7. Sonntag der Osterzeit

gehalten im Hohen Dom zu Salzburg am 31.Mai 1981

 

Über dem heutigen Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten liegt eine eigenartige Stimmung in Rückschau auf das gewaltige, heilsträchtige Christusereignis, das mit der Himmelfahrt Jesu zum Abschluss gekommen ist, und in Ausschau auf die verheißene Sendung des Hl. Geistes: Der Herr ist heimgekehrt zum Vater. Zuvor aber hat Er den Aposteln, wie es in der Lesung aus der Apostelgeschichte geheißen hat, noch den Auftrag gegeben: „Bleibt zunächst noch in der Stadt (Jerusalem), bis ihr mit der Kraft aus der Höhe ausgestattet worden seid!“

 

An diese Weisung des Meisters haben sich die Apostel gehalten. Darum hieß es in der Lesung aus dem 1. Kapitel der Apostelgeschichte weiter: „Nachdem Jesus in den Himmel aufgefahren war, kehrten die Apostel nach Jerusalem zurück... In der Stadt angekommen, gingen sie in das Obergemach des Abendmahlssaales hinauf, wo sie nun blieben... Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu.“

 

So begann damals das, was wir heute die erste große Pfingst—Gebetsnovene nennen. Worin wohl dieses inständige neuntägige Gebet der um die jungfräuliche Mutter Jesu gescharten Apostel bestanden haben mag? Sicher nicht, wie es sich fromme Seelen vorstellen könnten, im Rosenkranzgebet. Diesen kannte man damals noch nicht. Wohl aber wird neben dem Psalmengebet auch bereits das Gebet des Herrn, das Vaterunser in dieser ersten christlichen Gebetsgruppe gebetet worden sein. Über die sieben gewaltigen Bitten im Vaterunser werden die Apostel in diesen Tagen vor Pfingsten intensiv nachgedacht und meditiert haben, weil sie sicher spürten, dass darin die allerwichtigsten Anliegen, die ihnen Christus ans Herz gelegt hatte, ausgesprochen sind: dass nämlich Gottes Name geheiligt werde, dass Gottes Wille erfüllt werde, dass Gottes Reich komme; dann, ja dann würde Gott seinerseits auch das tägliche Brot geben, alle Sündenschuld vergeben, vor Versuchungen bewahren und von allem Übel und allem Bösen erlösen.

 

Noch ein anderes Gebet, das die Apostel aus dem Munde Jesu vernommen hatten, werden die Mitglieder dieser ersten christlichen Gebetsgemeinschaft in diesen vorpfingstlichen Tagen immer wieder überdacht haben: das sogenannte Hohepriesterliche Gebet, das Christus im Anschluss an seine Abschiedsreden im Abendmahlssaal an den Vater im Himmel gerichtet hatte.

Wie einst die Apostel, so macht es auch die Kirche: Sie legt uns an diesem vorpfingstlichen Sonntag das Hohepriesterliche Gebet Jesu als Sonntagsevangelium vor, damit wir über die gewichtigen Sätze in diesem Gebet betrachten.

Man hat liturgiegeschichtlich die interessante Feststellung gemacht, dass es einst auch zur Sterbeliturgie dazugehört hat, den Sterbenden nicht bloß die Abschiedsreden Jesu vorzulesen, sondern ihnen auch als Einstimmung und Vorbereitung auf den würdigen Empfang der Sterbesakramente vor allem auch das Hohepriesterliche Gebet Jesu vorzubeten. Dabei drückte die Kirche die tröstliche Überzeugung aus, dass besonders in der entscheidungsvollsten Stunde, in der Sterbestunde, jeder, der im Glauben Jesus angehört, auch in sein Hohepriesterliches Gebet einbezogen und darin aufgehoben ist. Aber auch, dass einer im Leben wie im Sterben gut tut, sich zu  sagen, dass er die gleiche Aufgabe gehabt hätte wie Jesus Christus: den Vater zu verherrlichen, die aufgetragen bekommene Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen, den Schatz des Glaubens und der Gnade zu bewahren und weiterzutragen und keinen zu verlieren von jenen, die ihm im Leben, in der Ehe, in der Familie, im Beruf anvertraut worden waren.

 

Christus konnte im Hohepriesterlichen Gebet zum Vater im Himmel sagen: „Vater, ich habe Dich auf Erden verherrlicht und das Werk vollbracht, das Du mir aufgetragen hast.“

Glücklich der Mensch, glücklich der Sterbende, der das Christus in der Sterbestunde nachsprechen kann.

