2. Fastensonntag

gehalten in St. M. Loreto am 11.3.1990

 

Darf ich heute, nachdem wir das Evangelium von der Verklärung Jesu gehört haben, meine Predigt darüber mit einem Psalm, mit dem Psalm 137 beginnen. Dieser Psalm beeindruckt mich immer sehr, weil er vom Heimweh eines in die Verbannung verschleppten Volkes handelt:

„An den Flüssen Babylons / da saßen wir und weinten, / wenn wir an Sion dachten.

 

Wir hängten unsere Harfen an die Weiden in jenem Land:

Dort verlangten von uns die Zwingherren Lieder / unsere Peiniger forderten Jubel: Singt uns Lieder vom Sion!

Doch wie könnten wir singen die Lieder des Herrn, fern, auf fremder Erde.

Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem; dann soll mir die rechte Hand verdorren: Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, / wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.“

Jerusalem war durch. den babylonischen König Nabuchodonosor zerstört worden, die Israeliten waren in das Zweiströmeland zwischen Eufrat und Tigris nach Babylon verbannt worden. Sie saßen an den Flüssen Babylons und weinten, wenn sie mit bitterem Heimweh an Jerusalem und an das zerstörte Heiligtum auf Sion, an den Tempel dachten. Heimweh, wie viele Flüchtlinge sind in diesen Monaten davon geplagt worden! Unser deutsches Wort Heimweh kennen die Sprachen der anderen Völker nicht, obwohl es den Zustand des Heimwehs überall gibt, seit Menschen irgendwo und irgendwann außer Landes ins Exil, ins Elend vertrieben wurden und dort leben mussten und so in der Verbannung, im Exil ihre Tage zubringen müssen.

 

Warum erzähle ich das?

Weil ich. glaube, dass auch unser Herr und Heiland Heimweh gekannt, Heimweh gehabt hat. Erinnert uns daran nicht sein Wort: „Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel ihre Nester, der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen könnte“? Der heimatlose Jesus, der auf diese Erde verbannte Sohn Gottes. Er hat sich selbst entäußert, hat Knechtsgestalt angenommen und ist Mensch, heimatloser Mensch geworden. Der Heiland hatte Heimweh; sehnsuchtsvolles Heimweh nach dem Vater im Himmel.

Ich meine, es ist richtig, wenn manche Exegeten und Theologen die Ansicht vertreten haben, das Heimweh nach der Herrlichkeit beim Vater im Himmel habe den Herrn immer wieder auf die Berge Palästinas hinaufgetrieben zu nächtlichem Gebet und eines Tages, während er auf dem Berg Tabor in trauter Zwiesprache mit dem Vater im Gebet weilte, sei er dabei als Auswirkung seines Heimwehs nach dem Vater wie in Ekstase in die Verklärung hineingehoben worden.

 

Und als die drei auf den Berg Tabor hinauf mitgenommenen Apostel erlebten, wie ihr Meister nun ganz verklärt war, weil er sich ganz beim Vater daheimfühlte, von dem er so oft und so ergreifend zu ihnen gesprochen hatte, da packte es auch diese drei Apostel, voran den Petrus, das Heimweh nach den Wohnungen im Hause des himmlischen Vaters; die Fremde war ihnen auf einmal verleidet, sie sehnten sich danach, in die Geborgenheit und Beheimatung beim verklärten Meister mithineingenommen zu werden. Und Petrus sprach nun - überwältigt von diesem Gefühl des Daheimseins — die Worte:

„Herr, es ist gut, dass wir hier sind!“ So wie dem Petrus damals auf dem Berg Tabor ist es noch jedem ergangen, der auch nur ein wenig in die Wohnungen im Hause des himmlischen Vaters hineinschauen durfte.

So erging es beispielsweise dem hl. Stephanus, der auf einmal die Schmerzen und Qualen der Steinigung durch seine Feinde vergaß, den Himmel offen und den Herrn Jesus zur Rechten des Vaters stehen sah...

So erging es dem hl. Paulus, der einmal in den siebten Himmel erhoben wurde, wie er im 2 Kor 12,3 schreibt, und dann über die Unmöglichkeit geklagt hat, zu schildern, was kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört und was in kein Menschenherz gedrungen ist, weil das so unsagbar groß und herrlich, trostvoll und beglückend ist, was Gott im Himmel, in der ewigen Heimat denen bereitet hat, die Ihn lieben.

