7. Sonntag der Osterzeit – Lesejahr A

gehalten in St. M. Loreto

und im Hohen Dom zu Salzburg am 7. Mai 1978

 

Über dem heutigen Sonntag zwischen dem Fest Christi Himmelfahrt und dem Pfingstfest liegt eine eigenartige Stimmung in Rückschau und Ausschau: Der Herr ist heimgekehrt zum Vater. Zuvor hat er den Aposteln noch den Auftrag erteilt: “Bleibt zunächst noch in der Stadt (Jerusalem), bis ihr mit der Kraft aus der Höhe ausgerüstet seid!“

An diese Weisung ihres Meisters hielten sich die Apostel.

Darum heißt es im 1. Kapitel der Apg: „Nachdem Jesus in den Himmel aufgenommen worden war, kehrten die Apostel nach Jerusalem zurück... In der Stadt angekommen gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben...Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu.“

So begann also das, was wir heute die erste große Pfingst— Gebetsnovene nennen können. Worin wohl dieses inständige, neuntägige Gebet der um die jungfräuliche Mutter Jesu gescharten Apostel bestanden haben mag?

Ein Gebet, das die Apostel aus dem Munde Jesu vernommen hatten, werden sie in diesen vorpfingstlichen Tagen immer wieder überdacht haben: das sogenannte Hohepriesterliche Gebet, das Christus im Anschluss an seine Abschiedsreden im Abendmahlssaal an den Vater im Himmel gerichtet hatte.

Wie einst die Apostel, so macht es jetzt auch die Kirche: Sie legt uns an diesem vorpfingstlichen Sonntag das Hohepriesterliche Gebet Jesu als Sonntagsevangelium vor, damit wir über diese gewichtigen Sätze meditieren.

Der letzte Satz im heutigen Sonntagsevangelium lautet: „Hl. Vater, bewahre sie (die Apostel und alle Gläubigen) in deinem Namen...“ In den darauffolgenden Sätzen des Hohepriesterlichen Gebetes führt der Herr dieses Anliegen näher aus und richtet eine doppelte Bitte für die Apostel und uns alle an den Vater im Himmel. Es ist 1.) die Bitte um die Bewahrung vor dem Bösen und vor der Welt und 2.) die Bitte um die Heiligung in der Wahrheit.

 

1. Die Bitte um Bewahrung sprach Jesus so aus: „Hl. Vater, bewahre sie (meine Jünger und alle, die an Mich glauben) in Deinem Namen... Solange Ich bei ihnen war, habe Ich sie in Deinem Namen bewahrt. Ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren außer dem Sohn des Verderbens... Ich bitte nicht, dass Du sie hinwegnimmst aus der Welt, sondern dass Du sie vor dem Bösen bewahrst!“ Ist diese Bitte Jesu um Bewahrung der Seinen heute nicht total überholt?

Heute drängt doch beispielsweise alles weg vom „bewahren“ hin zum „bewähren“. Das gilt doch in der modernen Pädagogik als Erziehungsgrundsatz: Nur nicht die Kinder und Jugendlichen „bewahren“, behüten und abschirmen von allen Gefahren, sondern ihnen möglichst alles freistellen, damit sie sich „bewähren“ und sich so dann zu rechten Persönlichkeiten entfalten.

Was hier auf pädagogischem Gebiet heute der Trend ist, ist auch im Bereich des Glaubens, der Sittlichkeit und des religiösen und kirchlichen Lebens zu beobachten: Nur möglichst weg vom „Bewahren“ in einengender Gettohaltung, etwas wagen in mutigen Experimenten und etwas riskieren, auch wenn es für die überlieferte Glaubenshaltung und Sittlichkeit sehr riskant sein mag. Weg jedenfalls von dem, was das lateinische Wort für “bewahren“ = conservare mitschwingen lässt: nur nicht konservativ sein, denn konservativ sein ist doch heute weithin fast zu einem Schimpfwort geworden, nicht etwa nur in der Politik, sondern auch in der Kirche: konservative Gläubige, konservative Seelsorger, konservative Theologen, konservative Gruppen und Gruppierungen, das gilt doch heute bei allem lauthals angepriesenen Pluralismus als etwas total Rückständiges, Überholtes, wenn nicht gar Schlechtes und wird dabei dann überdies mit reaktionär gleichgesetzt.

