4. Adventsonntag
gehalten in St. M. Loreto am 18.Dezember 1983
Wenn an den bisherigen Adventsonntagen und am adventlichen Frauentag neben der seligsten Jungfrau Maria der Täufer Johannes immer wieder vor uns stand und uns in Wort und Tat und Leben zur Umkehr, zur Buße und zur Bereitung der Herzen für das Kommen des Herrn aufforderte, so tritt am heutigen 4. Adventsonntag im Evangelium ein sonst überaus schweigsamer Mann als Adventprediger vor uns hin. Es ist jener, dessen Name im heutigen SoEv fast entsprechend dem 4. Adventsonntag genau viermal genannt wird. Es ist der hl. Joseph, der „gerechte Mann“ aus dem königlichen Geschlechte Davids, der schlichte Handwerker, der Mann des Schweigens, von dem uns kein einziges Wort im ganzen Neuen Testament überliefert ist, der uns aber in seiner Gewissenhaftigkeit und in seinem fast heroischen Gehorsam in der Erfüllung der Aufträge Gottes tatsächlich gerade jetzt für die letzte Adventwoche ein vielsagender Adventprediger sein kann und soll.
Vom hl. Joseph ist in den Berichten über die Kindheit Jesu bei Mt und Lk nur dort die Rede, wo Jesus und Maria, die beiden heiligsten Personen, die ihm anvertraut wurden, in Gefahr waren in ihrer Ehre oder in ihrem Leben.
Was berichtet nun das heutige SoEv über den hl. Joseph? Folgendes:
Er hatte trotz seiner stillen, besinnlichen Art feststellen müssen, dass Maria mit der er sich verlobt hatte, in einen neun Monate dauernden Advent eingetreten war: sie erwartete ganz offensichtlich ein Kind. Die Verlobung kam damals im jüdischen Volk rechtlich einer Verheiratung gleich, auch wenn der Mann seine Braut noch nicht zu gemeinsamer Haushaltsführung heimgeführt hatte; der Mann bekam jedenfalls mit der Verlobung schon alle ehelichen Rechte; ein Treuebruch der Braut während der Zeit der Verlobung galt bereits als Ehebruch und wurde als solcher auch bestraft. In einem solchen Fall konnte der Bräutigam sich nicht anders von seiner treulos gewordenen Braut lossagen als nur dadurch, dass er wie ein Ehemann seiner Ehefrau den Scheidebrief gab. In dieser Zeit zwischen Verlobung und feierlicher Heimführung ward nun der hl. Joseph inne, dass Maria in guter Hoffnung war. Welch furchtbare Enttäuschung mag eine solche Entdeckung für jeden jungen Mann sein, der seine Braut geliebt und für unberührt, rein, ja sogar heilig gehalten hat. So war es doch sicher beim hl. Joseph der Fall. Der Himmel schien ihm einzustürzen. Sicher stand wenigstens einen Augenblick lang der Verdacht dunkel vor der Seele des hl. Joseph: Maria hat mich hintergangen und mir die Treue gebrochen. „Aber nein, das kann ich und will ich nicht glauben!“
So wird der hl. Joseph sofort darauf gedacht haben. Auf jeden Fall sah er sich nun vor ein furchtbares Dilemma gestellt: Auf der einen Seite die unleugbare Tatsache, dass Maria, seine Braut, die Mutter eines werdenden Kindes war, das nicht das von ihm gezeugte war. Es konnte nach menschlicher Berechnung wohl nur durch die Treulosigkeit seiner Braut zustandegekommen sein. Das Gesetz gebot hier lt. Deuteronomium 22,23—24 die Ehebrecherin anzuzeigen im klaren Wissen, dass auf Ehebruch als Strafe die Steinigung stand. Auf der anderen Seite konnte der hl. Joseph unmöglich den Glauben an die Unschuld seiner Braut von der er zu fest überzeugt war, preisgeben, denn nichts, aber schon gar nichts deutete im Benehmen seiner Braut Maria auf eine begangene schwere Sünde hin. Pflicht und Liebe stritten da nun im Herzen des hl. Joseph miteinander. Die Stimme des Gesetzes verlangte vom hl. Joseph: „Du musst Maria anzeigen!“ Die Stimme des Herzens aber sagte ihm: „Nein, sie ist völlig unschuldig!“ Eine furchtbare Lage, eine schreckliche Situation! Was sollte der hl. Joseph tun?
Die teuflische Art, wie sie heute vielfach in ähnlicher Lage von charakterlosen Männern praktiziert wird: das Kind durch Abtreibung zum Verschwinden bringen, kam für den Edelmann Joseph nicht im geringsten in Frage. Also was dann?
In der Lösung, die Joseph schließlich fand, zeigte er so recht seine Charaktergröße: die Zartheit seines Empfindens, das Zartgefühl seines Herzens, die adelige Gesinnung seines Geistes, die ehrfurchtsvolle Haltung seiner Seele. In dieser Situation trat zutage, was im einfachen Handwerker steckte: ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle! Er ging nicht zu Verwandten und Bekannten, um sich mit ihnen in dieser heiklen Situation zu besprechen. Nein, in ehrfürchtigem Schweigen grub er alles in sich hinein und besprach sich nur - das dürfen wir sicher annehmen - in langem, inständigem Gebet mit Gott. Der hl. Joseph wollte auf Maria nun - so weh es ihm tat - verzichten und ihr den Scheidebrief ausstellen, in diesem Scheidebrief aber diskret und feinfühlig den Grund für die Entlassung Marias verheimlichen. So heißt es im heutigen SoEv: “Da Joseph, ihr Mann, gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, entschloss er sich, sie in aller Stille freizugeben“(Mt,1 ‚ 19)
Da war es nun ein Engel, der dem hl. Joseph im Traum erschien und darüber aufklärte, was mit Maria geschehen war: „Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Braut, zu dir zu nehmen. Denn was sie im Schoße trägt, stammt vom Hl. Geist! Sie wird einen Sohn gebären; Ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn Er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“
Dann heißt es kurz und schlicht: „Als Joseph erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm Maria zu sich“.
