Christuspredigt zu den Bitt-Tagen
Christus, der Auferstandene. Christus, der gute Hirt. Christus, der Arzt. Christus ‚ der Lebensspender.
In welcher Eigenschaft soll Christus heute vor uns stehen? Die kommenden Bitt-Tage legen es nahe: Wir wollen heute Christus betrachten als den großen Beter!
Nirgends in der ganzen Weltgeschichte treffen wir einen Menschen, der so viel und so vollkommen gebetet hat wie Christus.
1) Christus hat viel gebetet: Das Gebet nimmt im Leben des Heilands einen sehr weiten Raum ein.
Mit Gebet trat er ins Erdenleben ein, mit Gebet schied er aus dem Erdenleben. Und dazwischen ein Leben des Gebetes.
In der Krippe und in den Jahren der Kindheit, da er zu anderen Arbeiten noch unfähig war, bildete das Gebet seine einzige Beschäftigung. Dass das Gebet auch im verborgenen Leben Jesu einen bedeutenden Teil seiner Zeit einnahm, dürfen wir mit Sicherheit aus dem großen Gebetseifer erschließen, mit dem Jesus während seines öffentlichen Lebens betete.
Obwohl die dem Heiland zu seiner Lehrtätigkeit vom himmlischen Vater zugestandene Zeit äußerst knapp war — kaum drei Jahre —, so verstand er es doch immer, Zeit zu finden zum Gebet, und zwar nicht bloß zu kurzen Stoßgebeten, sondern auch zu langem, anhaltendem Gebet. Und fand der Heiland nicht im Lauf des Tages die nötige Zeit zu langem Gebet, dann stand er sehr früh auf, um sich auszubeten, bevor ihn die Berufsarbeit wieder voll beanspruchte, oder er zog sich abends zurück, um das Versäumte nachzuholen. Bisweilen entzog er sich auch untertags mit Gewalt dem Andrängen des Volkes, um seiner Gebetsaufgabe zu genügen. Vor Tagen von größerer Bedeutung dauerte das Gebet des Heilands zuweilen die ganze Nacht hindurch.
Ich habe mir ein paar besonders bezeichnende Stellen aus den Evangelien herausgeschrieben, wo die Evangelisten in verhaltener Ergriffenheit vom Beten des Heilands berichten:
Mk 1,35: „Und noch in gar tiefer Morgendämmerung stand er auf und ging von dannen und begab sich weg an einen einsamen Ort und da betete er.“
Mt 14,23: „Und nachdem er die Volksscharen entlassen hatte, stieg er auf den Berg allein, um zu beten.“
Lk 5,16: „Er zog sich in die Wüste zurück und betete.“
Lk 6,12: „Es geschah in jenen Tagen, dass er hinausging auf den Berg, um zu beten. Und er brachte die Nacht im Gebet mit Gott zu.“
Lk 9,28: „Es geschah aber, da nahm er Petrus und Jakobus und Johannes mit und stieg hinauf auf den Berg, um zu beten...“
Lk 22,39: „Und er ging hinaus und begab sich nach seiner Gewohnheit auf den Ölberg. Und als er angelangt war an dem Orte, sprach er zu den Jüngern: Betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet! Und er trennte sich von ihnen wie auf Steinwurfweite, und er kniete sich nieder und betete.“
Das sind nur ein paar Streiflichter, die die Evangelien auf den Beter Jesus werfen.
Das Gebet war die Triebfeder seines Messiaswirkens. Alle wichtigen Taten des Heilands sind umrahmt von Gebet: Er betet bei seiner Taufe, er betet vor der Apostelwahl, er betet vor der Verheißung des Primates, er betet vor der Verklärung, er betet vor der Verheißung des Altarssakramentes und vor seiner Einsetzung beim letzten Abendmahl, er betet bei der Todesangst am Ölberg, er betet während der Leidensstunden am Kreuze und bei seinem Sterben. Er betet nach seiner Auferstehung und bei seiner Himmelfahrt. Und sein verklärtes Leben im Himmel geht nun ganz auf in Gebet. Im Himmel wie im heiligsten Sakrament tut er Tag und Nacht nichts anderes als durch Gebet den Vater ehren und uns die Gnade erflehen. Er ist wie in seinem Erdenleben auch jetzt noch der große Beter.
Und das viele, lange Gebet während des öffentlichen Wirkens des Herrn macht den Eindruck, als ob er stets gefürchtet hätte, innerlich zu verarmen und leer zu werden an Geist und Gnade, wenn er nicht in regelmäßigem und langem Gebet aus den Schätzen des himmlischen Vaters nachfüllte, was er in der Berufsarbeit an die Menschen ausgeben musste. Wahrhaftig, Christus war der große Beter und ist es noch in unserer Mitte.
Darf ich da gleich eine Mahnung, eine Frage einschalten:
Christus betete und fand es nicht unter seiner Würde. Und du betest nicht? Du schämst dich, zu beten? Du meinst, alles andere sei wichtiger als das Gebet?
Christus betete viel, so viel. Und du betest so wenig! Soll das nicht auch eine Frucht der Bitt-Tage sein, wieder mehr zu beten, das Gebet wieder mehr zu schätzen, dem Gebet in deinem Tagewerk wieder mehr Platz einzuräumen? Je mehr du betest, umso mehr richtest du aus! Das gilt zuerst uns Priestern. Wir beten zu wenig, sonst würden wir sicher mehr ausrichten, mehr erreichen und mehr Segen haben in unserer Berufsarbeit!
Warum wird denn Christus so viel gebetet haben?
1.weil er zu klar einsah, dass der Mensch schließlich nur dazu da ist, um Gott zu lieben und zu verherrlichen. Das geschieht aber zu allererst im Gebet, wo man eben zeigt, dass man für Gott Zeit hat.
