4. Ostersonntag - B

gehalten in St. M. Loreto am 24. April 1988

 

„Ich bin der gute Hirte..." Siebenmal hören wir aus dem Mund Jesu im Johannes-Evangelium dieses betonte: "Ich bin...": "Ich bin das Brot des Lebens" - "Ich bin das Licht der Welt" - "Ich bin die Auferstehung und das Leben" - "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" - "Ich bin der wahre Weinstock" - "Ich bin die Tür zum Schafstall". Nie aber klingt dieses "Ich bin" so traut, so gut, so überzeugend als in jenem Gleichnis des heutigen SoEv vom Guten Hirten: "Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe..."

 

Jesus Christus - der gute Hirte, ein Lieblingsbild der Christen der Urkirche für ihren Herrn und Heiland. Gar manchmal finden wir dieses Bild in den Katakomben. Mit diesem Bild wussten sich die Christen in der Zeit der grausamen Verfolgung getröstet und gestärkt: Der Herr, an den wir glauben, lässt uns nicht im Stich, er kennt uns und unsere Not, er liebt uns, er ernährt uns, er bleibt uns treu und flieht nicht, wenn der Wolf in unsere Herde einbricht; er hat seine Liebe und Treue unter Beweis gestellt, als er für uns, seine Schafe, sein Leben hingab und es wahr machte: "Der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe." Das Hirte-Sein ist immer ein Dasein für die Schafe, restlos und ganz, ohne Wanken und Schwanken und mit letzter Treue und Hinopferung. Das ist der große Unterschied zum Mietling, dem die Schafe nicht gehören, und dem an den Schafen nichts liegt...

Das Hirte-Sein des guten Hirten Jesus Christus ist immer ein totales Dasein für die Schafe; im Guten Hirten Jesus Christus muss darum alles Hirtentum in der Kirche Christi sein Vorbild und seine Erfüllung finden. Darum sprach Jesus Christus zu Petrus, den Er als obersten Hirten in seiner Kirche ausersehen hatte: "Simon, Sohn des Jonas, liebst du mich, liebst du mich mehr als die anderen?! Wenn das der Fall ist und nur dann wenn du mir das versicherst, dann weide Meine Lämmer, weide Meine Schafe!"

Das wahre Hirtentum erweist sich in der Hingabe des Lebens, um den Schafen das wahre Leben zu schenken. Beachten wir dabei besonders, wie das Bild vom Guten Hirten auf dem dunklen Hintergrund des Mietlings erst richtig zu leuchten beginnt. Die Gestalt des Mietlings schildert Jesus im Gleichnis ganz besonders negativ: der Mietling versagt in der Stunde der Gefahr. Solch gemietete Lohnhirten waren in den palästinensischen Verhältnissen nichts Seltenes; aber auch von ihnen, die nur für bestimmte Stunden oder Tage und für einen bestimmten Lohn angemietet wurden zum Hüten und Weiden der Schafe, erwartete man dennoch, dass sie ihr Möglichstes taten, um von den ihnen anvertrauten Schafen wilde Tiere (Wölfe, Schakale, usw.) abzuwehren. Nach dem Recht der Mischna waren bezahlte Mietlinge bei Fahrlässigkeit ersatzpflichtig. Aber der Mietling hatte kein inneres Verhältnis zu den Schafen, ihm kam es nur auf den Lohn und auf die persönliche Bequemlichkeit und Sicherheit an. Ganz im Gegensatz dazu der gute Hirte, der sein Leben für seine Schafe hingibt. Die negativen Aussagen über den Mietling gelten im Guten-Hirten-Gleichnis Jesu nur der positiven Herausstellung jenes Hirten, dem die Schafe gehören, der sich um sie redlich kümmert, sie nicht verlässt und nicht flieht, wenn für ihn Gefahr droht. Da steht nun Jesus vor uns, der sich wirklich nicht bloß als Guter Hirte, sondern als der beste Hirte erwiesen hat in seiner Ganzhingabe für das Wohl der Menschen. Das Gute-Hirten-Gleichnis ist - richtig betrachtet und in den Rahmen der biblischen Offenbarung hineingestellt - das schönste Bild für Jesus Christus, der mit Recht erklärt hat: "Niemand nimmt mir das Leben, sondern Ich gebe es freiwillig hin. Ich habe die Vollmacht, es hinzugeben, und ich habe die Vollmacht, es wieder an mich zu nehmen." Er hat sein Leben freiwillig hingegeben im Opfertod am Kreuze. Er hat es wieder an sich genommen in seiner glorreichen Auferstehung.

