Vorbemerkung: Die Predigten von Prälat Holböck für den 4. und 5. Fastensonntag orientieren sich an den Evangelientexten von Lesejahr A. Leider stehen keine Ansprachen für die anderen Lesejahre zur Verfügung. Ich bitte um Verständnis. Pf. Hangler.

 

5.Fastensonntag im Jahreskreis

gehalten in St. M. Loreto am 16.März 1975

 

Den vergangenen 4. Fastensonntag, den Sonntag “Laetare“, hat man einen Sonntag österlicher Vorfreude genannt. Im Evangelium wurde uns von der Heilung und Erleuchtung des Blindgeborenen berichtet, der nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich sehend wurde und zum Glauben an den kam, der von sich gesagt hat: “Ich bin das Licht der Welt! Wer Mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern, sondern wird das Licht des Lebens haben!“

Den heutigen 5. Fastensonntag, den wir bisher Passionssonntag zu nennen pflegten, könnte man wieder einen Sonntag österlicher Vorfreude nennen, denn das Evangelium von der Auferweckung des toten Lazarus erinnert uns heute schon ganz stark an die Auferweckung Jesu am Ostermorgen durch seinen himmlischen Vater. Im Dialog, den der Heiland im heutigen Evangelium mit Martha, der Schwester des toten Lazarus, führt, spricht er das vielsagende‚ wahrhaft österlich klingende Wort: “Ich BIN die Auferstehung und das Leben. Wer an Mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an Mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben!“

Mehr als über die wunderbare Auferweckung des Lazarus, der schon vier Tage im Grabe lag, lohnt es sich, über dieses wahrhaft österliche Wort des Heilands nachzudenken: “Ich bin die Auferstehung und das Leben...!“

Das entwertet den Passionssonntag und die alte Aufforderung, jetzt mehr als sonst an die Passion des Herrn, an sein bitteres Leiden und Sterben zu denken, keineswegs, es wird uns nur beigebracht, dass es bei der Passio Domini Nostri Jesu Christi nicht um irgendein Leiden geht, sondern um die “beata passio“, um das segen— und heilbringende Leiden des Erlösers, durch das er uns die Auferstehung aus der Sünde und aus dem Tod, aus der Knechtschaft des Teufels und aus der ewigen Verdammnis verdient hat. Der Dialog des Heilands mit Martha, der Schwester des Lazarus, begann an dessen Grab. Martha sagte zu Jesus: “Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, was du von Gott erbittest, wird Gott dir geben.“ Der Schmerz in Martha über den Verlust ihres geliebten Bruders ist noch ganz frisch und groß. Sie lässt aber im Schmerz einen starken Glauben und großes Vertrauen zu dem so hoch verehrten und geliebten Meister erkennen: “Auch jetzt weiß ich, dass Gott dir geben wird, was du von ihm erbittest!“ Zeigt sich hier schon der Glaube an Christi Gottessohnschaft? Oder ist es nicht doch erst nur der Glaube an einen großen Beter, der durch sein Beten mehr als andere Menschen bei Gott erreicht? Jedenfalls lassen die Worte Marthas erkennen, dass sie in Jesus Christus noch nicht mit voller Klarheit den wirklichen, eingeborenen Sohn Gottes erkannte, der aus eigener Kraft auch das größte Wunder, das der Totenerweckung, wirken kann, und es nicht erst durch sein Gebet bei Gott erflehen muss.

Jesus führt nun den Dialog weiter und spricht zu Martha: “Dein Bruder wird auferstehen!“

Er sprach von der Auferstehung des Lazarus, aber zunächst noch in allgemein gehaltener Wendung, die sich sowohl auf die allgemeine Auferstehung am Ende der Zeiten, als auch auf eine sofortige Auferweckung beziehen konnte.