2.weil ihm Gott eins und alles war. Darum gab es eben für ihn nichts Wichtigeres und nichts Angenehmeres als den Umgang mit dem himmlischen Vater im Gebet. Da war er zuhause, da fühlte er sich wohl.
3.weil er uns ein Beispiel geben wollte, weil er durch sein Gebet unser Gebet heiligen wollte und weil er uns wie durch sein Leiden auch durch sein Beten Gnade verdienen wollte. Denn der Herr hielt sich in seiner Mittlertätigkeit an das unabänderliche Gesetz göttlicher Gnadenordnung, das auch für uns Geltung hat: Je mehr Gebet, desto mehr Gnade, wenig Gebet, wenig Gnade; kein Gebet, keine Gnade. Wer recht zu beten weiß, der weiß auch recht zu leben.
Je heiliger jemand ist und je mehr bedacht auf Gottes Ehre und das Heil der Menschen, desto mehr drängt es ihn zum Gebet. Hat aber jemand fürs Gebet nicht viel übrig, dann ist es eine ausgemachte Sache, dass man von ihm nichts wirklich Großes und Tüchtiges erwarten darf. Darum ist es begreiflich, dass der Heiland uns das Beispiel größten Gebetseifers gab und dringend zur Nachahmung desselben ermunterte: „Man muss allezeit beten und nicht nachlassen. Wachet und betet allezeit!“(Lk 18,1; 21,36)
2) Christus hat vollkommen gebetet: Niemand hat so gut gebetet wie er! Das merkt man schon am ergreifenden Eindruck, den der betende Christus auf die Apostel gemacht haben muss. Einmal haben sie ihn beobachtet beim Gebet. Und ihr Eindruck war: Der kann beten! So möchten wir auch beten können! Welche Andacht, welche Innigkeit, welche Ehrfurcht muss in der Gebetshaltung Christi gewesen sein, dass es ganz spontan über die Lippen der Apostel kam: „Herr, lehre doch auch uns beten!“
Durch sein Beispiel und durch sein Wort ist der große Beter Jesus zum großen Lehrer des Gebetes geworden. Er zeigte, wie man beten muss:
a. äußerlich und innerlich gesammelt, so, dass das Herz vorbetet und die Lippen nachbeten; so, dass der ganze Mensch mitbetet in der ganzen Haltung und Andacht.
b. demütig und beharrlich: das Beten des Heilands am Ölberg
c. vertrauensvoll: sein kindliches Vertrauen in den Vater. Jedes Gebet beginnt Er mit dem trauten Namen “Vater”: „Ob sein Gebet ein Jubelhymnus, ein Aufjauchzen und Frohlocken des Herzens in Gott ist, ob es in heißen Dankesgefühlen zum Himmel emporsteigt, ob es als flehentliche Bitte sein Allmachtswirken begleitet oder als Notschrei aus dunkelster Leidensnacht sich seiner Seele entringt, ob es ein Gebet um seine Verherrlichung oder ob es sein eigenes Sterbegebet ist, immer ist es durchdrungen von der kindlichen, vertrauensvollen Gesinnung gegen den Vater. Immer ist des Heilands Beten voll Anhänglichkeit und Liebe zum Vater.
„So sollt ihr beten!“ Die Mahnung des Heilands. Ja, so wie Er. Gehen wir zum Heiland in die Schule, knien wir uns neben ihn und lernen wir beten, wie wir als Gotteskinder, als Brüder und Schwestern Jesu Christi beten sollen. Der Herr betet so innig, und du, wenn du überhaupt betest, oft so schlecht, so gedankenlos. Bete wie Christus und bete mit Christus! Dann ist dein Beten sicher gut und findet Erhörung.
Ihr kennt doch das Bild von Gebhard Fugel: Jesus auf einsamer Bergeshöhe im nächtlichen Gebet; über Ihm der Sternenhimmel, unter ihm die Welt der Menschen. Er selbst zwischen Himmel und Erde, Hände und Augen zum Vater erhoben im Erlösergebet für die Welt, für dich, für mich, für uns alle. Dieses Bild des betenden Heilands sollte immer vor uns stehen, wenn wir uns anschicken zum Beten. Es geht dabei um so Großes, Ehrfurchtgebietendes, wenn wir es wagen, mit dem unendlich großen, heiligen Gott ins Gespräch zu kommen.
Und ihr kennt auch das Dürerbild, die beseelte Handzeichnung „Betende Hände“: Wer die Heilandshände im Gebet zeichnen könnte! Versuchen wir es wenigstens immer wieder, an diese betenden Heilandshände, an den großen Beter Christus zu denken, dann wird unser Beten sicher immer ein gutes Beten sein.
Es kommt so viel darauf an, ob ein Mensch betet und wie er betet:
Da liegt einer bewusstlos auf der Straße. Ein Unglück? Unfall? Schlaganfall? Das Erste, was man tun wird: man horcht, ob er noch atmet. Das Atmen ist das Zeichen, dass der Mensch lebt. Das Gnadenleben in uns, das Christusleben in unserer Seele muss atmen. Und sein Atem ist das Gebet. Das Gebet ist das Atemholen der Seele! Wenn einer nicht mehr atmet, ist er tot. Wenn einer nicht mehr betet, ist er seelisch tot. Christus, der Auferstandene möchte in uns leben! Also: Beten wir wieder und beten wir wieder mehr und beten wir wieder besser. Machen wir eine Gewissenserforschung am heutigen Bitt-Sonntag über das eigene Beten. Denn wer recht zu beten weiß, der weiß auch recht zu leben!