2. Sonntag der Osterzeit

Weißer Sonntag

gehalten am 14.4.1996

 

Thomas, der Apostel, dem in seinem Unglauben in ergreifender Weise Barmherzigkeit zuteil wurde, ist nicht etwa ein typischer Vertreter der Ungläubigen; er war vielmehr unter den Aposteln einer der Gläubigsten und Mutigsten, der ganz besonders treu zu Christus, seinem Meister stehen wollte. Denn als der Herr sich zum Leiden und Sterben anschickte und zu den Aposteln sagte: „Lasst mich nun nach Jerusalem ziehen, um dort zu sterben!“, da sagte der sonst sehr bedächtige Thomas zu seinen Mitaposteln: „Lasst uns mit dem Meister ziehen, um mit Ihm zu sterben!“ Das war ein kühnes Wort voll Mut und Todesbereitschaft, gesprochen in treuer Liebe und Begeisterung für Jesus.

Freilich hat der gleiche Thomas, wie fast alle anderen Apostel, nach dem Tod Jesu am Kreuz allen Glauben und jegliches Vertrauen verloren. Er war nach der Katastrophe des Karfreitags innerlich total erschüttert. Er hielt es nicht einmal mehr im Kreis seiner Mitapostel aus, sodass er dann nicht dabei war, als Jesus am Abend des Ostersonntags den Aposteln als Auferstandener erschien.

So sehr die zehn Apostel dem Kollegen Thomas beteuerten: „Wir haben den Herrn gesehen, wir haben sogar mit ihm gegessen!“, da glaubte ihnen Thomas nicht, Er stellte vielmehr auf ihre wiederholte Beteuerung der Tatsache, dass sie dem Auferstandenen wirklich gesehen haben, die an Unverschämtheit grenzende Forderung: „Solange ich an seinen Händen nicht die Wundmale der Nägel gesehen habe und solange ich nicht meine Hand in seine durchbohrte Seitenwunde gelegt habe, glaube ich nicht.“

Wie ist es denn möglich - so möchte man hier fragen -, dass ein Mensch, der so voll von idealer Begeisterung und Todesbereitschaft für Jesus war, in seinem Glauben so erschüttert werden konnte?

Wie ist dieser hartnäckige Unglaube mit der früheren glühenden Christusliebe des Apostels Thomas vereinbar?

Suchen wir in die Psychologie seines Unglaubens etwas einzudringen. Dann verstehen wir vielleicht auch besser so manche um uns herum, deren Glaube heute so angefochten und vom schleichenden Gift der Zweifels angefressen und todkrank geworden ist, sodass es dann gar nicht mehr viel braucht, dass sie ihren Glauben ganz wegwerfen und die Kirche aus oft ganz nichtigen Gründen verlassen!

 

Wie kam es zum Unglauben des Thomas?

1. Ein erster Grund war sicher die Furchtbarkeit des Schicksals, das Jesus getroffen hatte und auf das der sehr sensibel veranlagte Thomas so arg reagierte. Er, der Melancholiker, empfang sicher alles, was ihm zustieß, doppelt und dreifach schwer. Über diese feinfühlige Seele war der gewaltige Sturm der großen Leidenswoche gekommen und hatte sie in ihren Tiefen aufgewühlt. Ein ganzer Wolkenbruch bitterer Erlebnisse und arger Enttäuschungen war da über seine Seele niedergegangen, Schlag auf Schlag, erst die Gefangennahme Jesu im Garten Getsemani, dann die Verurteilung durch Pilatus, die Geißelung, die Verhöhnung und Verspottung Jesu und schließlich sein Tod am Kreuz. Kein Wunder war geschehen, um Jesus zu retten. Thomas konnte nicht mehr an einen gütigen Gott im Himmel glauben, wenn er solches zuließ! Es war zuviel Dunkles und Unbegreifliches, das Thomas in diesen Tagen erlebt hatte. Zu viele Enttäuschungen, die er durchgemacht hatte.

Und als man schließlich den gekreuzigten Jesus ins Grab gelegt hatte, da hatte Thomas auch seinen Glauben begraben. — Machen es nicht viele Menschen dem Thomas nach bei harten Schicksalsschlägen?

2. Ein zweiter Grund seines Unglaubens kam bei Thomas sicher auch aus seiner falschen Messiasvorstellung, aus seiner irrigen Auffassung vom Erlöser. Wie die meisten Juden damals, so glaubte wohl auch Thomas, Jesus werde das verhasste Joch der Römer, die das Land besetzt hielten, abschütteln und werde ein politisches Königtum aufrichten. Er träumte den Traum von einem mächtigen politischen Messias, umstrahlt von Glanz und Herrlichkeit. Aber dieser schöne Traum war bald ausgeträumt, mindestens dann, als die Soldateska Jesus als Spottkönig verhöhnte und er nicht einen Königsthron, sondern das Kreuz besteigen musste. Thomas fühlte sich furchtbar enttäuscht, erschüttert, betrogen und all das, was er seit Jahren gehört, geglaubt, bejaht hatte kam ihm nun nur mehr wie eine schöne Illusion vor. Sein Glaube stürzte zusammen unter den Trümmern irriger, allzu menschlicher Erwartungen und Messiashoffnungen. Ob es nicht bei vielen, deren Glaube heute angefochten und erschüttert ist, ähnlich ist? Viel zu irdische Erwartungen! Viel zu materialistische Auffassungen von Gott, von Christus, von der Kirche, von den Letzten Dingen! Man hat sich viel zu wenig bemüht um die rechte Läuterung seiner religiösen Vorstellungen und Begriffe! Dann braucht es nur eine Kleinigkeit, etwa den Spott eines Glaubensfeindes oder die Scheinargumente der Atheisten - und der Glaube bricht wie ein Kartenhaus zusammen!

