32. Sonntag im Jahreskreis LjB
Elisabethsonntag
gehalten im Dom zu Salzburg am 11. November 1979
Am 19. November feiert die Kirche Jahr für Jahr das Fest einer jugendlichen Witwe, der hl. Elisabeth v. Thüringen, die es in ihrem Ehestand und dann erst recht in ihrem Witwenstand großartig verstand, anderen, die noch ärmer waren als sie, großmütig zu helfen; sie wurde dadurch zur vorbildlichen Caritasheiligen. Der Sonntag vor dem Fest der hl. Elisabeth gilt bei uns als Caritassonntag, an welchem die Kirchenkollekte im ganzen Land für die Diözesan-Caritas und ihre großen Liebeswerke dem Bruder in Not gegenüber bestimmt ist.
Heute aber, an diesem Sonntag vor dem Caritas-Sonntag trifft es – gleichsam zur Einstimmung auf den Caritas-Sonntag – besonders sinnvoll, dass in der alttestamentlichen 1. Lesung und im Evangelium von zwei Witwen die Rede ist, die der hl. Witwe Elisabeth v. Thüringen das selbstlose Helfen und Opfern großartig vorgemacht haben. Es sind die Witwe von Sarepta und die Witwe am Tempeltor.
Zuerst ist in der Lesung von der alttestamentlichen Witwe aus Sarepta zur Zeit des Propheten Elias die Rede: Jahrelange Trockenheit herrschte im Land. Und die Folge der Trockenheit und Dürre: eine furchtbare Hungersnot auf Grund totaler Missernten.
Die Witwe in Sarepta war nun auch schon mit ihrem bescheidenen Lebensmittelvorrat für sich und ihren Sohn am Ende. Sie rechnete mit dem baldigen Verhungern, wie es damals bei vielen anderen schon furchtbare Wirklichkeit geworden war. Sie sammelte gerade im total verdorrten Gebüsch hinter ihrer Behausung ein wenig Holz, um damit Feuer zu machen und darauf mit dem letzten Mehl und Öl ein Mahl zu bereiten – gewissermaßen das „Henkersmahl“ für diese Witwe und ihren Sohn – bevor auch sie wie so viele andere damals durch den Hungerstod hinweggerafft würden.
(Wer denkt da nicht willkürlich an jene Hunderttausende, die in den letzten Wochen in Kambodscha verhungert sind? Und an jene Hunderttausende, die in der Sahelzone Afrikas ein gleiches Schicksal erlitten haben?)
Wie da nun die Witwe aus Sarepta gerade mit dem Auflesen von herumliegendem Holz beschäftigt war, kam der große Büßer und Beter vom Berge Karmel, der Prophet Elias des Weges daher. Auch er war am Verhungern, noch mehr aber am Verdursten. Er bat die Witwe um einen Schluck Wasser. Sie ging sofort, um dem verdurstenden Mann von ihrem letzten Vorrat an Trinkwasser, den sie daheim aufbewahrt hatte, einen Schluck zum Trinken zu bringen. „Diesem Mann muss ich ja helfen, bevor er verdürstet!“ So mag sie in selbstloser Hilfsbereitschaft gedacht haben.
Der nach Hause eilenden Witwe aber rief der Prophet Elias noch eine arge Zumutung nach: „Bring mir doch auch einen Bissen Brot mit!“
Darauf die Witwe: „Ich hab ja fast nichts mehr. Nur noch eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Das wollte ich gerade für ein allerletztes Mahl zubereiten, bevor ich mit meinem Sohn vor Hunger sterbe wie so viele andere. Hab´ also Einsicht, guter Mann, und sei mit dem Schluck Wasser, den ich dir hole, zufrieden.“
Der Mann Gottes aber war damit nicht zufrieden. Sie sollte ihm auch von dem letzten Essbaren, das sie daheim habe, gar alles bringen. Sie werde schon sehen, dass Gott ihre selbstlose Freigebigkeit überreich belohnen werde. Denn wenn sie selbstlos hilfsbereit das Letzte von ihrem Eigentum hergebe, werde sie selbst nicht leer ausgehen. Gott werde für sie wunderbar sorgen. Darum solle sie unbesorgt sein.
Und tatsächlich: Am Schluss der Lesung aus dem 1. Buch der Könige heißt es: „Sie ging hin und tat, was Elias ihr gesagt hatte Und sie hatte daraufhin mit ihm und ihrem Sohn viele Tage lang zu essen, denn der Mehltopf wurde nicht leer, und der Ölkrug versiegte nicht, wie der Herr durch Elias versprochen hatte.“ So der Schluss der Lesung.
