3. Sonntag der Osterzeit
gehalten in St. M. Loreto am 8. April 1978
Brüder und Schwestern im Herrn!
Nochmals lässt uns die Kirche am heutigen Sonntag über das Evangelium von den zwei Emmausjüngern meditieren. Fassen Sie das bitte nicht als überflüssig und langweilig auf, denken Sie vielmehr daran, dass dieses Evangelium nicht bloß ungemein schön und österlich, sondern auch sehr vielsagend ist, um Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen besser kennenzulernen.
Ich möchte diesmal nicht der Stimmung der beiden Emmausjünger nachgehen von ihrem verzweifelten Stimmungstief „Wir hatten gehofft...“ bis zu ihrem beglückten Bekenntnis „Brannte nicht unser Herz, als Er mit uns sprach“, gehen wir heute lieber der Art und Weise nach, in der Christus sich diesen zwei Menschen kundgab:
„Bist du denn der einzige Fremdling in Jerusalem...?“, so fragen Ihn die Emmausjünger. Im lateinischen Text steht statt „Fremdling“ „peregrinus“, daraus ist das italienische „pellegrino“ und daraus wieder unser deutsches Wort „Pilger“ entstanden.
Die Emmausjünger hielten den Fremdling, der sich da auf dem Weg heimwärts auf einmal zu ihnen gesellt hatte, für einen Pilger, einen Osterpilger, der wohl aus weiter Ferne, vielleicht aus der griechischen Diaspora, zum Passahfest nach Jerusalem gekommen war. Christus — der Pilger, der seit seiner Menschwerdung auf den Straßen unserer Erde pilgert und das eine gleiche Ziel vor sich hat wie wir alle: die ewige Heimat! „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen. Ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.“ Das gab er als seinen Pilgerweg an. Es ist auch der unsere! Verlieren wir das Ziel unserer Erdenpilgerfahrt nie aus dem Auge!
Dieser den beiden Emmausjüngern fremd vorkommende Pilger ist nach den blauen Quasten an den Enden seines Obergewandes zu schließen, ein gelehrter Rabbi. Vom Straßenstaub sind die blauen Quasten fast weiß geworden. Das weckt bei den beiden Emmausjüngern eine unbestimmte Erinnerung an etwas schon oft Gesehenes: Ja, so war es eigentlich auch beim großen Rabbi aus Nazareth, bei unserem Meister Jesus, wenn er mit seinen Jüngern die weiten staubigen Straßen Palästinas dahingewandert war. Blass und verschwommen ist die Erinnerung daran und es liegt ein trüber Schleier darüber wie über ihren Augen, denen es doch auffallen müsste, dass an den Füßen des fremden Pilgers zwischen den Sandalenriemen dunkle Flecken sind? Woher kommen wohl diese Flecken? Und warum verbirgt er seine Hände in den Falten seines Mantels? Die beiden sehen den fremden Pilger nur so von der Seite an, mit verschleierten Augen, verschleiert vielleicht auch von den Tränen, die ihnen immer noch wegen der Karfreitagserlebnisse aus den Augen heraustropfen.
Der fremde Pilger spricht die beiden Emmausjünger an: „Was sind das für Reden, die ihr da unterwegs miteinander führt?“ Da bleiben die beiden traurig stehen und einer von ihnen, Kleophas, fragt verwundert: „Bist du denn der einzige fremde Pilger in Jerusalem, der nicht weiß, was sich dort in diesen Tagen zugetragen hat?“ Es ist den beiden Emmausjüngern einfach rätselhaft, dass einer, der beim Passahfest jetzt in Jerusalem gewesen ist, von all dem, was sich in diesen Tagen dort ereignet hat, nichts wissen soll.
