2. Sonntag nach Weihnachten

gehalten in Parsch am 28.12.1968

 

Heute, am 2. Sonntag nach Weihnachten, möchte man als Priester seine Glaubensbrüder fragen: Wie habt ihr Weihnachten gefeiert? Und man möchte so gerne die Antwort hören: Wir haben gläubig, froh und friedlich gefeiert. Vielleicht klang in vielen von Euch tief innen im Herzen das eigentliche Weihnachtslied auf, von dessen drei Strophen (Liebe, Allmacht, Demut Gottes in der Weihnacht) ich am letzten Adventsonntag zu Euch sprach.

Viele Menschen werden freilich wieder ganz am eigentlichen Weihnachtsgeheimnis vorbeigelebt haben, ihr Weg führte nicht nach Bethlehem, sondern nach Darmstadt und Schweinfurt...

Aber in manchen von Euch hat sich vielleicht doch in stiller Besinnlichkeit und betrachtendem Gebet das Herz geregt, um den rechten Weg nach Bethlehem einzuschlagen zum rechten Erleben des Weihnachtsgeheimnisses, sodass es Euch vor der Krippe in die Knie zwang zum Anbeten und Danken zum Singen und Jubeln über das dreifache Wunder der Hl. Nacht.

Wie verschieden die Wege sind, die zum göttlichen Kind hinführen, zeigt uns ja schon die Hl. Schrift am Beispiel der Hirten und der Weisen: die einen - ungebildete, aber nicht verbildete, schlichte, einfache Menschen, die noch gläubig für die Offenbarung Gottes aufgeschlossen waren, führte der Engel zur Krippe, die anderen, - weise, gebildete, forschende und suchende Menschen, ließen sich vom Stern und seiner geheimnisvollen Bahn, also von der Betrachtung des Weltalls und seiner geheimnisvollen Größe, auf den rechten Weg führen, der in Bethlehem endete...

Heute erzählt uns das Evangelium vom Weg, auf dem zwei alte Menschen zum göttlichen Kind fanden: Es war der Weg anhaltenden Gebetes und gläubigen Lesens und Überdenkens der Hl. Schrift. Der greise Simeon und die greise Prophetin Anna sind dabei nicht nur Einzelpersönlichkeiten, deren Christusbegegnung geschildert wird, sondern sind Repräsentanten des gläubigen Teils des Volkes Israel, der in Beten und Fasten auf das verheißene Heil hoffte und wartete.

Diese beiden alten Menschen (Simeon = Gott hat erhört, Anna = Gott hat sich erbarmt) werden in der Hl. Schrift Propheten genannt, zunächst nicht in dem Sinn, dass sie die Zukunft voraussagten, wohl aber in dem Sinn, dass sie hellsichtig, hellsehend waren durch Altersreife und Erfahrung für die wahren Werte, für Gott und seine Offenbarung. „Alt werden heißt sehend werden“, sagte einmal Marie v. Ebner—Eschenbach. Bei diesen beiden greisen Menschen traf es wirklich zu: Zur reifen Abgeklärtheit und der reichen Lebenserfahrung des Alters kam bei ihnen in viel Gebet die rechte Gottverbundenheit und Aufgeschlossenheit für seine Eingebungen und Einsprechungen. Und eine innere Stimme hatte beiden gesagt, sie würden das, was sie in den alttestamentlichen Büchern der Propheten über den Messias gelesen hatten, noch erleben, sie würden den verheißenen Messias noch schauen. Der greise Simeon erhielt schließlich vom Hl. Geist ausdrücklich die Offenbarung, er werde den Tod nicht schauen, bevor er den Gesalbten des Herrn gesehen habe. Tagtäglich mag er in der Hl. Schrift des AT jene Stellen nachgelesen und überdacht haben, die vom Kommen des Messias prophetisch berichten. Die Bücher des AT waren dem greisen Mann nicht fremd, sie waren ihm vertraut, er war in ihnen zuhause. Er hatte sich bei dieser seiner Schriftlesung kein politisch - nationales Phantasiebild vom verheißenen Messias zusammengebraut wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, er beachtete zu genau, was die Bücher des AT, vor allem der Prophet Jesaja auch vom Leiden und Sühnetod des kommenden Messias zu berichten wussten.

Wieder hatte er vielleicht eine schlaflose Nacht betend und die Hl. Schrift meditierend durchwacht, als ihn am frühen Morgen eine eigenartige innere Unruhe packte und ihm eine innere Stimme sagte: Jetzt ist die erwartete und ersehnte Stunde da, geh, mach dich auf den Weg zum Tempel, dort triffst du den Messias.

