Stille Nacht, heilige Nacht

gehalten in ST. M. Loreto am 24.12.1987

 

Wir freuen uns, dass in unserem Lande dieses Weihnachtslied voll Besinnlichkeit und Wärme entstanden ist:

Ein Priester, der in der Stadt Salzburg in der Steingasse als uneheliches Kind einer armen Näherin geboren wurde, war dazu auserwählt, den Text zu dichten, ein schlichter Volksschullehrer und Organist, aus Hochburg an der Salzach in Oberösterreich gebürtig, war der Komponist. Beide haben sich tief in das Weihnachtsgeheimnis hineinvertieft, betend und betrachtend und gläubig staunend. Tun wir es auch in den Weihnachtstagen, wenn wir “Stille Nacht“ wieder singen und dazu die anderen heimeligen, trauten Weihnachtslieder...

Keine Festzeit des Kirchenjahres hat ja so viele Lieder wie gerade die Weihnachtszeit. Warum wohl? Ich glaube, weil keine Zeit so voll ist von Wundern und Geheimnissen. Und es ist da eben ein so echt menschlicher Zug: Wenn unser Verstand zu schwach ist, etwas ganz geheimnisvoll Tiefes zu erfassen, wenn unsere Zunge zu schwerfällig ist, etwas ganz geheimnisvoll Großes und Beglückendes zu schildern, dann machen wir nicht viele Worte, um unserem bewundernden Staunen Ausdruck zu verleihen, dann fangen wir zu singen an und jubeln uns von der Seele, was uns bewegt. So ist es auch mit unseren Weihnachtsliedern, mit den liturgischen der Kirche wie mit den volkstümlichen des gläubig-frommen Volkes. Das Bewusstsein, von der geheimnisvollen Tiefe des Weihnachtswunders ja doch nie gebührend reden und es doch nie in seiner ganzen staunenswerten Tiefe erfassen zu können, klingt in verhaltener, stiller Gläubigkeit und bewundernder Freude und Ergriffenheit aus den schönen Weihnachtsliedern. Und die Kirche hat für diese menschliche Eigenart ihrer Kinder Verständnis, sie fordert uns sogar zum Singen und frohen Jubeln auf, wenn sie uns am Weihnachtstag zuruft: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn Wunderbares hat Er getan!“

Ja, singen und jubeln sollte man in der Weihnachtszeit in einem immer wieder neu aus gläubigem Herzen aufsteigenden Lied der Freude und des Staunens darüber, dass Gott Wunderbares geplant und ausgeführt hat zu unserer Erlösung. Und die 1. Strophe dieses Liedes singt vom Wunder der Liebe in der Weihnacht, die 2. Strophe vom Wunder der Allmacht und die 3. Strophe vom Wunder der Demut.

1. Das Wunder der Liebe der Weihnacht: Hier wird uns Antwort auf die Frage, wer in der Krippe im Stall zu Bethlehem liegt: Gottes Sohn, der Eingeborene des himmlischen Vaters, dem dieser in ewiger, rein geistiger Zeugung sein ganzes göttliches Leben und Wesen mitgeteilt hat, ist ein kleines Menschenkind geworden, um uns Menschen, die wir verloren waren, zu retten und wieder zu Gotteskindern zu machen: „Propter nos homines...“ (Unseretwegen und unseres Heiles wegen...) Gott und Mensch, welch gewaltiger, unendlicher Gegensatz und Unterschied:

Der unendliche Gott - der kleine, endliche, schwache Mensch; der allmächtige Schöpfer von allem, was da ist – und hier: das so ganz und gar dem freien Willen des Schöpfers abhängige Geschöpf! Dazu müssen wir noch bedenken, dass die ganze Menschheit durch die Sünde des Stammvaters und alle daraus folgenden Sünden mit dem Makel einer verratenen und erloschenen Freundschaft, mit dem Schandmal der Untreue und Gottvergessenheit befleckt war. Da wird dann der Gegensatz noch unsagbar größer: Gott, die unaussprechliche, strahlende Heiligkeit, ist Licht, lauter Licht und Finsternis ist nicht in Ihm – und hier der Mensch: Schwachheit, Armseligkeit‚ Sündhaftigkeit, Dunkelheit.

Und all diese Gegensätze hat Gott überbrückt in der Menschwerdung des Sohnes Gottes aus übergroßer Liebe zu uns: Sosehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er seinen eingeborenen Sohn dahingab.

Ob nicht ein anderer Weg zur Erlösung der Menschen gangbar gewesen wäre? Gewiss, aber Gott wählte den Weg der größten Liebe und Güte und Barmherzigkeit! In allem sollte uns die zweite göttliche Person, der Sohn Gottes, ähnlich werden, ganz und gar sollte er einer aus uns werden, uns in allem gleich, die Sünde allein ausgenommen, von der er uns erlösen wollte. So liegt zu Weihnachten der Gottmensch Jesus Christus in der Krippe: Klein, schwach, hilflos wie es nur ein neugeborenes Kindlein sein kann, aber strahlend groß in seiner göttlichen Natur und Person und in seiner wahrhaft göttlichen Liebe. Das Wunder der Liebe in der Weihnacht, die 1. Strophe unseres Weihnachtsliedes!

