Das Altarssakrament, Magie oder Medizin?

 

Viele Menschen unserer Zeit können mit dem, was den Gläubigen in der katholischen Kirche das Heiligste und Kostbarste ist, mit dem verwandelten Brot im Altarssakrament, nichts mehr anfangen. Sie reihen es ein in die Kategorie der Magie und meinen, es gehe hier um ein Zaubermittel, zu dem nur der abergläubische Mensch in unserer Zeit noch Beziehung haben könne.

Wie ganz anders dachten die Konzilsväter des II. Vaticanum darüber! Sie schreiben im Dekret über Dienst und Leben der Priester: "Die heiligste Eucharistie (=das Altarssakrament in den Gestalten von Brot und Wein) enthält das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle: Christus selbst, unser Osterlamm und das lebendige Brot. Durch sein Fleisch, das durch den Hl. Geist lebt und Leben schafft, spendet Er den Menschen das Leben; so werden sie ermuntert und angeleitet, sich selbst, ihre Arbeiten und die ganze Schöpfung mit Ihm Gott darzubringen."

Nicht Magie, sondern Medizin ist dieses Sakrament, das Jesus beim Letzten Abendmahl eingesetzt und seiner Kirche hinterlassen hat. Der evangelische Theologieprofesseor Helmut Thielicke hat sich viel mit dem Verhältnis von Theologie und Medizin zueinander befasst; er meint: "Wenn es darum geht, dem Leidenden zu helfen, reiche die Droge, das Narkotikum nicht aus. Erst die verstehende Zuneigung des Arztes (im Sinn des frei interpretierten griechischen Wortes "Kliniker"— der sich dem Kranken auf seinem Lager Zuneigende) kann wahrhaft helfen und heilen." Er wendet das dann auf Christus, den Arzt unserer Seelen an und sagt, dass er sich in ergreifendster Weise dem seelisch kranken Menschen, dem Sünder zugeneigt hat; am schönsten tat dies Christus in der Medizin, die er uns Menschen bereitete: im Altarssakrament. Da erzählt dann der evangelische Theologieprofessor, wie er auf einer Vortragsreise in Frankreich einen kurzen Besuch machte in Beaune in Burgund und dort das berühmte Hôtel—Dieu, jenes Spital besuchte, das der große Kanzler Karls des Kühnen, Rolin, gestiftet hat und das heute das Ziel vieler Touristen ist, die die kostbare Architektur dieses Spitals und vor allem das weltbekannte Gemälde des Rogier van der Weyden, das 'Jüngste Gericht', bewundern wollen. Meist übersehen die Touristen neben diesen großartigen Kunstdenkmälern allzu leicht den Krankensaal, der auch ein Kleinod spätmittelalterlicher Architektur ist. Dieser Krankensaal ist so angelegt, dass alle Patienten den Blick auf den Altar hatten; sie konnten von ihren Betten aus an der hl. Messe teilnehmen, die täglich gefeiert und als wesentlicher Teil der Therapie verstanden wurde: Leiden im Blick auf den sich opfernden Christus, Eucharistie als Medizin, Heilung durch Heiligung im Empfang der hl. Kommunion.

Das schreibt ein evangelischer Theologieprofessor! Wie hat dieser es tief erfasst, worum es geht beim Altarssakrament. Brot und Wein sind hier im Altarssakrament nicht nur etwa Nahrungs- und Genussmittel, sie sind wunderbare Medizin auf Grund mehrfacher Wandlung und Verwandlung, die an ihnen und durch sie geschieht.

Die erste Wandlung liegt schon vor dem Werden von Brot und Wein; sie erfolgte schmerzvoll unter dem Gesetz von Mühle und Kelter: Das Mehl, aus dem die Brotscheibe der hl. Hostie gebacken wurde, hat eine mehrfache Vernichtung durchgemacht: Als Weizenkorn starb es zuerst in der dunklen Scholle, damit es vielfache Frucht brachte; dann wurden die Weizenkörner zu blankem Mehl gemahlen; zuletzt wurde das Mehl im Feuer zu duftendem Brot gebacken; nun war es für das Essen und für die Assimilierung an Fleisch und Blut des Menschen bestimmt. Auch am Wein im Kelch bei der Eucharistiefeier ging vorher schon eine Verwandlung vor sich: in der Kelter wurde die Traube zerpreßt, damit dann der Gärungsprozess einsetzen konnte, der lange dauerte, bis der froh stimmende Trank des Weines entstand.

Aber bevor Brot und Wein vom Menschen gegessen und getrunken werden, machen sie eine weitere Wandlung und Verwandlung durch, wenn sie im Auftrag Jesu und in seiner Vollmacht verwandelt werden in Christi Leib und Blut, wobei Brot und Wein aufhören, gewöhnliche Nahrungs- und Genussmittel zu sein; ihr natürliches Wesen hört auf. Sie bekommen eine neue Zweckbestimmung und werden in unsagbar Größeres und Wertvolleres verwandelt: Christus ist dann unter den verbleibenden Gestalten von Brot und Wein mit seinem Fleisch und Blut, mit Leib und Seele ganz und wahrhaft gegenwärtig.

Nun meinen vielleicht manche, es sei an Brot und Wein schon genug der Wandlung und Verwandlung geschehen. Aber nein, Christus hat dieses wunderbare Sakrament nicht eingesetzt, um Schauobjekt für wundersüchtige Menschen zu sein. Nein! Damals, als Er erstmalig diese wunderbare Verwandlung von Brot und Wein vornahm, beim Letzten Abendmahl, sprach er, der Arzt unserer Seelen: "Nehmet und esset! Nehmet und trinket!" Wir sollten Ihn selbst in den Gestalten von Brot und Wein als kostbare, heilkräftige Medizin in uns aufnehmen, auf dass nun an uns die notwendige Wandlung und Verwandlung einsetze: Unsere Verwandlung in Christus! Denn erst dann, wenn diese Verwandlung vollendet ist, sind wir ganz heil und gesund und im Heil! Bei jedem Kommunizierenden müsste diese Verwandlung in Christus immer wieder neu einsetzen und ein Stück vorangetrieben werden. Wir werden in der hl. Kommunion in Christus einverleibt, damit nun sein Leben, sein Geist, seine Gesinnung in uns zur Auswirkung komme und uns ganz christusförmig mache. Der Kommunizierende muss zu dieser Verwandlung bereit sein, er muss sie an sich geschehen lassen, sonst bliebe die hl. Kommunion letztlich ohne Frucht und Wert.

Man muss in die Eigengesetzlichkeit dieses hl. Sakramentes eintreten, damit es seinen Zweck als Medizin erreicht. Zur Eigengesetzlichkeit dieses Sakramentes aber gehört das Gesetz von Mühle und Kelter, das Gesetz der Vernichtung und Verwandlung. Der Kommunizierende muss bereit sein, mit Christus ganz eins zu werden, eines Geistes und einer Gesinnung mit Ihm, der sich in der Kelter des Leidens und des Sühnetodes am Kreuze ganz hinopferte! Die Umwandlung und Höherwandlung des Kommunizierenden in Christus kann nur in einem schmerzhaften Prozess vor sich gehen: Wir müssen den alten, egoistischen, lieblosen, sündhaften Menschen absterben lassen und den neuen anziehen, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit nach dem Vorbild des durch das Kreuzesleiden hindurchgeschrittenen Christus. Dann ist das Altarssakrament nicht magisches Zaubermittel, sondern vielleicht sogar bitter schmeckende, aber wunderbar heilkräftige Medizin, in der der beste Arzt sich selbst anbietet zur Heilung und Heiligung.