Weihnachten 1983
"Descendit de coelis...". "Er ist vom Himmel herabgestiegen..." Dieses Wort im nicaeno-const. Glaubensbekenntnis soll mir heute den Stoff liefern für die Weihnachtsbetrachtung, weil man besser gar nicht sagen kann, was in der menschlichen Geburt Jesu Christi geschehen ist. Er, der Sohn Gottes, ist herabgestiegen: aus der Höhe in die Tiefe, d.h. aus der Herrlichkeit des Vaters, in der Er von Ewigkeit her war als sein wesensgleicher Sohn, in die Niedrigkeit der Menschennatur, in der Er uns in allem gleich wurde, die Sünde allein ausgenommen. Und diese Menschwerdung des Sohnes Gottes im Herabsteigen aus der Höhe in die Tiefe, aus der Herrlichkeit in die Niedrigkeit, aus der Ewigkeit in die Zeitlichkeit, um von der Geburt bis zum Tod mit uns Menschen Menschenschicksal zu teilen, hat der hl. Paulus im 2. Kapitel seines Philipperbriefes in ergreifender Weise so beschrieben: "Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen. Er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz..."
Das II. Vat. Konzil aber hat das in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Art. 22) so formuliert: "Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. Mit Menschenhänden hat Er gearbeitet, mit menschlichem Geist hat Er gedacht, mit einem menschlichen Willen hat Er qehandelt, mit einem menschlichen Herzen hat Er geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist Er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde."
Außer der Tatsache der Menschwerdung des Sohnes Gottes müssen wir aber beim "Descendit de coelis", Herabgestiegen unseretwegen und unseres Heiles wegen, auch noch die Armut und Kleinheit beachten, dann geht uns erst die Größe seiner Herablassung auf und neben der Größe seiner Herablassung auch noch die Größe seines Seins und Wesens. Diese Größe aber zwingt uns dann in die Knie zur Anbetung dieses klein und arm gewordenen, aber gerade darum unsagbar großen, wahrhaft göttlichen Kindes.
1. Die Armut des menschgewordenen Sohnes Gottes! So arm wie ein Ausgebombter und Wohnungsloser wurde der Sohn Gottes in seiner Menschwerdung und Geburt, so dass Er schon in der Nacht seiner Ankunft auf dieser Erde nicht wusste, wohin Er sein Haupt legen sollte. Er wurde von seiner jungfräulichen Mutter in einen Futtertrog der Tiere, in eine Krippe gelegt. Warum? Weil in der Herberge für Ihn kein Platz war! War das Zufall? Nein, es war die auffallende Absicht dessen, der vom Himmel herabstieg unseretwegen und unseres Heiles wegen. Weil wir alle uns so sehr an die materiellen, vergänglichen Dinge hängen und klammern, und dies für ungemein wichtig halten für unser Wohlergehen und für unser Heil, wollte Er uns ein Beispiel der Genügsamkeit geben. Wir, die wir in den irdischen Sorgen fast aufgehen und dauernd fragen: "Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns bekleiden" usw., Er sagt uns schon in der Armut des Krippenkindes, dass es "propter nostram salutem“ den ganzen irdischen Plunder eigentlich gar nicht braucht, dass man sich zum mindesten nicht daran hängen sollte, dass man im irdischen Reichtum ja nicht aufgehen sollte..., denn die wahre Freude, das wahre Glück und das ewige Heil hängen nicht vom irdischen Reichtum ab! Er ruft es uns schon aus der Krippe heraus zu: "Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich!" Und: "Wehe den Reichen…!" "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt!"
2. Die Kleinheit des menschgewordenen Sohnes Gottes: So klein wollte Er bei seiner Geburt werden, dass Ihn die Schriftgelehrten und Wissensstolzen trotz ihrer vernunftscharfen Beweisführungen nicht erkannten, sondern nur den einfältigen Hirten. Darum jubelte der Herr später darüber und dankte dem Vater im Himmel, dass er sich den Kleinen und Unmündigen geoffenbart, vor den Weisen und Klugen aber verborgen habe.
Und trotz der Armut und Kleinheit wollte uns der Herr in seiner Geburt seine Größe kundtun, die Größe seiner Herablassung, die Größe seiner Liebe, die Größe seines Wesens, denn in dem kleinwinzigen Körperchen des in der Armut des Stalles geborenen und in der Krippe liegenden Kindes wohnte von allem Anfang an die Gottheit des Sohnes des himmlischen Vaters leibhaftig. Der Dichter Clemens Brentano hat es in seinem ergreifenden "Lied vom Kinde" so formuliert: "Gott ist selbst ein Kind geworden. Wer dies je einmal empfunden, ist den Kindern durch das Jesuskind verbunden".
Armut des Kindes von Betlehem, Kleinheit des Kindes von Betlehem, und dennoch Größe dieses Kindes, das Gott selber ist! Darauf kommt es im Weihnachtsgeheimnis an: Der Sohn Gottes hat sich entäußert, hat Knechtsgestalt angenommen, ist einer aus uns geworden, in allem uns gleich, um uns ein Beispiel zu geben. Darum sollten wir den menschgewordenen Sohn Gottes in der Krippe bitten:
"Jesuskind im armen Stalle, o wie bist Du arm! Hast nicht Heimat wie wir alle, hast kein Bettlein warm. Mach uns frei, o Jesuskind, da wir Erdensklaven sind. Laß uns alle hier auf Erden Arme werden.
Jesuskind im armen Stalle, o wie bist Du klein! Und wir Menschenkinder alle wollen groß nur sein. Mach uns klein, o Jesuskind, demutsvoll, wie Kinder sind, laß uns alle hier auf Erden Kinder werden!
Jesuskind im armen Stalle, o wie bist Du groß! Schaust so selig auf uns alle von der Mutter Schoß. Laß, o teures Jesulein, uns in Deiner Liebe sein, laß wie Du uns hier auf Erden glücklich werden!