Als Jesus das Guten-Hirten-Gleichnis erstmals erzählte, da mögen vor den Zuhörern des Herrn die großen Hirtengestalten der Heilsgeschichte, die Ihn alle vorgebildet haben, gestanden sein: Abel, der Hirte in der ersten Menschheitsfamilie, der unschuldig sein Leben opfern musste; dann die Patriarchen Abrhaham, Isaak und Jakob, deren Lebensschicksal jeweils ganz eng mit dem Hirtenleben verflochten war; weiter Mose, der als Hirte in einsamer Wüste von Gott zum Führer und Hirten des auserwählen Volkes bestellt wurde; schließlich David, der von der Herde seines Vaters Isai (Jesse) weg zum Hirten und König über Israel berufen wurde. Über all diesen alttestamentlichen Hirtengestalten aber stand Gott, von dem die Propheten verkündeten, dass Er wie ein Hirte seine Herde weide. So jubelte dann in Dankbarkeit der Psalmist im Ps 22:"Der Herr ist mein Hirte; nichts wird mir mangeln, auf grünen Gefilden lässt er mich lagern, an den Wassern der Rastplätze lässt er mich ruhn... Sein Stock und sein Stab, die sind's, die mich trösten."

Dass aber Gott selbst, dieser beste Hirte der Menschen, kommen würde, Mensch werden würde, um als Hirte ganz und gar bei seinen Schafen zu sein, das war dann die beglückende Ankündigung des Propheten Ezechiel (34,2ff): "Menschensohn, weissage über die Hirten Israels und sprich zu ihnen: So spricht der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selber weiden... Ich werde sie verstoßen... Ich werde selber kommen und mich der verlassenen Herde annehmen... Ich will die Schafe weiden auf den Bergen Israels, an den Bächen und auf den Weideplätzen des Landes. Ich will sie auf gute Weide führen... Was verloren war, will ich suchen... was vertrieben war, will ich zurückführen... was gebrochen und verwundet ist, will ich verbinden, was schwach ist, will ich stärken, was gesund und stark ist, will ich behüten..."

Was hier vom Kommen Gottes, des besten Hirten, angekündigt worden ist, ist in Jesus Christus wunderbar in Erfüllung gegangen. Er wollte aber nicht dauernd in sichtbarer Gestalt bei seiner Herde bleiben. Er hat den Petrus beauftragt: „Weide Meine Lämmer, weide Meine Schafe!

Petrus und der Inhaber des Petrusamtes, der Papst, kann unmöglich allein seine Hirtenaufgabe der ganzen großen Herde Christi gegenüber erfüllen: er braucht Helfer, die in der Gesinnung des Guten Hirten, mit seiner Selbstlosigkeit, Liebe und Opferbereitschaft ihm beim Weiden der Herde Christi zur Seite stehen: Es sind die Bischöfe und die Priester , die nach dem Vorbild des Guten Hirten sich bemühen, das Verlorengegangene zu suchen, das Verwundete zu heilen, das Schwache zu stärken, das Gesunde und Starke zu behüten...

Nun lichten sich leider in den letzten Jahrzehnten die Reihen derer, die im Priester– und Ordensberuf sich in den Dienst des Guten Hirten stellen. Da war es sicher sinnvoll, auf diesen Guten–Hirten–Sonntag einen Weltgebetstag um geistliche Berufe anzusetzen. Denn es wäre für die Kirche fatal, wenn der sogenannte Priestermangel und der Mangel an Nachwuchs in den männlichen und weiblichen Orden immer größer und größer würde.

Es stimm ja heute noch das Wort des vor etwas mehr als 6O Jahren verstorbenen großen Berliner Großstadtseelsorger Dr. Carl Sonnenschein: "Europa braucht Wirtschaftsfachleute, es braucht Industriekapitäne, es braucht Ärzte und Künstler, Lehrer und Forscher. Es braucht aber auch Menschen, die dem einen Wesentlichen und Notwendigen dienen, Menschen, die noch ein Wort haben, wenn alle Worte dieser Welt nutzlos geworden sind; Menschen, die dann noch den Augen einen Glanz verleihen, wenn alle Sterne erlöschen; Menschen, die dann noch einen Brunnen ausheben, wenn alle Ströme dieser Welt versiegen."