Einige Monate später, als das göttliche Kind schon geboren worden war, erschien dem hl. Joseph ein zweites Mal ein Engel des Herrn und sagte ihm: “Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, fliehe nach Ägypten und bleibe dort, bis ich es dir sage. Denn Herodes ist daran, nach dem Kind zu fahnden, um es umzubringen“(Mt 2,13). Auch diesmal gehorchte der hl. Joseph wieder sofort: “Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht und floh nach Ägypten‘(Mt 2,14)
In Ägypten blieb der hl. Joseph, bis ihm, wie angekündigt, zum 3.Mal der Engel erschien und ihm auftrug: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und zieh in das Land Israel, denn die dem Kind nach dem Leben trachteten, sind tot!“(Mt 2,20).
Auf dem Rückweg nach Palästina scheint der hl. Joseph noch eine vierte Engelerscheinung gehabt zu haben, denn als er erfuhr, daß in Judäa jetzt Archelaus, der „würdige“, rechte nichtswürdige Sohn seines Vaters Herodes, an dessen Stelle als König herrschte, zögerte der hl. Joseph mit Recht, nach Judäa zu ziehen. Wieder dürfte ihm in dieser Situation ein Engel im Traum erschienen sein, der ihm sagte, er solle nach Galiläa, konkret nach Nazareth ziehen. Diese vierte Engelvision des hl. Joseph wird zwar im MtEv nicht ausdrücklich erwähnt, aber wir dürfen sie aus den Worten: „Er wurde im Traum ermahnt“(Mt 2,22) erschließen. Diese vier Engelvisionen waren für den hl. Joseph so klar, dass für ihn dabei jeder Zweifel ausgeschlossen war; er verstand sie und befolgte die dabei erhaltenen Weisungen als von Gott selber kommend auf das vollkommenste.
Was lernen wir nun aus diesem Evangelium, beziehungsweise vom stillen, wortkargen, aber dennoch so vielsagenden Adventprediger Joseph? Auf jeden Fall dies, dass es gegenüber dem Weihnachtsgeheimnis, gegenüber dem Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes im jungfräulichen Schoß Mariens vor allem auf den gelebten Glauben ankommt, der sich in Demut vor Gott und seinen Geheimnissen beugt, weil Gott größer ist als unser kleiner Verstand und größer als unser Herz. Der hl. Joseph hat uns diesen Glauben vorgelebt. Er ist für uns wirklich zum Adventprediger geworden, weil er an Gottes Größe, Allmacht und Liebe geglaubt hat und daraus die Konsequenz eines bereitwilligen Gehorsams gegenüber den Weisungen Gottes gezogen hat. Hab Dank hl. Joseph, dass du deine unberührt reine Braut damals nicht fortgeschickt hast! Hab Dank hl. Joseph, dass du in deinem Glauben an die Reinheit und Jungfräulichkeit Mariens zuletzt nicht irre geworden bist! Hab Dank hl. Joseph, dass du vor allem nicht in die Schule des grausamen Herodes gegangen bist, wie es heute so viele charakterlose Männer tun, die eine Frau, ob die eigene Gattin oder eine andere, wenn sie durch sie in andere Umstände gekommen ist, treulos im Stich lassen oder zur Abtreibung zwingen! Hab Dank, hl. Joseph dass du an die Existenz der Engel geglaubt und die Botschaft des dir erschienenen Engels ernst genommen und den empfangenen Auftrag sofort gehorsam ausgeführt hast! Hilf uns allen, hl. Joseph, vor allem den Männern, voran den Priestern und Theologen, die durch die modernistische Exegese in Gefahr sind, gerade auch das heutige Evangelium zu entmythologisieren, hilf uns allen zum rechten demütigen Glauben, wie du ihn uns vorgelebt hast! Denn auf den Glauben kommt es an! Ohne Glaube lebt man total am eigentlichen Festgeheimnis von Weihnachten vorbei.
Wir stehen hier mitten in der Problematik unserer Zeit, die im wirklichen Glauben an die Menschwerdung Gottes vielfach versagt haben und nicht mehr bereit ist, wie Maria und Joseph sich in Demut dem offenbarenden Wort Gottes gegenüber zu beugen und zu Gottes Geheimnissen dort und gerade dort gläubig Ja zu sagen, wo man nichts mehr mit seinem kleinen Verstand begreift und versteht. Jene sind heute besonders zu bedauern, die in falsch verstandener Bibelkritik und Entmythologisierungssucht durchstoßen wollen zum historischen Kern von Weihnachten und dabei meinen, Schicht um Schicht vom Weihnachtsbericht der Evangelien als mytnologischer Dichtung, ablösen zu müssen und dabei dann nur noch das als historisch wahr gelten lassen, was sie rational einsehen und begreifen und für möglich halten.