Und das Lied klingt weiter: „natus ex Maria Virgine...“ (geboren aus Maria, der Jungfrau)

Die 2. Strophe singt vom Wunder der Allmacht in der Weihnacht:

Gewiß, schon im Geheimnis der Menschwerdung liegt ein Wunder der Allmacht, wie sich da zwei Naturen, die göttliche und, die menschliche, in der einen Person Jesus Christus vereinigen. Die Theologen nennen das die hypostatische Union und haben sich immer wieder versucht in der Erklärung dieser einzigartigen Tatsache. Aber nicht das möchte ich als Wunder der Allmacht in der Weihnacht bezeichnen, sondern die Tatsache, dass die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Mutterschoß Mariens unter Wahrung ihrer Jungfräulichlichkeit erfolgt ist: „Ecce virgo concipiet et pariet...“ (Siehe, die Jungfrau wird empfangen und gebären). So hatte es der Prophet Jesaja vorausverkündet. In der Weihnacht ist diese Prophezeiung erfüllt worden: In Maria hat sich Jungfräulichkeit und Mütterlichkeit wunderbar vermählt: „Nach Gottes heil‘gem Rat hat sie ein Kind geboren und blieb doch reine Magd!“ Was auf natürlichem, rein biologischem Weg unmöglich wäre, hat Gottes Allmacht bewirkt: Mariens Mutterschaft hat das Siegel der Jungfrauschaft nicht verletzt. „Virgo prius ac posterius“ (Jungfrau vorher Jungfrau nachher), so singt die Liturgie zu Weihnachten von Maria in der Antiphon „Alma redemptoris mater“.

Wie Christus später aus dem verschlossenen und versiegelten Grab glorreich und verklärt hervorging und bei verschlossenen Türen zu den Jüngern kam, oder — um bei einem Vergleich aus der Alltagserfahrung zu bleiben — wie die Sonnenstrahlen die feste Glasmasse des Fensters durchdringen ohne es zu brechen oder irgendwie zu beschädigen, so und noch erhabener ist das Geheimnis der jungfräulichen Empfängnis und Geburt Jesu Christi aus Maria der Jungfrau, der einzigen Mutter unter allen Jungfrauen, der einzigen Jungfrau unter allen Müttern. Ihre Jungfräulichkeit blieb unversehrt. Bewirkt wurde dieses Wunder der Allmacht durch die Kraft des Hl. Geistes, der bei der Empfängnis des Sohnes Gottes gnadenvoll mit Maria war, so zwar, dass er ihrem unberührten Mutterschoß einzigartige Fruchtbarkeit schenkte und dabei doch ihr die Jungfräulichkeit unverletzt wahrte.

Jetzt noch die 3. Strophe des Weihnachtsliedes: Das Wunder der Demut in der Weihnacht!

„Humiliavit semetipsum formam servi accipiens...“ (Er erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an) Davon berichtet uns der Evangelist Lukas so schlicht:

„Während sie dort waren, kam für Maria die Zeit, da sie gebären sollte, und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn in der Herberge war für sie kein Platz.“ Gerade durch die Schlichtheit dieses Berichtes leuchtet das Wunder der Demut in der Weihnacht besonders hell auf! Der Sohn Gottes kommt zur Welt in Armut und Demut. Er kommt zur Welt wie ein Fremdling, wie ein Verstoßener. Er kommt zur Welt in einem Stall, weil für Ihn kein Platz war in der Herberge, für Ihn, der von sich sagen kann: „Mein ist der Erdkreis und was ihn erfüllt!“ Als Wiege dient ihm eine Krippe, ein Futtertrog, aus dem sonst Ochs und Esel ihr spärliches Futter fressen. Die Liturgie der Kirche singt voll Staunen über dieses Wunder der Demut des Gottmenschen in der Matutin des Weihnachtsfestes: „O magnum mysterium et admirabile sacramentum, ut animalia viderent Dominum natum, jacentem in praesepio.“ („O großes, wunderbares Geheimnis, dass Tiere den neugeborenen Herrn in ihrer Krippe liegen sehen!“) Malen wir uns selber dieses Bild vom Wunder der Demut in der Weihnacht noch weiter aus: Die enttäuschende, vergebliche Herbergsuche am Abend, dann die Armut des Ortes, der Umstände. Und schließlich die ersten Gäste: arme Menschen, Hirten... Und diese Stillen im Lande bekommen gerade diese Armut und Demut des Herrn als Erkennungszeichen vom Engel angegeben: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, Christus, der Herrn. Und dies soll euch zum Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln eingewickelt und in einer Krippe liegen!“

Das Wunder der Demut: Gott als kleines, hilfloses Kind in einer Krippe liegend! Staunen wir doch wieder einmal darüber. Und schämen wir uns unserer Versunkenheit ins Materielle, in den Wohlstand, in den Luxus, wo doch alles ein pures Nichts ist im Vergleich zum wahren Reichtum der Gnade und des göttlichen Lebens, den Er uns wieder gebracht hat...

Das ist das Lied von Weihnachten. Ob in Text und Melodie von „Stille Nacht“ oder sonstwie ist gleich, die drei Strophen muss es jedenfalls haben, die 1. Strophe vom Wunder der Liebe, die 2. Strophe vom Wunder der Allmacht, die 3. Strophe vom Wunder der Demut in der Hl. Nacht.

Überlegen wir das alles, wenn wir zu Weihnachten in Glaube, Hoffnung und Liebe, in Anbetung und Dankbarkeit vor der Krippe oder vor dem Tabernakel knien. Selber daraus die Konsequenzen ziehen! Das Kind sagt uns: “Schau, das tat ich für dich! Was tust du für mich?“ Von den Hirten heißt es zu Weihnachten: „Sie kehrten zurück (von der Krippe) und lobten und priesen Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten!“ Tun auch wir es. Gott loben und preisen für das dreifache Wunder der Hl. Nacht Öffnen wir Ihm, dem Sohn Gottes und Mariens, das Herz. Er möchte zu uns kommen und auch an uns ein Wunder der Liebe, der Allmacht und der Demut wirken und uns beglücken mit der aus demütigem Glauben kommenden Freude und mit dem alles Begreifen übersteigenden Glück des wahren Friedens.