Die Lehre aus der Geschichte: Gott belohnt die Freigebigkeit! Wer großmütig hergibt, um anderen, die ebenso arm oder ärmer sind, zu helfen, der kommt nie zu kurz. Alles, was man aus echter Nächstenliebe hergibt, kommt vielfältig wieder herein! Man darf nur nicht hartherzig und knausrig sein! „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“ So lautet ein Wort Jesu.
Und jetzt noch die Witwe im Neuen Testament, wie sie uns im heutigen SoEv geschildert wird:
Es ist so vielsagend, wie sich Jesus eines Tages, nachdem er das Volk belehrt hatte, in der Nähe des Tempeleingangs niedersetzte, um einmal zu beobachten, was sich da alles abspielte und wie sich die Tempelbesucher benahmen.
Es wäre ja auch heute noch recht aufschlussreich, „mit verborgener Kamera“ – es gab einmal eine solche Sendereihe im österreichischen Fernsehen – die Menschen, die in die Kirche hereinkommen, zu beobachten: Die einen, die es noch der Mühe wertfinden, vor dem Allerheiligsten ihre Knie zu beugen, weil sie noch an die Gegenwart des Gottmenschen Jesus Christus im heiligsten Sakrament des Altares glauben; die anderen, die bewusst auf die Kniebeuge verzichten, weil sie sich über solche äußeren Dinge erhaben dünken und weil ja schließlich der Herrgott froh sein muss, wenn sie ihm gelegentlich einen Höflichkeitsbesuch in der Kirche machen ... Aber lassen wir diese unsere Beobachtung! Sehen wir lieber zu, wie Jesus die Menschen damals anschaute:
Es heißt im NT eigentlich immer umgekehrt von den Feinden Jesu: „Sie beobachteten ihn genau!“ Diesmal tut eigenartigerweise Er selbst das: Er beobachtete die Menschen, die in den Tempel hereinkamen, genau. Still, wie in sich selbst versunken, betrachtete Jesus die Eintretenden, die da – wie es damals üblich war – beim Betreten des Tempels ihre Gabe in den Opferstock warfen. Unaufhörlich wiederholte sich die eine gleiche Geste des Gebens, des Opferns, nur in sehr verschiedener Weise. Das eine Mal geschah es vielleicht sehr ostentativ, wie da einer seinen Geldbeutel herauszog und einen ganzen Denar herausholte und ihn dann möglichst so, dass es viele sehen und hören konnten, in den Opferstock warf, etwa gemäß der Schilderung des Pharisäers im Gleichnis Jesu vom Pharisäer und Zöllner, wo der Pharisäer seine Demutslitanei vorbetet: „O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die anderen Menschen, wie Räuber, Betrüger und Ehebrecher – oder auch wie dieser Zöllner da hinten: Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe den Zehent von allem was ich habe“ usw. usw.
So mag ein protziger Pharisäer sehr auffallend seine Gabe in den Opferstock beim Tempeleingang hineingeworfen haben, nur um gesehen zu werden und vor den anderen groß dazustehen.
Ein anderer tat das Gleiche vielleicht mehr verstohlen. Wollte er etwa nicht, dass man sah, wie er nicht eine Geldmünze, sondern einen Kieselstein in den Opferkasten warf?
(Hosenknöpfe gab es damals ja noch nicht!)
Und woran dachten diese opfernden Menschen? Warum verrichteten sie überhaupt diese Geste des Opferns? – War es für sie nur überlieferter religiöser Brauch? Oder nur eine gesellschaftliche Pflichtübung? Oder symbolischer Ausdruck für ihre eigene spirituelle, geistliche Selbstaufopferung und Hingabe an Gott? Jesus beobachtete sie alle jedenfalls sehr genau. Er schaute ihnen nicht bloß auf die Hände, er schaute ihnen ins Herz!
Er beobachtet sicher auch uns, jeden von uns, dich und mich, bei der sonntäglichen Geste des Opferns! Wie opfern wir beim sonntäglichen Kirchgang? Was opfern wir? Nur ein Stück Brot, ein paar Tropfen Wein? Und vielleicht ein paar Cent (Schilling) dazu auf die Tasse der Kollekte oder in den Opferstock? Oder legen wir geistigerweise zusätzlich oder besser primär auf den Opferteller der Patene des Priesters und in den Opferkelch mehr hinein als nur diese bescheidenen sichtbaren Gaben? Eben all das, was uns schwer fällt und Opfer kostet in der Ergebung in den Willen Gottes, im Zusammenleben in der Ehe, in der Familie, im Betrieb? Und in den uns von Gott zugedachten Prüfungen und Heimsuchungen und Kreuzen?