 

Thomas hat sich dann, als sein Glaube wankend und schwankend wurde, noch dazu völlig falsch benommen:

1. Ein erster Fehler war, dass er die Gemeinschaft der Apostel zu meiden begann. Gerade jetzt hätte er die helfende, tragende, schützende Gemeinschaft Gleichgesinnter gebraucht, die ihm gesagt hätten: Trotz allem, wir glauben an unseren Meister und lassen uns nicht davon abbringen. Es hat wohl alles an ihm so geschehen müssen, wir sehen es zwar jetzt noch nicht ein, aber es wird sicher seinen ganz tiefen Sinn gehabt haben. Jetzt müssen wir erst recht zusammenhalten und zusammenstehen. Aber nein, Thomas zieht sich in den Schmollwinkel zurück, er irrt einsam und verstört umher und meidet nach den tragischen Ereignissen des Karfreitags die Gemeinschaft. Dieses gekränkte Sichzurückziehen und Sichabseitsstellen war zweifellos ein großer Fehler. Jetzt, wo er die Aussprache mit den Kollegen, das gemeinsame Gebet, den Halt der Gemeinschaft und die Geborgenheit in ihr so notwendig gebraucht hätte, da zeigte er sich schroff und ablehnend gegen die Gemeinschaft und trennte sich von ihr. Die anderen wurden, gerade weil sie zusammenhielten und einander bestärkten, durch die Erscheinung des Auferstandenen beglückt und getröstet. Es ging das Osterlicht, das „Lumen Christiwieder auf in ihren Herzen. Thomas aber fehlte. Er wandelte im Dunkel seines Unglaubens. Er wollte mit seiner Not allein fertig werden.

Wie viele, deren Glaube heute angefochten, erschüttert und krank, sterbenskrank ist, machen es auch diesbezüglich wieder dem Thomas nach! Sie meiden die Gemeinschaft der Gleichgesinnten, der Glaubenden, sie trennen sich von der Glaubensgemeinschaft der Kirche!

2. Noch einen zweiten Fehler machte jetzt Thomas: Er weigerte sich, dem Zeugnis seiner Mitapostel glauben zu schenken. Als sie ihm begegneten und freudestrandend berichteten: „Wir haben den Herrn gesehen!“, da glaubte Thomas nicht.

Zweifellos war dieses eigensinnige, trotzige Verhalten des Thomas, in welchem er auch noch Forderungen stellte, ein großes Unrecht gegen seine Mitapostel, die doch keine Leichtgläubigen waren und darum nun, da sie von der Erscheinung des Auferstandenen berichteten, doch wahrlich Glauben verdienten! Hätte ihnen Thomas geglaubt, so wäre sein Glaubensakt sicher vernünftig (ein „rationabile obsequium“) gewesen: Glauben bei fehlender eigener Einsicht auf Grund des Zeugnisses anderer, die glaubwürdig sind! Auch da machen es so viele wieder dem Thomas nach! Man hört nicht mehr auf jene, die im Glauben wahrhaft Bescheid wußten und den Glauben wahrhaft glaubwürdig vorgelebt haben: die Heiligen! Und unter ihnen die großen Kirchenlehrer Augustinus, Albertus Magnus, Thomas v. Aquin u.a. und jene, die Christus ausdrücklich als Lehrer in seiner Kirche bestellt und mit Unfehlbarkeit ausgestattet hat: die Päpste!

 

Es war acht Tage nach der ersten Erscheinung des Auferstandenen im Abendmahlssaal vor den versammelten Aposteln. Diesmal war Thomas bei ihnen.

Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sprach das Grußwort: „Der Friede sei mit euch!“ Dann wandte er sich an Thomas, hielt ihm mit seinen eigenen Worten seinen Unglauben vor und sagte: „Lege deinen Finger hierher und siehe meine Hände! Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

Thomas sah die fünf Wundmale am Leib des Auferstandenen. Wie fünf mächtige Lichter strahlten sie hinein in die Nacht seines Unglaubens. Wie ein Blitz durchzuckte es ihn nun: Jesus lebt! Er ist es wirklich! Und schon wagte er nicht mehr, seine Finger in die Seitenwunde zu legen der Aufforderung Jesu gemäß. Nein, es zwang ihn nun in die Knie und er legte sein Glaubensbekenntnis ab, kurz, knapp, klar, aus der Tiefe seines Herzens kommend: „Mein Herr und mein Gott!“

Thomas, der Zwilling genannt wurde, er hat so viele Zwillingsbrüder in unserer Zeit! Wenn sie ihn doch nicht nur im Unglauben, sondern auch in der Bekehrung zum Glauben nachahmen würden! Es würde sich die Seligpreisung des Herrn auch an ihnen als wahr erweisen: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!”