Nicht so hochtrabend, sondern robuster hat das Gleiche ein ganz begnadeter Seelsorger des vorigen Jahrhunderts in Frankreich, der heilig Pfarrer von Ars Johannes Vianney gesagt: "Lasst ein Dorf 20 Jahre völlig ohne Priester, man wird dann dort die Tiere anbeten!" Man muss dieses sorgenvolle Wort eines Heiligen richtig verstehen, dann erkennt man: Es bewahrheitet sich heute immer mehr, weil in völlig priesterlos gewordenen Städten, Märkten und Dörfern gar nicht weniger als etwa in St. Pauli in Hamburg, dem Trieb, dem Sex, der Sucht, dem Laster und der Leidenschaft in fast untermenschlich—tierischer Weise gehuldigt und hemmungslos den selbstgemachten Götzen auch die höchsten Werte, auch die Grundwerte des menschlichen Lebens und Zusammenlebens hingeopfert werden.

Denken wir aber auch an die Tatsache, dass dort, wo kein Priester mehr vorhanden ist, notwendigerweise die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung nicht mehr gespendet werden können, und Gott das unendliche Lob—, Dank—, Sühn— und Bittopfer nicht mehr dargebracht werden kann und das ewige Licht vor den Tabernakeln erlischt, weil niemand mehr da ist, der den Auftrag Christi beim Letzten Abendmahl erfüllen kann: "Tut dies zu Meinem Gedächtnis!" Denn nur die Priester haben auf Grund der sakramentalen Weihe Auftrag und Vollmacht,Brot in den Leib Christi, Wein in das Blut Christi zu verwandeln und so das Kreuzesopfer Jesu Christi, diese Quelle von Gnade und Segen, von Trost und Frieden, gegenwärtigzusetzen.

Man ist in letzter Zeit immer wieder den Ursachen für den Priester­mangel und den Mangel an sonstigen geistlichen Berufen nachgegangen. Es würde zu weit führen, all die Gründe aufzuzählen. Sicher stimmt es, was der Papst einmal stark betont hat, dass nämlich jeder geistliche Beruf aus dem Glauben, aus der Liebe und aus dem Opfer wächst und lebt und dass deshalb die geistlichen Berufe in die Krise geraten sind, weil es in unserer Zeit des materiellen Wohlstands immer stärker eine Glaubenskrise, eine Krise der Liebe und eine Krise der Opferbereitschaf gibt. Wie es zu jedem sozialen Beruf den Glauben an die Wichtigkeit dieses Berufes und eine selbstlose, sich engagierende und hinopfernde Liebe braucht, so erst recht im Priester— und Ordensberuf. Der Papst meinte dann, wir sollten mit den Worten der Apostel wieder mehr darum beten, dass der Herr den Glauben vermehre in unseren christlichen Gemeinschaften und besonders bei denen, die der Herr schon zu seinem Dienst berufen hat oder noch rufen will. Und wir sollten mit den Worten des Apostels Paulus wieder mehr darum beten, dass "die Liebe Christi" und die Liebe zu Christus den göttlichen Ruf in vielen wertvollen jungen Menschen wecke und die noch Zögernden zu einer tapferen Entscheidung ermutige, um das kurze Erdenleben in sinnvollster Weise in den Dienst Christi und seiner Kirche zu stellen. Was es vor allem auch bräuchte, um den Priestermangel und den Mangel an Ordensberufen zu beheben, ist eine größere Hochschätzung des Priester- und Ordensberufes, denn was man nicht schätzt, das strebt man nicht an. Ich meine jetzt nicht nur, dass der Priesterberuf von den Berufenen selbst wieder mehr geschätzt und auch wieder glaubwürdiger vorgelebt werden müsste, ich meine, dass auch die Gläubigen, unter ihnen ganz besonders auch die Eltern eines von Gott zum Priester- oder Ordensstand berufenen Kindes das wieder mehr schätzen müssten. Leider ist das heute vielfach nicht mehr der Fall. Ich weiß von Akademikereltern, die entsetzt waren, als der Sohn mit dem Ansinnen, Priester zu werden, an sie herantrat. „Lieber alles andere als das!“ war die Antwort. Und der Sohn wurde alles andere als das, er vergammelte und wurde drogensüchtig und endete im Selbstmord. – Ich denke da umgekehrt dankbar an einen Vater und eine Mutter, die einen heiligen Stolz bekundeten, als der erste Sohn und dann ein zweiter aus einem weltlichen Beruf zum Priesterberuf hinfand und dann noch ein dritter Sohn seinem Beispiel folgte.

Ich möchte heute am Weltgebetstag um geistliche Berufe übers Grab hinaus meinem guten Vater und meiner guten Mutter  und vielen anderen Priestervätern und Priestermüttern danken, dass sie den Priester- und Ordensberuf in ihren Söhnen nicht ertötet, sondern gefördert haben durch ihren starken Glauben, durch ihre unerschütterliche Hoffnung und durch ihre selbstlose Liebe. Amen.