30. Sonntag im Jahreskreis – LjB

gehalten in St.M. Loreto am 27.10.1991

 

An einem der letzten Sonntage habe ich darauf hingewiesen, wie der unvergessliche Prof. Dillersberger in seinem Kommentar zum Markusevangelium das Stück überschreibt, das als Sonntagsevangelium genommen war: Die große Bitte – die große Lehre. Die große Bitte, die von den beiden Apostelbrüdern Jakobus und Johannes ausgesprochen wurde, zur Rechten und zur Linken des Heilands sitzen zu dürfen, wenn er in sein Reich kommt; Er aber gab ihnen und allen seinen damaligen und künftigen Jüngern die große Lehre: Wer unter euch der größte sein will, sei der Diener aller! Und er verwies noch auf sein eigenes Beispiel und sagte: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für die vielen!“

Den heutigen Abschnitt aus dem MkEv, der als Evangelium des 30. Sonntages im Jahreskreis dient, überschreibt Prof. Dillersberger in seinem Kommentar mit dem vielsagenden Wort: „Das große Licht“. In den erblindeten Augen eines armen Bettlers wurde es wieder licht, weil Er, der das Licht der Welt ist und die Menschen erleuchten möchte, diesen armen Bettler von der Blindheit wunderbar geheilt und wieder sehend gemacht hat, und zwar nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich, denn dieser wunderbar von seiner Blindheit geheilte Bettler hat sich im weiteren Leben wahrhaftig von Christus erleuchten lassen und ist ihm als Jünger nachgefolgt. Er ist dabei zum Vorbild jener vielen Menschen und Völker geworden, die noch in der Nacht des Heidentums dahinleben und blind sind, weil ihnen das wahre Licht – Christus – noch nicht aufgegangen ist, und die doch auch aus der Finsternis des Heidentums herausgeführt werden sollten, weil Christus auch diese Menschen, auch diese Völker Asiens, Afrikas und Südamerikas mit seinem Licht erleuchten und ihr Leben mit seiner Gnade erwärmen möchte.

Schauen wir uns nun das heutige Sonntagsevangelium näher an:

Der Herr ist auf dem Weg nach Jerusalem, um dort für uns Menschen zu leiden und zu sterben. Er zieht gerade durch die Stadt Jericho. Besonders viel Volk begleitet ihn begeistert, weil es seine vielen Wunder erlebt und seine aufrüttelnden, trostvollen Worte gehört hat. Da sitzt am Wegrand ein blinder Bettler. Trotz seiner Blindheit scheint dieser Mann voll von lebendigem Interesse zu sein für das, was um ihn herum vorgeht. Denn er erkundigt sich bei den an ihm Vorüberziehenden, was denn los sei. Da erfährt er, dass Jesus mit viel Volk vorüberzieht.

Wie der Blinde aber den Namen Jesus hört, blitzt es in ihm: „Das ist doch der große Wundertäter, von dem ich schon so viel gehört habe, ob der nicht auch mir helfen könnte?“ Und schon fängt er laut zu bitten an: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Und weil er nicht weiß, ob Jesus ganz nahe bei ihm ist oder noch weiter weg – er sieht ja nichts – so fängt er, um ganz sicher zu gehen, mit seinem ganzen Stimmaufwand zu schreien an: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Dieses Schreien muss so laut und so ununterbrochen dahingegangen sein, dass es den Leuten zu viel wurde. Sie fahren ihn an, er soll doch still sein. Sie wussten ja nichts um die innere Not des armen Blinden und wusste auch nichts vom grenzenlosen Vertrauen, das der Blinde zu Jesus hatte, und wussten auch nicht, dass in seinem Schreien sein ganzer Glaube an den Messias, den Sohn Davids, den großen Heilbringer und Heiland lag.

Der Blinde hörte trotz der Zurechtweisung durch die Leute nicht zu schreien auf, im Gegenteil, er schrie nur noch lauter und setzte beharrlich seine große Jesus-Litanei fort: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“. Da blieb Jesus im Volksgedränge stehen. Jemand hat gemeint, dieser kurze Satz im heutigen Sonntagsevangelium sei eine der bewegendsten Schriftstellen: Mitten im Strom der großen Menge bleibt Jesus stehen für diesen einen und ist nun ganz da für ihn. Und der war ein blinder Bettler. Und Jesus sagt zu den ihn Umstehenden: „Bringt diesen Mann zu Mir her!“

Das Volk ist sofort umgestimmt. Eben haben die Leute den Blinden noch angefahren wegen seines Schreiens, jetzt rufen sie ihm zu: „Hab Mut! Steh auf! Er, Christus, ruft dich!“ Ist das nicht ein Wort, das wir jedem Kranken, jedem Leidtragenden zurufen könnten?