Dem hl. Paulus kam dabei dann das Geständnis über die Lippen: „Wir haben hier keine bleibende Stätte, wir suchen vielmehr die zukünftige“; dort, wo das Heimweh voll gestillt wird.

Dabei sollten wir immer mehr mit dem hl. Paulus zur Überzeugung kommen, „dass die Leiden dieser Erdenzeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die dann im Jenseits an uns offenbar werden soll, wenn wir das Vaterhaus Gottes im Himmel erreicht haben werden“ (vgl. Röm 8,18).

Fragen wir nun nach dem Grund, warum der Herr die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes oben auf dem Berg Tabor das miterleben ließ, als sein Heimweh nach dem Vater in Ihm so stark geworden war, dass er - wie in einer Ekstase - zuerst innerlich, dann auch äußerlich an seinem Leib ganz verklärt worden war.

Diese drei Apostel hatte Christus mehr als alle anderen in seine Geheimnisse, auch in das seines völligen Einsseins mit dem Vater eingeweiht: Diese drei Apostel wollte Christus auch mehr als alle anderen Apostel in sein bitteres Leiden mit hineinnehmen: Sie und nur sie nahm er darum mit am Ölberg, wo er in schmerzlicher Agonie sein Erlöserleiden begann. Sie sollten dabei erleben und spüren: Nur durch Kreuz und Leiden gelangt man zur Himmelsherrlichkeit.

Es ist da so vielsagend, wie der verklärte Herr auf Tabor sich mit Mose und Elia unterhalten hat. Denn der Herr sprach mit Mose und Elia, wie uns der Evangelist Lukas ausdrücklich berichtet, über den Ausgang, den Er in Jerusalem nehmen sollte; gemeint ist dabei der Ausgang seines schmerzlichen Leidens und Sterbens, das einmünden sollte in die Auferstehungsherrlichkeit: Christus selbst hatte unmittelbar vor seiner Verklärung auf dem Berg Tabor in der ersten Leidensweissagung zu den Aposteln über das gesprochen, was auf Ihn in Jerusalem wartete. Und Christus hat nach der Verklärung noch einmal in der 2. Leidensweissagung wieder davon gesprochen, wie bitterstes Leiden und Sterben, aber dann auch die glorreiche Auferstehung auf ihn warten. So wären die drei Apostel wahrlich gut darauf vorbereitet worden.

 

Haben sie dann verständnisvoll standgehalten, als Christus in die Passion hineinging? Nein!

Schon am Ölberg, als der von blutigem Angstschweiß bedeckte Meister sie wehmutsvoll anflehte: „Wachet mit Mir!“, da waren die drei Apostel zu schwach und schliefen ein, so dass der Herr dann zu ihnen klagend sagen musste: „Nicht einmal eine Stunde konntet ihr mit mir wachen!? Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallt, denn der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.“

Und dann eben auf Golgotha beim Sterben Christi in Verlassenheit am Kreuz: Wo sind da die Apostel? Geflohen sind sie! Und von den dreien, die der Herr auf den Berg der Verklärung mitgenommen hatte, war dann beim Sterben Jesu nur ein einziger Apostel da: Johannes, der allein treu unter dem Kreuz ausharrte.

So sind wir Menschen! Armselig schwach sind wir und versagen. Und doch gilt: Nur durch Leid und Kreuz geht es hinein in die Himmelsherrlichkeit der nie mehr aufhörenden Verklärung, in der dann alles, was uns im Erdenleben so schwer gefallen ist und uns so undurchsichtig, unbegreiflich und rätselhaft gedünkt hat, geklärt und verklärt wird auf wundersame Weise: Immer gilt es, zuerst durch das Kreuz reif zu werden für die ewig bleibende Verklärung:

Der himmlische Vater hat bei der Verklärung seines menschgewordenen Sohnes nicht bloß den drei Aposteln, sondern uns allen die Mahnung erteilt: „Dieser ist mein vielgeliebter Sohn. Auf Ihn sollt ihr hören, auf Ihn sollte ihr schauen!“

Er hat es uns vorgemacht, immer und in allem den Willen des himmlischen Vaters zu erfüllen, auch in Kreuz und Leiden. Amen