Der hl. Stephanus

gehalten in St. M. Loreto am26.12.1986

 

Der Heilige, den die Kirche am ersten Tag nach Weihnachten feiert, der hl. Diakon Stephanus, ist auf den ersten Blick ein höchst unmoderner Heiliger. Höchst unmodern und unzeitgemäß ist es zunächst schon, am zweiten Weihnachtstag das Fest eines Märtyrers zu feiern; Stephanus ist ja ein Märtyrer, ja sogar ein Erzmartyrer, einer der allerersten christlichen Blutzeugen, dessen Fest scheinbar gar nicht recht auf den Tag nach Weihnachten passt.

Ihr wisst, dass durch die mit der Liturgiereform verbundene Kalenderreform viele Heilige in einer oft nicht recht durchschaubaren Weise von ihrem angestammten Festtag versetzt und verschoben wurden! Denken wir beispielsweise an den Apostel Thomas, dessen Fest immer am 21. Dezember gefeiert worden ist, durch die Kalenderreform aber ist sein Fest auf den 3. Juli verschoben worden, nur um am 21. Dezember, so nahe vor Weihnachten, die adventliche Stimmung nicht durch ein Apostelfest zu unterbrechen. Warum hat man dann nicht auch das Fest des hl. Stephanus verschoben und auf einen anderen Tag festgesetzt? Das Fest des hl. Stephanus blieb am altgewohnten Tag, am 26.Dezember, am ersten Tag nach Weihnachten. Hier hätte man doch wahrlich eine Verschiebung auf einen anderen Tag gerne, weil sinnvoll, in Kauf genommen. Denn was hat unmittelbar nach dem lieblichen Weihnachtsfest das Fest eines Blutzeugen zu suchen? Ostern hat seinen Ostermontag als zweiten Feiertag, Pfingsten hat seinen Pfingstmontag als zweiten Feiertag neben sich, nur das traute Weihnachtsfest hat als Begleiter im Kirchenjahr das Fest eines Märtyrers, des Erzmärtyrers Stephanus. Das mutet auf den ersten Blick doch wirklich so an, als ob der kirchliche Kalendermann, der den Kalender des Kirchenjahres zusammengestellt hat, sich geirrt habe. Es ist doch auf den ersten Blick wirklich sonderbar, dass die liturgische Farbe aus dem strahlenden Weiß der Reinheit und Unschuld am gestrigen Fest der jungfräulichen Geburt des göttlichen Kindes so plötzlich hinüberwechselt in das blutige Rot des Martyriums, wenn da so plötzlich neben dem Bild vom holden, trauten Krippenkind auf einmal das Bild jenes jungen Mannes steht, der mit gebrochenen Gliedern zusammengesunken ist unter dem Steinhagel seiner Feinde. Neben dem freudig stimmenden Bild des jungen, zukunftsfrohen Lebens im neugeborenen Christkind auf einmal das schaurig ernste Bild von Mord und Totschlag, wobei ein junger, geisterfüllter Mann von der Wut seiner Feinde gesteinigt, im eigenen Blut zusammengesunken, seine Seele aushaucht. Wirklich, es ist auf den ersten Blick höchst eigenartig, ja sogar widerspruchsvoll, unzeitgemäß und unmodern.

Wenn wir aber näher zusehen, merken wir, wie da im Kalender kein Irrtum vorliegt und kein Fehler unterlaufen ist, der durch die liturgische Kalenderreform hätte korrigiert werden sollen; im Gegenteil: Die Aufeinanderfolge der beiden Feste, des Weihnachtsfestes und .des Stefanietages enthält tiefen Sinn und eine vielsagende, beherzigenswerte Mahnung:

Denn wenn uns das gestrige Weihnachtsfest in den liturgischen Texten und Liedern klargemacht hat, wer das Kind in der Krippe ist, bei dessen Geburt wir so viel selige Freude empfinden, weil uns dieses Kind so kostbare Gaben und eine wahre Frohbotschaft gebracht hat, so sagt uns das heutige Fest, was dieses göttliche Kind in der Krippe umgekehrt von uns Menschen fordert.

Gestern stand das neugeborene Kind in der Krippe als das gnadenspendende, friedenbringende, Freude schenkende Christkind vor uns, heute aber steht es nicht mehr schenkend. sondern fordernd vor uns. Jenes kleine Kind, das damals vor 1986 Jahren das Licht dieser Welt erblickt hat in der Armut des Stalles von Bethlehem, lässt den Menschen keine Ruhe, es fordert Entscheidung und Scheidung der Geister und verlangt Glauben. Der hl. Stephanus aber, der erste Blutzeuge der Urkirche, zeigt eben, wie wir alle auf diese Forderung des göttlichen Kindes antworten müssten: Mit eindeutig klarem, mutigem unerschütterlichem Glauben! Diesen Glauben an Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, besaß Stephanus. Dieser Glaube hat sich bei ihm in einem mutigen Bekenntnis des Glaubens, in einem opferbereiten Leben aus dem Glauben, in einem heldenhaften Sterben für den Glauben an Christus geoffenbart.