Was tat nun der Blinde? Er sprang wirklich auf, so rasch, dass ihm der Mantel vom Rücken fiel. Und schon war der Blinde bei Jesus. Und Jesus sagt zum Blinden: „Was willst du denn, dass Ich dir tun soll?“ Die erstaunte, vertrauens- und ehrfurchtsvolle Antwort des blinden Bettlers lautet: „Rabbuni, dass ich wieder sehe!“ Eigentlich ist das gar keine Bitte, nur ein Wunsch, aber dieser Wunsch wird mit einer so schönen, vertrauensvollen Anrede an Jesus gerichtet: „Rabbuni“ – Rabbi = Lehrer, Rabbuni = mein Meister, mein Herr. In dieser Anrede klingt ganz großes Vertrauen und ganz große Ehrfurcht mit, aber auch das Staunen darüber, wie dieser Herr ihn überhaupt noch fragen kann, was er sich denn wünsche. Das ist doch klar und selbstverständlich: Sehen, wieder sehen können, auf dass die Finsternis weicht und es wieder licht wird!

Der Herr hat den Glauben des blinden Bettlers und sein großes Vertrauen voll und ganz erkannt. Mit seinem Glauben hat sich dieser blinde Bettler gegen die ganze Volksmenge, die ihn doch zuerst zum Schweigen hätte bringen wollen, durchgesetzt. Sein Glaube hat ihn sofort auf die Beine gebracht. Der Herr belohnt nun gleichsam den großen vertrauensvollen Glauben dieses Blinden. Er sagt zu ihm: „Geh! Dein Glaube hat dich geheilt!“

Geheilt von der Blindheit geht der Bettler, aber nicht weg von Christus, sondern mit Christus. Er bleibt fortan bei Christus, er folgt Christus nach, nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich will er sich auf dem weiteren Lebensweg von Christus immer wieder erleuchten lassen. So wurde er in der Urkirche zu einer auch namentlich bekannten Persönlichkeit. Sonst hätte der Evangelist Markus wohl nicht seinen Namen „Bartimäus“ ausdrücklich aufgezeichnet.

Lassen auch wir uns immer wieder von aller Blindheit des Herzens durch Christus heilen und gehen wir nicht blind durch unsere Erdenzeit, sondern als von Christus Erleuchtete, die hinter die äußeren Dinge schauen und die eigentliche Wirklichkeit sehen und erkennen: Gott und die göttliche, jenseitige, übernatürliche Wirklichkeit.

Danken wir auch immer wieder, dass wir durch die Taufe und die anderen Sakramente, auch vielleicht sogar durch Prüfungen und Heimsuchungen von Christus erleuchtet und sehend gemacht worden sind.

Ich denke da wieder an jenen Fürsten Hugo von Windischgrätz, bei dem ich eine Zeitlang nach Abschluss meiner Studien Sekretär und Hauskaplan machen konnte, nachdem mir von der Deutschen Botschaft, der wir Österreicher damals im Dritten Reich unterstanden, kein Visum zur Heimreise von Rom nach Salzburg ausgestellt worden war. Dieser Fürst hatte durch Kreislaufstörungen nicht bloß ein Bein, sondern auch sein Augenlicht verloren. Er war dabei aber keineswegs ein vom Leben Enttäuschter und Verbitterter geworden, im Gegenteil. Eines Tages verriet er mir jungem Priester, was ihn bei seinem Zustand aufrecht hielt: „Hochwürden, ich weiß ganz genau, was meine Frau, die Fürstin, und meine drei Söhne und meine Beamten und Angestellten von mir denken. Dass es nämlich das Gescheiteste wäre, wenn ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen und meinem Leben ein Ende setzen würde. Aber ihnen als Priester möchte ich es verraten: Seit ich blind geworden bin, habe ich es keinen Tag unterlassen, das Te Deum zu beten, denn seit damals bin ich innerlich sehend geworden und der Glaube, die tägliche hl. Messe und die tägliche hl. Kommunion bringen mir so viel Trost und Kraft, dass es in mir täglich immer noch lichter und heller wird!“

Ja, danken wir für das innere Licht, mit dem Christus uns durch den Glauben, durch die Gnade, durch die Sakramente erleuchtet! Denken wir heute aber auch – wie ich am Anfang der Predigt sagte – an die vielen Menschen in den Missionsländern, die noch in der Nacht und Finsternis des Heidentums dahinleben und an die vielen in Europa, die blind geworden sind für die lichtvolle Frohbotschaft Christi und die darum – wie der Papst es immer wieder betont – der Neuevangelisierung bedürfen! Auch die Ungläubigen und die Neuheiden sollen von Christus erfahren, damit Er auch sie erleuchten und aus dem Dunkel, das sie umgibt, herausführen kann.

Was uns der fromme Dichter-Konvertit und Priester Angelus Silesius von Christus singen lässt, das soll heute die Bitte an Christus sein: „Morgenstern der finstern Nacht, der die Welt voll Freuden macht, Jesus mein, komm herein, leucht in meines Herzens Schrein ... Deines Glanzes Herrlichkeit übertrifft die Sonne weit; du allein, Jesus mein, bist, was tausend Sonnen sein. Du erleuchtest alles gar, was jetzt ist und kommt und war; voller Pracht wird die Nacht, wenn dein Glanz sie angelacht ... Ei nun, güldnes Seelenlicht, komm herein und säume nicht. Komm herein, Jesus mein, leucht in meines Herzens Schrein“ ... und leuchte in den Herzen derer, die dich noch nicht oder nicht mehr kennen. Amen.