Vielleicht stellen wir einmal in der Sterbestunde besorgt fest, dass leider gar manches oder vielleicht sogar vieles in unserem Erdenleben nicht so war, um wirklich zur Verherrlichung des Vaters im Himmel gereichen zu können. Glücklich jener Sterbende, der dann in der Sterbestunde noch ein wenig das in Ordnung bringen und nachholen kann, was versäumt worden ist: Gebet, aufrichtige Reue über die begangenen Sünden, würdiger Empfang der Sterbesakramente sind solche Mittel. Arm sind in der Sterbestunde jene daran, für die Gott im Leben und sogar noch im Sterben nur Nebensache war und ist, Nebensache und Randerscheinung, um die man sich kaum oder gar nicht gekümmert hat!

Verherrlichung Gottes in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen in der Treue gegen Gottes Gebot, das ist nicht erst im Sterben, sondern all die Tage, Wochen, Monate und Jahre vorher unsere eigentlichste Lebensaufgabe! Vergessen wir das doch nicht!

Mir kommt da aus meiner Studienzeit jener große deutsche Jugendseelsorger Ludwig Wolker in den Sinn, der seinen jungen Leuten das immer wieder beigebracht und eingehämmert hat mit dem Wort: „Gloria Dei in amore Dei!“ Verherrlichung Gottes in der Liebe Gottes, d.h. konkret in der Erfüllung des doppelten Gebotes der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen‚ denn es ist so, wie der Apostel Johannes in seinem ersten Brief 4,19 geschrieben hat: „Wenn jemand sagt: ‘Ich liebe Gott‘, und seinen Bruder hasst, so ist er ein Lügner; denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, kann Gott nicht lieben, den er nicht gesehen hat! Und wir haben dieses Gebot von Ihm: wer Gott liebt, liebt auch seinen Bruder!“

 

Das war der Geist der Urkirche, das war der Geist der im Abendmahlssaal vor Pfingsten um Maria, die Mutter Jesu, versammelten Apostel.

Sie beteten nicht bloß einmütig um den Heiligen Geist, den Geist der Liebe und der Wahrheit, sie öffneten ihr Herz dafür und waren schon erfüllt vom Geist der Eintracht, der Liebe und des gemeinsamen Bemühens, Gott zu verherrlichen. Darum heißt es in der Apg 2,42: „Sie verharrten in der brüderlichen Gemeinschaft im Brotbrechen und im Gebet... Täglich brachen sie das (eucharistische) Brot und nahmen das Mahl mit Frohlocken und in Einfalt des Herzens, indem sie Gott priesen. Bei allem Volk aber waren sie beliebt. Der Herr aber vermehrte von Tag zu Tag die Zahl der zum Heil Berufenen.“

 

Ja, das war der Geist der nachösterlichen, vorpfingstlichen Urkirche! Ihre Haltung war wirklich: Gloria Dei in amore Dei! Verherrlichung Gottes in der Liebe zu Gott, in der Nachfolge und Nachahmung Christi, der im Hohepriesterlichen Gebet gesprochen hatte: „Vater, ich habe dich auf Erden verherrlicht und das Werk vollendet, das Du mir aufgetragen hast!“

In der Kraft des Hl. Geistes, der zu Pfingsten auf die junge Kirche herabkam, war dies dann auch der Geist, der herauf durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte die Heiligen beseelt hat: Gloria Dei in amore Dei! - Verherrlichung Gottes in der Liebe zu Gott!

Wie hat das doch jene Heilige so großartig verstanden, der dieser nun zu Ende gehende Monat Mai geweiht war: Maria! Man muss nur das „Magnificat“ einmal richtig überdenken, das Maria damals, als sie in das Haus ihrer Verwandten Elisabeth gekommen war, angestimmt hat: Hochpreiset meine Seele den Herrn und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland ...!“ Ihr ging es wirklich um dankbare Verherrlichung Gottes, der Großes an ihr getan hat. Dabei vergaß sie nicht auf die den Mitmenschen geschuldete Liebe, denn dazu war sie aufgebrochen und aus Nazareth über das Gebirge Judäas geeilt, um ihrer alten Verwandten in schwerer Stunde liebevoll beizustehen. Ja, Maria hat es verstanden, dieses „Gloria Dei in amore Dei!“ - Verherrlichung Gottes in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen - ernst zu nehmen und in die Tat umzusetzen! Wie weit ist doch heute die Haltung vieler, leider auch vieler Katholiken, ganz anders: es geht ihnen nur mehr um die eigene Verherrlichung, Gott wird vergessen und zur Randfigur in ihrem Leben degradiert, und die Liebe äußert sich nur noch in erbärmlicher Selbstliebe egoistischen Pochens auf den eigenen Vorteil.

Wie die Urgemeinde sollten auch wir uns in diesen Tagen vor Pfingsten wieder die rechte christliche Haltung erbeten, damit wir alle wieder mehr als bisher in der Kraft des Hl. Geistes auf die Verherrlichung Gottes in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen bedacht seien!