Stephanus ist darin nicht sehr zeitgemäß. Denn den Glauben mutig zu bekennen, das ist heute bei vielen Christen unmodern geworden. Dem Glauben die Treue halten bis in den Tod, bis in das Martyrium ist heute noch unmoderner, wo man aus ganz nichtssagenden Gründen den Glauben aufgibt und aus der Kirche austritt. Aber vielleicht ist gerade heute, in dieser Zeit des Glaubensabfalls, der Glaubensverwirrung und der feigen Menschenfurcht und Lauheit, ein Heiliger wie der Erzmartyrer Stephanus aktueller denn je in der Kirchengeschichte: Stephanus verkündete den Glauben an Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und Heiland der Welt, ohne Furcht vor den Feinden, ohne Angst und Scheu vor den Opfern, die damit verbunden sein könnten.

Er trat dabei so mutig und mit solcher Beredsamkeit und Weisheit auf, dass seine Gegner dem Geist, der aus ihm sprach, nicht widerstehen konnten, wie es ausdrücklich im Bericht der Apostelgeschichte betont wird. Gegner mussten ihm recht geben und bekehrten sich zum Christentum. Gott aber bekräftigte das Wort des hl. Stephanus durch Wunder, die er wirkte. Denen aber, die sich trotzdem nicht bekehren wollten, warf er ihre Halsstarrigkeit und Verstocktheit mit dem Mut alttestamentlicher Propheten vor. Das reizte diese Gegner dann aber zum äußersten. Und weil sie der Glaubwürdigkeit und Beweiskraft seines Lebens, seiner Argumente und seiner Wundertaten nichts entgegenzusetzen vermochten, blieb ihnen, wie sie meinten nichts anderes übrig, als diesen unbequemen Prediger mundtot zu machen durch einen Hagel von Steinen, den sie ihm anstelle von Argumenten entgegenschleuderten.

Da aber zeigte sich Stephanus dann erst recht in seiner Größe: Er verfluchte diese halsstarrigen Gegner nicht, sondern betete noch für sie und folgte dabei dem Beispiel des gekreuzigten Herrn: „Vater, verzeihe ihnen, sie wissen ja nicht, was sie tun!“ Ganz ähnlich betete Stephanus: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Sein Gebet für seine Feinde ist erhört worden. Wir sehen es an einem jungen Mann, der bei der Steinigung des Stephanus dabei war: Saulus! Ihm wurde wenig später vor den Toren der Stadt Damaskus die Gnade der Bekehrung zuteil und er wurde anstelle von Stephanus der große, wortgewaltige, mutige und furchtlose Prediger des Glaubens an Christus.

Stephanus, der Erzmartyrer, hat herauf durch die Jahrhunderte Nachfolger gefunden. Jedes Jahrhundert, nein jedes Jahrzehnt, noch richtiger: jedes Jahr kannte und kennt Märtyrer der Treue zum christlichen Glauben. Eine unzählbare Schar ist das inzwischen geworden, von Stephanus angefangen bis herauf zu modernen Märtyrern der Christustreue und des Christusglaubens in den Gefängnissen und Lagern der Länder, wo der gottlose Kommunismus herrschte.

Die zahllosen Märtyrer der Christustreue und des Christusglaubens beschämen uns wegen unserer Menschenfurcht und Feigheit und geben uns zugleich die Mahnung, im Glauben die Hoffnung in uns wachzurufen, dass es mit der heute in eine tödliche Krise hineingeratenen Kirche Jesu Christi doch wieder aufwärts gehen wird, denn das Blut der Martyrer hat sich immer wieder als Same neuer Christen erwiesen: „Sanguis martyrum semen christianorum!“ Und es hat sich immer wieder als wahr erwiesen, was der bekehhrte Saulus – Paulus, der einst am Martertod des Stephanus mitbeteiligt war, an seinen Mitarbeiter Timotheus geschrieben hat: „Timotheus, denk daran: Jesus Christus, der aus Davids Geschlecht stammt, ist von den Toten auferweckt worden. Das ist mein Evangelium, für das ich zu leiden habe und für das ich sogar wie ein Verbrecher gefesselt bin. Aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt und lässt sich nicht fesseln!“ Paulus weist hier also zum Beweis für die unwiderstehliche Kraft, die dem Wort Gottes innewohnt und das sich nicht fesseln lässt, auf die Tatsache hin, dass sich damals in der christlichen Frühzeit der christliche Glaube immer mehr ausgebreitet hat, obwohl er durch die Einkerkerung der ersten Jünger hätte mundtot gemacht und zum Untergang geführt werden sollen.

Das Wort Gottes konnte auf die Dauer nicht totgeschwiegen werden, es war ein Samenkorn, das aufging und Frucht brachte, zehnfach, dreißigfach, hundertfach.

Die den Stephanus steinigten und die den Paulus gefangen setzten und hinrichteten, sind längst vergangen und vergessen, die Botschaft, die Stephanus und Paulus und die anderen Glaubensboten und Blutzeugen Christi verkündet haben, ist geblieben und lebt weiter und hat immer noch wunderbare Lebenskraft in sich. Brüder und Schwestern! Glauben wir fest und stark wie Stephanus und die übrigen Märtyrer des christlichen Glaubens. Lassen wir uns nicht irremachen, halten wir dem wahren, unverfälschten Glauben die Treue, und – wenn es sein muss – bis in den Blutzeugentod. Und seien wir den vielen in unserer Zeit, die um des Glaubens willen gelitten haben und leiden, dankbar. Sie litten für uns, um uns Gnade und Kraft zu verdienen, nicht feige zu werden, sondern wie sie mutig den Glauben an Christus zu bekennen, für ihn zu leben und, wenn es sein muss, auch zu sterben. Amen.