Der Fremdling stellt auf die Frage des Kleophas die Gegenfrage: „Was denn?“ Was hat sich denn zugetragen in diesen Tagen in Jerusalem? Diese zwei kurzen Worte „Was denn?“ müssen so voller Anteilnahme gewesen sein, dass dadurch die Zunge der beiden Emmausjünger gelöst wurde. Sie spürten, dass sie zu diesem fremden Pilger Vertrauen haben können. Darum öffnen sie jetzt nicht nur den Mund, sondern öffnen dem fremden Pilger auch ihr Herz. Das ganze Auf und Ab ihrer Erwartungen, Hoffnungen und Enttäuschungen breiten die beiden Emmausjünger vor dem fremden Pilger nun aus: „Das mit Jesus von Nazareth hat sich in diesen Tagen in Jerusalem zugetragen: sein Leiden und Sterben. Er war (in unseren Augen) mindestens ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und allem Volke. Unsere Hohenpriester und die Mitglieder des Hohen Rates haben ihn zum Tod verurteilt und gekreuzigt, wir aber hatten gehofft, er würde Israel erretten und aus der Knechtschaft der römischen Besatzungsmacht befreien. Jetzt aber ist es schon drei Tage her, dass sich dieses Furchtbare zugetragen hat...“
Ist es nicht eigenartig, wie sich Christus hier von den beiden Emmausjüngern der Reihe nach erzählen lässt, was Er getan, was Er gelitten hat?
Er hört es gleichsam gern, wenn die Menschen sich immer wieder daran erinnern! Und hört es gern, wenn die Menschen Ihm erzählen, was Er ihnen bedeutet! Ob wir Ihm nicht auch immer wieder vertrauensvoll das sagen sollten? Heiland, du Pilger auf unseren Erdenpilgerwegen, du hast so viel gelitten, hast so viel ertragen, bist so gemein behandelt worden von uns Menschen, verzeih uns doch immer wieder unseren Undank! Es waren ja nicht bloß die Hohenpriester und die Mitglieder des Hohen Rates, wir alle waren mitbeteiligt an Deinen Schmerzen und Qualen und an Deiner Kreuzigung! Auch wir haben immer wieder allzu irdische Hoffnungen in Dich gesetzt, statt zu bedenken, wie Du uns nicht von Erdenleid auf unserer Erdenpilgerfahrt befreien wolltest, sondern wie Du uns von der Wurzel allen Leids, von der Sündenschuld freimachen und allem Leid durch Dein Leiden und Sterben tiefen Sinn geben wolltest!
Christus, der unbekannte Weggenosse, offenbart sich auf dem weiteren Weg als ein gotterleuchteter Schriftausleger. Während die beiden Emmausjünger in Hoffnungslosigkeit dem totgeglaubten Christus nachtrauern, beginnt der zum Leben wieder Erstandene in einer wundersamen Bibelstunde ihre Kenntnisse vom Heilsplan Gottes zu vertiefen. „0 ihr Unverständigen, wie schwer wird es eurem Herzen, all das zu glauben, was die Propheten vorausgesagt haben! Musste nicht der Messias das alles erdulden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen?“ Und bei Moses anfangend und bei den Propheten erklärte Er ihnen alles, was sich in den Schriften des AT auf Ihn bezieht. Christus legt ihnen der Reihe nach die messianischen Prophezeiungen im AT aus. Er zeigt ihnen an Hand der vielen Schrifttexte, dass das Leiden und Sterben des Messias nicht zufällig, sondern von Gott in den geheimnisvollen Erlösungsratschluss für die sündige Menschheit eingeplant war. Der Vater selbst hat das Leiden und Sterben seines Sohnes am Kreuz als den Weg festgelegt, den Er gehen musste, um uns Sünder zu erlösen und zur Herrlichkeit zu führen und um selber in die Herrlichkeit des Vaters zu gelangen.
Ja, es muss eine ewig denkwürdige Bibelstunde gewesen sein auf dem Weg nach Emmaus! Der gottmenschliche Exeget führte die Beweisführung mit solcher Klarheit und solch überzeugender Kraft, dass bei den beiden Emmausjüngern schließlich alle Glaubenszweifel schwanden und plötzlich ihre Herzen zu glühen begannen. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs zu uns redete und uns die Schrift aufschloss?“ So bekannten sie nachher.