Martha hat tatsächlich Jesu Wort nur von der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tag verstanden. Sie sagte nun zu Jesus: “Ich weiß, dass mein Bruder auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tage“. Sie verstand also Jesu Verheißung als tröstenden Hinweis auf die kommende allgemeine Auferstehung, ein Trost, den sie sich sicher schon als gläubige Israelitin in diesen Trauertagen seit dem Tod ihres Bruders Lazarus immer wieder gesagt haben mag. Ihr Glaube an Jesus, an sein tiefstes Persongeheimnis, seine Gottessohnschaft und die darin liegende Macht war noch nicht so groß und zuversichtlich, dass sie sein Wort: “Dein Bruder wird auferstehen“ auf die unmittelbare Erfüllung ihres stillen Hoffnung gedeutet hätte.

Die allgemeine Fassung der Zusicherung Jesu: “Dein Bruder wird auferstehen“ war von Ihm aber keineswegs etwa als Verschleierung seiner Absicht gedacht, den toten Lazarus aus dem Todesschlaf zu erwecken. Vor seinem Geist stand tatsächlich die Erweckung des Lazarus aus dem Grabe, aber in ganz unmittelbarer Verbindung mit der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tage, Er kann und will den schon vier Tage tot im Grabe ruhenden Lazarus vom Tode erwecken, weil die Auferweckung, sei es in besonderen Fällen, sei es allgemein am Ende der Zeiten, Ihm als sein persönliches Vorrecht eigen ist.

Wiederholt hatte ja der Heiland bei früheren Anlässen mit allem Nachdruck das ausgesprochen: “Wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will... Gleichwie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich selbst zu haben. Denn es kommt die Stunde, da alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden herauskommen, die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“ (Joh 5,21.26.28f). So hatte Jesus in der großen Selbstoffenbarung vor den Juden gesprochen. Der Sohn kann also Tote erwecken, weil er wie der Vater das Leben in sich selbst, d.h. ursprünglich und eigenmächtig besitzt und es somit schöpferisch geben und — wenn es durch den Tod vernichtet worden ist — wiedergeben kann. Ein anderes Mal hatte er erklärt: “Das ist der Wille dessen, der Mich gesandt hat, dass ich von allem, das der Vater mir gegeben hat, nichts davon verlorengehen lasse, sondern es auferwecke am Jüngsten Tage. Ja, das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an Ihn glaubt, ewiges Leben habe, und dass Ich ihn auferwecke am Jüngsten Tage!“ (Joh 6,39f). Wer immer also durch den Glauben mit Jesus verbunden ist, dem kann und wird er ewiges Leben schenken und ihn von den Toten auferwecken.

Hier nun - im weiteren Dialog mit Martha - vollendet Jesus die Selbstoffenbarungen seiner früheren Reden vor den Juden und den Jüngern und fügt nun die letzte Erklärung und den eigentlichen Grund an, warum die Auferweckung der Toten seine Sendung und sein Werk ist. Es ist eines der gewaltigsten Worte, das Jesus je gesprochen hat, schon ganz getragen von dem Ausblick auf das unerhörte Wunder, das er sich zu wirken anschickte, und noch mehr schon ganz beseelt vom Ausblick auf seine eigene, in 14 Tagen nach seinem bitteren Tod am Kreuze erfolgende glorreiche Auferstehung.

Jesus sprach zu Martha: “Ich bin die Auferstehung und das Leben....“ Wahrhaftig, ein unerhört gewaltiges Wort, gleichzusetzen ähnlichen anderen, wie “Ich bin das Licht der Welt...“, “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Gleichzusetzen zuletzt sogar dem Wort, das Gott zu Mose aus dem brennenden Dornbusch heraus gesprochen hat: “Ich bin, der ich bin!“ Ich bin der ewig Seiende...

“Ich bin die Auferstehung...“ Damit sagte Jesus viel viel mehr als etwa nur: Ich habe die Macht, Tote zu erwecken. “Ich bin die Auferstehung!“ Damit wollte der Heiland sagen, dass die Erweckung der Toten Ihm, dem Gottmenschen, so zu eigen ist, dass es außer Ihm und unabhängig von Ihm überhaupt keine Auferstehung geben kann, und dass unser aller Auferstehung in Ihm und in Ihm allein gründet, dass Er also nicht, wie Martha gemeint hatte, erst Gott um das Wunder bitten müsste, sondern dass Er es aus eigener Kraft wirkt. – Es steckt noch mehr in diesem unerhörten Wort: “Ich bin die Auferstehung...“. Es besagt, dass jede Auferstehung zum Leben etwas vom Geheimnis von Christi eigener Auferstehung in sich schließt, dass seine Auferstehung die unsere in sich schließt und aus sich hervorbringt, dass in seiner Auferstehung wir alle gleichsam schon mit auferstanden sind und unsere Auferstehung die Erfüllung und Vollendung seiner Auferstehung ist.