 

Wie kindisch und lächerlich solch antikonservative, progressistische Haltung ist, die alles nur vom Aufgeben und Preisgeben des Überlieferten und vom experimentierfreudigen Fortschritt erwartet, könnte man lang und breit darlegen und aufzeigen.

Es ist jedenfalls eigenartig, dass der Gottmensch Jesus Christus in seinem Hohepriesterlichen Gebet ganz anders gedacht und gesprochen hat. Er, den man in unserer Zeit so oberflächlich als progressiven Sozialrevolutionär hinstellt, der angeblich alles Hergebrachte und Überlieferte beiseitegeschoben hat, Er hat gesagt, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzuheben sondern zur Erfüllung und Vollendung zu bringen im Doppelgebot der Gottes— und Nächstenliebe und Er hat auch die Bitte um Bewahrung der Seinen in sein großes, feierliches Schlussgebet beim Letzten Abendmahl hineingenommen und hat den Vater im Himmel gebeten um Bewahrung der Seinen vor dem Bösen und vor der Welt. Er wollte die Apostel freilich nicht wie in einer Konservenbüchse abkapseln von der Welt, er wollte sie nur vor dem Bösen und vor dem unguten Welt- und Zeitgeist bewahrt wissen, um sie so dann in der Kraft des Hl. Geistes in die Welt auszusenden, damit sie in dieser das Reich Gottes mit missionarischem Eifer aufrichten.

 

1. Bewahrung vor dem Bösen: es geht dabei – genau gesehen – um eine ungemein aktuelle Bitte Jesu Christi in seinem Hohepriesterlichen Gebet! Bewahrung vor dem Bösen in seiner mannigfachen Gestalt, zu allererst vor der Sünde, deren Möglichkeit und Wirklichkeit heute weithin bestritten und geleugnet wird in dieser Zeit, in der alles, gar alles erlaubt zu sein scheint und das Sündenbewusstsein immer mehr abzukommen scheint!

 

Bewahrung vor dem Bösen nicht bloß im neutralen, sächlichen Sinn tut uns allen Not, sondern auch vor dem Bösen in Person, vor dem Widersacher Gottes und der Menschen, dem Teufel, dessen Existenz man heute bestreitet und belächelt, dessen Wirksamkeit aber selten einmal so spürbar war wie gerade in unserer durch dämonische „Mächte und Gewalten“ verwirrten und terrorisierten Zeit! Die Macht des Teufels und seiner Helfershelfer ist viel größer und realer, als journalistische Theologen mit ihren reißerischen Traktätchen über den „Abschied vom Teufel“ uns weismachen wollen. Christus hat schon gewusst, warum er beim Letzten Abendmahl zum ersten Papst, zu Petrus gesagt hat: „Satan hat verlangt euch sieben, euch wie in einem Sieb schütteln zu dürfen wie Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Du aber stärke deine Brüder!“(Lk 22,31f)

 

Auch um Bewahrung seiner Jünger vor der Welt, vor dem schlechten, verführerischen Weltgeist und Zeitgeist hat Jesus im Hohepriesterlichen Gebet zum Vater gebetet und wörtlich hinzugefügt: „Ich habe meinen Jüngern dein Wort, Vater, gegeben, aber die Welt hasst sie, weil sie nicht aus der Welt sind, wie auch Ich nicht aus der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt hinwegnimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen in der Welt bewahrst!“ Heute aber meinen so viele auch im katholischen Raum, man müsse sich der Welt total anpassen und gleichförmig machen und man beruft sich für diesen falschen Welt—Konformismuslauf den zu Pfingsten vor 15 Jahren verstorbenen Papst Johannes XXIII. und sein völlig missverstandenes Wort vom Aggiornamento und man beruft sich auf das II. Vaticanum. Dieses aber hat zwar vom Dienst der Kirche, der Priester und Gläubigen an der Welt und für die Welt gesprochen, um die Welt mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen, es hat aber in keiner Weise der totalen Anpassung der Christen oder gar der Priester und Ordensleute an die Welt und ihren Geist das Wort geredet.

