tat der Teufelsaustreibung. In der Tat kam hier das unerhört Neue und Aufsehenerregende der neuen Lehre Jesu viel treffender zum Ausdruck, als es bloße Worte vermocht hätten. Denn was gelten vor dem einfachen Volk alle schönen, großartigen und gewaltigen Worte Jesu über das Reich Gottes, über die Königsherrschaft Gottes die nun anbricht - hier, in der Dämonenaustreibung wurde die Wahrheit dieser Worte von der angebrochenen Königsherrschaft Gottes unter Beweis gestellt: Gottes Königsherrschaft bedeutet vor allem anderen das Zurückdrängen der Herrschaft des Teufels und seiner dämonischen Gehilfen und seiner menschlichen Helfershelfer im Ruinieren und Verderben der Menschen. Zu Ende ist es mit der Herrschaft Satans über uns Menschen, seit Er gekommen ist. Das verkündete dieser Befehl: "Verstumme, fahre aus!" viel deutlicher als es eine lange Rede gekonnt hätte.

Die Tatsachen sprechen eine zu deutliche Sprache: Der Besessene in seiner Hilflosigkeit, ausgeliefert dem Belieben des Dämons, zeigt über alles schrecklich, bis zu welchem Grad die dämonischen Mächte und Gewalten Besitz ergriffen hatten vom Menschen überhaupt. Hier vor allem musste der menschgewordene Gottessohn Jesus Christus ansetzen, wenn er Gottes Königsherrschaft wieder aufrichten sollte und wollte. Jetzt verstehen wir erst richtig, was uns im Ev des letzten Sonntags als Kerninhalt der ersten Predigten angekündigt worden war. "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe! Bekehret euch und glaubt an das Evangelium!" Jesus Christus ist in seiner wahrhaft göttlichen Wortgewalt gekommen, um die Macht des Bösen zu brechen und ihn dorthin zu verbannen, wo er seit seiner Auflehnung gegen Gott hingehört: in das ewige Verderben. Uns aber wollte er aus dieser dämonischen Macht befreien und erlösen von dem ewigen Verderben. Danken wir Ihm und liefern wir uns nicht selber der Macht und dem Reich des Bösen aus, sondern bauen wir durch unser Leben aus dem Glauben in der Liebe mit am Reich Gottes, an der Königsherrschaft Gottes. Amen.