In seiner Auferstehung hat der Heiland den Tod als die Auswirkung der Sünde ein für allemal besiegt und zwar für uns alle, für die ganze mit Ihm verbundene Menschheit, als deren Haupt und Erstling er gestorben und aus dem Grabe erstanden ist. So wird seine Auferstehung zur Wurzel unserer Auferstehung. Und, wer immer vom Tod zum Leben ersteht, sei es jetzt geistigerweise in der Gnade durch das Sakrament der Buße, sei es in der Auferstehung des Fleisches am Jüngsten Tage, der ersteht in Christus und mit Christus und durch Christus.

“Glaubst du das?“ So fragt der Herr die Schwester des Lazarus, Martha. So fragt der Herr auch uns heute, 14 Tage vor Ostern. Denn wenn wir nicht daran glauben, haben wir eigentlich gar kein Recht, Ostern zu feiern. “Glaubst du das?“

Ja, den Glauben an Christi Macht, die Toten zu erwecken, den Glauben an die Tatsache, dass Christi Auferstehung, der sein Sühne- und Erlösertod am Kreuz vorausging, unsere Auferstehung bewirkt, fordert Christus von Martha und von uns allen. Hier sehen wir freilich, wie es beim Glaubensakt um das „Ja“ zu etwas geht, das wir nicht mit unserem kleinen Verstand einsehen und begreifen. Es geht beim Glaubensakt um das vertrauensvolle Ja zu den Verheißungen Gottes, zu den Verheißungen Christi, des Sohnes Gottes. So viele Menschen, auch Christen, auch Katholiken, meinen heute, dass mit dem Tod alles aus ist. Hier fehlt es total am Glauben. Glaube ist Gnade, die immer wieder neu erbetet und dann durch alle Zweifel und Verunsicherungen hindurch durchgehalten werden muss.

Martha war‚ geführt von der Gnade, zum rechten Glauben vorgestoßen. Auf die Frage des Meisters: “Glaubst du das?“ gab sie die herrliche Antwort: “Ja, Herr, ich glaube, dass du bist Christus, der Sohn Gottes, der in diese Welt gekommen ist“. Nun konnte der Herr zum großen Wunder der Auferweckung des Lazarus schreiten. Dabei gab es im Glauben Marthas noch eine kleine Schwankung. Denn als Jesus nun am Grabe des Lazarus den Befehl gab: “Nehmt den Stein (vom Grabe) weg!“, da machte Martha den Einwand: “Herr, er verbreitet ja schon Geruch, denn er ist seit vier Tagen tot!“

Jesus aber führte den Dialog mit Martha zu Ende mit den Worten: “Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes schauen?“

Da nahmen sie den Stein vom Grabe weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach ein Gebet zum Vater im Himmel, aber wohlgemerkt nicht ein Bittgebet, sondern ein Dankgebet:

“Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen des Volkes, das ringsum steht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast“.

Nach diesen Worten rief Er mit lauter Stimme: “Lazarus, komm heraus!“ Das große Wunder der Totenerweckung geschieht nun.

Abschließend heißt es im Evangelium: „Viele von den Juden, die gesehen hatten, was Jesus getan hatte, fanden den Glauben an Ihn.“

Möge sich das in unseren Tagen wiederholen. Möge unser Glaube an Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Totenerwecker so stark sein und solche Strahlkraft besitzen, dass bei vielen, deren Glaube schwach und angefochten oder schon erstorben ist, wieder zum Leben erweckt wird und all die Zweifler unter uns wieder wahrhaft glauben an das, was wir am Ende des Credo bekennen: „Et exspecto resurrectionem mortuorum et vitam futuri saeculi!“ (Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt). Amen.