 

Gewiss wäre Weltflucht und Weltverachtung heute völlig falsch, aber wir alle haben uns als Jünger Christi vor dem Weltgeist mit seinen modischen und modernistischen Strömungen, mit seiner Vergötzung und Absolutierung rein diesseitiger Werte und vor einem total weltimmanenten materialistischen Wohlstandsdenken zu hüten, wo man so lebt, als ob es nur auf immer höheren Lebensstandard und nur auf das Wohlergehen und Wohlleben und Genießen in diesem kurzen Erdenleben ankäme. Uns ist die Arbeit für eine menschlichere, menschenwürdigere Welt aufgetragen, ja. und zwar mit allen Kräften und mit vollem Einsatz, aber nicht Anpassung an die Welt mit ihrem kurzsichtigen Diesseitsdenken, in welchem das Leben jenseits der Todeslinie völlig geleugnet wird!

 

2. Unserem Herrn und Heiland ging es in seinem Hohepriesterlichen Gebet aber nicht bloß negativ um Bewahrung der Seinen vor etwas, nämlich vor dem Bösen und vor der Welt, sondern um eminent Positives: um Bewahrung seiner Jünger in der Wahrheit und um ihre Heiligung durch die Wahrheit! So betete der Herr für seine Jünger zum Vater im Himmel: „Heilige sie in der Wahrheit und durch die Wahrheit! Dein Wort, Vater, ist Wahrheit!“ Heiligung in der Wahrheit und durch die Wahrheit! Das also wollte uns der Herr als Zweites erbitten und dazu wollte er auf die junge Kirche damals den Geist der Wahrheit, den Hl. Geist herabsenden, dass er sie in alle Wahrheit einführe und so heilige.

 

Die volle, unverfälschte und unverkürzte Wahrheit Jesu Christi hätte für uns alle, die wir seit der Taufe Christen, also Jünger Christi sind, eine umwandelnde und heiligende Kraft, die dann über uns Christen sich in der Umwandlung und Heiligung der ganzen Welt auswirken könnte und müsste!

Es ist nur so traurig, dass man die Offenbarungswahrheit, die letztlich Christus selber ist, der von sich sagen konnte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben!“, heute oft in falscher Weise uminterpretiert, ihres tiefen Gehalts und ihres Mysteriencharakters beraubt und zu etwas degradiert, was unbedingt mit dem kleinen Menschenverstand erfasst und begriffen werden kann. In solch falschem Rationalismus lehnt man zuletzt jede übernatürliche Offenbarung ab und vergisst dabei völlig, dass Gott und seine Wahrheit größer ist als unser Herz, größer als unser Verstand!

Unsere Bewahrung in der Wahrheit und unsere Heiligung durch die Wahrheit ist in dieser verworrenen Zeit etwas, zu dem die eigene Anstrengung bei weitem nicht hinreicht. Dazu braucht es die Gnade von oben, die erbetet werden muss. Dazu braucht es vor allem den Hl. Geist, den Geist der Wahrheit, den Jesus Christus seiner Kirche und allen seinen Jüngern verheißen hat. Um ihn haben die Apostel damals im Abendmahlssaal, geschart um Maria, die Mutter Jesu, inständig und einmütig gebetet. Er kam dann als wunderbare Gebetserhörung im Pfingststurm und in Feuerzungen auf die junge Kirche herab.

Beten auch wir in diesen Tagen in einem gemeinsamen Gebetssturm um diese Kraft von oben: Veni, sancte Spiritus! Komm, Hl. Geist, auf dass die Kirche Jesu Christi und wir alle in ihr vor dem Bösen bewahrt und durch die Wahrheit geheiligt werden. Amen.