Der gottmenschliche Schrifterklärer und Exeget! Wie armselig schneiden neben ihm die modernen, modernistischen Exegeten mit ihrer oft so verkehrten, fast teuflischen Entmythologisierungstendenz und mit ihrer rationalistischen, das Wort Gottes in der Hl. Schrift nur vom Standpunkt des Philologen zerzausenden formgeschichtlichen Bibelkritik ab! Halten wir uns an den göttlichen Exegeten Jesus Christus! Und sagen wir das, was der hl. Thomas v. Aquin in seiner ergreifenden eucharistischen Sequenz gesagt hat, aus innerster Überzeugung: „Was Gottes Sohn gesagt, das glaub‘ ich hier allein. Es ist der Wahrheit Wort und nichts kann wahrer sein!“
Wunderbar klar hat der geheimnisvolle Osterpilger zu Herz und Geist der beiden Exmausjünger gesprochen. Unterdessen sind sie in Emmaus, am Ziel ihrer Wanderung, angekommen. Eben neigt sich die Sonne ihrem Untergang zu. Der hereinbrechende Abend bietet den Jüngern willkommene Gelegenheit, dem Fremden, der nun ihr ganzes Vertrauen gewonnen hat, ihren Dank für seine aufklärenden Worte abzustatten. Da sich der Fremde den Anschein gibt, als ob er weitergehen wolle, dringen sie mit liebevoll einladenden Worten in ihn: „Bleibe bei uns! Denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Wer könnte so freundlicher Nötigung widerstehen? Der Fremde geht nun mit den beiden in ihr Haus und hier wird nun der unbekannte Weggenosse, der auf dem Weg zum vertrauten Freund geworden ist, zum intimen Tischgenossen, der Mahl mit ihnen hält.
Er tut es wieder und immer wieder auch mit uns. Manchmal wird es heute in unguter und entsakralisierender Weise übertrieben, dass die hl. Eucharistie nicht bloß Opfer, sondern auch Mahl ist, das Christus uns Menschen bereitet. Wir, die wir an den 0pfercharakter der hl. Eucharistie glauben und daran festhalten, dass in der Eucharistiefeier wahrhaft und wirklich das Kreuzesopfer Jesu Christi gegenwärtig gesetzt wird, wir wollen doch unbedingt auch an diese beglückende Wahrheit glauben, dass der Eucharistiefeier neben dem Opfercharakter auch der Mahlcharakter eigen ist: Der Herr bereitet uns immer wieder dieses beglückende Mahl und bricht mit uns das verwandelte Brot, in welchem Er selbst wahrhaft und wirklich gegenwärtig ist. Christus offenbart sich da immer wieder nicht bloß als unseren Weggenossen und Mitpilger auf der Erdenpilgerfahrt, sondern auch als unseren Tischgenossen, der uns stärkt in diesem wunderbaren Mahl und der will, dass nicht bloß Er mit uns und wir mit Ihm das Brot brechen und teilen, sondern dass wir es auch mit all jenen teilen, mit denen sich Christus identifiziert hat, als Er sagte: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr Mir selbst getan!“
Brüder und Schwestern in Christus!
Der Herr geht neben uns als Mitpilger auf den Wegen unseres Lebens! Sorgen wir dafür, dass Er uns nicht zum Fremdling wird! Öffnen wir unser Herz immer wieder für sein erhellendes Wort, das auch unserem Kreuz und Leid tiefen Sinn zu geben vermag. Sorgen wir, dass wir aus dem Wort Gottes in der Hl. Schrift Christus immer besser kennen und lieben lernen! Lesen wir die Hl. Schrift! Sie ist für uns voll Trost und voll des erwärmenden Lichtes! Sorgen wir vor allem aber immer wieder dafür, dass wir Christus am wunderbaren sakramentalen Brotbrechen in der hl. Eucharistie erkennen und lieben lernen. Er ist da bei uns, mitten unter uns, wahrhaft und wirklich, wenn auch verborgen für unsere leiblichen Augen. Sagen wir es Ihm mit dem hl. Thomas v. A.: „In Demut bet‘ ich Dich, verborgne Gottheit an, die Du den Schleier hier des Brotes umgetan...“