Am Nikanortor des Tempels kam es dann zu jener beglückenden Christusbegegnung, als die jungfräuliche Mutter Maria mit dem Kind auf den Armen daherkam, um ihr Kind im Tempel Gott Vater darzubringen. Sofort erkannte Simeon, vom Hl. Geist erleuchtet, in diesem Kind den Messias. Voll Freude nahm er der Mutter das Kind aus den Armen und in seliger Freude fing er ergriffen seinen Lobgesang an, den uns der Evangelist Lukas 2,29-32 berichtet:

„Nun magst du, Herr, nach deinem Wort deinen Knecht in Frieden scheiden lassen, denn meine Augen haben ja das Heil gesehen, das du bereitet hast vor allen Völkern: ein Licht zur Erleuchtung der Heiden, ein Ruhm für dein Volk Israel!“

Dieses unsterbliche Weihnachtslied des greisen Simeon hat zwei Strophen: Die erste ist der Abschiedsgruß dieses alten Mannes an diese Welt, sein Abend- und Nachtgebet gleichsam zu seinem langen Leben, das kurze Amen auf das lange Gebet eines gottverbundenen Lebens.

Die 2. Strophe aber ist der Morgengruß an den erschienenen Messias mit einem hellseherischen Blick in die universelle Zukunftsaufgabe des Messias. Unter einem dreifachen Gesichtspunkt begrüßt der Greis den Erlöser:

als das Heil der Welt,

als ein Licht zur Erleuchtung der Heiden,

und als Ruhm des Volkes Israel.

Es ist ein großartiges Christusbild, das hier aufleuchtet: Der Messias ist nicht der Messias der jüdisch - nationalen Enge und der politischen Verzeichnung, als ob er nur dazu käme, um das Judenvolk von der Unterdrückung durch die römische Besatzungsmacht zu befreien. Der Messias ist nicht nur für die Juden bestimmt, sondern ist der Heiland der Welt, das Licht, das auch die Heiden, die in Finsternis und Todesschatten leben, zu erleuchten, er ist dabei freilich auch der Ruhm des Volkes Israel, denn einen Größeren hat dieses ja gerade dazu auserwählte Volk nicht hervorgebracht als ihn, der da Gott und Mensch zugleich ist.

Wie mag Maria gelauscht haben, als der greise Mann so große Dinge von ihrem Kind verkündete, aber bevor sie sich aus ihrem Staunen recht erholt hatte, hob Simeon von neuem zu reden an. Mit prophetischer Feierlichkeit sprach er jetzt noch, zu Maria gewandt, die geheimnisvollen Worte:

„Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Und auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, damit offenbar werden aus vieler Herzen deren Gedanken!“

Ein zweifaches verkündet noch der Greis in diesen Worten: das Schicksal des Kindes und das Schicksal der Mutter! Beide, das Schicksal des Kindes und das der Mutter sind miteinander engstens verbunden wie die Balken des Kreuzes.

Der 1.Teil der Prophezeiung deutet auf das Leidens des Kindes: An ihm scheiden sich die Geister. An ihm kann niemand neutral vorübergehen. Die einen wird Er zur Auferstehung führen, die andern zu Fall bringen, den einen wird er zum Segen, den anderen zur Katastrophe werden. Immer aber bleibt er das aktuellste Thema der Weltgeschichte.

Der 2.Teil der Prophezeiung weist auf das Mitleiden der Mutter hin: „Und auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen! In diesem „und“ sind die Leiden der Mutter und ihres Sohnes zusammengebunden, der gleichen Aufgabe dienend: der Erlösung der Menschheit! Das Weh und Leid des Sohnes wird wie ein Schwert die Seele der Mutter durchdringen! Simeon hat den Auftrag Gottes, prophetisch auf das zukünftige Erlöserleiden dieses~ Kindes hinzuweisen, erfüllt. Nun tritt er wieder zurück in seine Verborgenheit. Die Hl. Schrift sagt kein Wort mehr über ihn. Er selber hat über den sicher ganz kurzen Rest seines Lebens das Abendgebet gesprochen, das die Kirche in ihrem Abendgebet Tag für Tag wiederholt: „Nun entlässt du, o Herr, deinen Knecht nach deinem Wort in Frieden. Denn meine Augen haben dein Heil geschaut!“

Möge das auch von uns gelten, am Abend jeden Tages, am Abend des zu Ende gehenden Jahres, am Abend auch unseres Erdenlebens: dass Gott uns in Frieden von der uns gestellten Aufgabe in Frieden entlässt und wir dann erst recht sein Heil schauen in der ewigen Weihnacht, die zum hellen Tag wird, der keinen Untergang kennt.

Worauf es ankommt, dass dies gelingt? Dass auch von uns das gilt, was der Evangelist Lukas von diesem greisen Simeon zu berichten weiß: „Er war rechtschaffen und gottesfürchtig und harrte auf den Trost Israels und der Hl. Geist war mit ihm“(Lk 2,25f).