Aber schauen wir weiter zu, wie Jesus die in den Tempel eintretenden Gottesdienstbesucher beobachtete: Plötzlich tauchte da in der Reihe der Opfernden eine arme Witwe auf. Witwen waren damals durchwegs arm, es gab noch keine Witwenrente, keine Altersrente, keine Fürsorgerente. Witwen waren damals vielfach so arm, dass es wirklich als eines der besonders guten Werken galt, Witwen und Waisenkindern zu helfen.
Diese Witwe hätte nun am Opferstock ruhig vorbeigehen können, ohne etwas hineinzuwerfen. Man wusste ja, dass sie, wenn es hoch ging, nur das zum Leben Notwendigste besaß. Aber nein, auch sie wollte in Dankbarkeit gegen Gott ihren Beitrag leisten zur Erhaltung und Verschönerung des Tempels und des Gottesdienstes und zu sozial-caritativen Werken, die aus dem Tempelschatz finanziert wurden.
Zwei kleine Münzen, Lepta genannt, warf sie in den Opferstock hinein. Was sind Lepta? Wir wissen ganz genau, welchen Wert diese griechische Münze damals hatte: Ein Denar, der Tageslohn eines Hilfsarbeiters von damals, war 144 Lepta wert. Zwei Lepta waren also wahrlich nicht sehr viel; nach unseren Verhältnissen vielleicht 15 Cent (2.öS). Damit hätte sie sich etwas Brot kaufen können. Mehr wohl nicht. Aber sie gab, was sie hatte. Und das wertete ihre Opfergabe ganz gewaltig auf. Sie war Gott gegenüber großzügig, großmütig, wissend, dass Gott sich an Großmut von uns Menschen nicht übertreffen lässt. Aber höchstwahrscheinlich hat diese Witwe gar nicht in armseligem Krämergeist nach dem Grundsatz handeln wollen: „Do, ut des!“ - Ich gebe, damit du, o Gott, mir wieder gibst! Sie gab alles, was sie hatte, aus dankbarer Gottesliebe, weil ihr Gott und sein Gebot der Liebe über alles ging, und weil sie wusste, dass man Gott nicht mit schäbigen Brosamen abspeisen darf.
Alles, was sie hatte, gab sie. Es war wahrhaftig ein Ganzopfer. Nichts behielt sie für sich: Sie machte es wie jene alttestamentliche Witwe aus Sarepta. Sie machte keinen Vorbehalt. Sie kannte in ihrer Opferbereitschaft Gott gegenüber keine stillen Reserven und Vorbehalte. Sie warf sich vorbehaltlos in die Arme Gottes im Glauben und Vertrauen. Er wird mich schon nicht vergessen, wenn ich mich ihm ganz ausliefere.
Nach dieser Beobachtung rief Jesus die Jünger zu sich, erzählte ihnen, was er eben beobachtet hatte und erklärte: „Wahrhaftig, ich sage euch: diese arme Witwe hat mehr als alle anderen in den Opferstock hineingegeben, denn die anderen haben nur etwas von ihrem Überfluss gegeben, sie aber, die nur das Notwendigste zum Leben hatte, opferte alles, was sie besaß!“
Der Herr wollte seinen Jüngern und uns allen damit sagen: Der Wert einer Opfergabe lässt sich nicht in absoluten Zahlen messen, es kommt ganz auf die Gesinnung an, in der sie gegeben wird: Opferbereitschaft unter Vorbehalt, die nur gibt, um wieder zu bekommen, ist nicht viel wert, und Opferbereitschaft, die Gott gegenüber kleinlich und knauserisch rechnet, ist ebenfalls nicht viel wert. Nur ein Opfer, das blutet und wehtut und aus der selbstlosen Liebe gegen Gott und den Bruder in Not gegeben wird, ist Gottes würdig.
Da täte uns allen jetzt ernste Gewissenserforschung Not, zumal wir uns fast ausnahmslos den Vorwurf machen müssen: ich opfere Gott und dem Bruder zu wenig von meinem Besitz, zu wenig von meiner Zeit, zu wenig von meinem Herzen, zu wenig von meinem Einsatz, zu wenig von meiner Liebe! Die Witwe von Sarepta, die Witwe am Tempeltor, die Witwe von der Wartburg, die hl. Elisabeth, sollten uns in ihrer selbstlosen Hilfsbereitschaft und Opferbereitschaft wieder mehr Vorbilder sein. Amen.