3. Adventsonntag im Jahreskreis A

gehalten in St. M. Loreto am 11. Dezember 1983

 

Der Adventprediger Johannes d. T. ist diesmal nicht mehr in den Jordansauen, wohin in einer staunenswerten Volksbewegung die Menschen pilgerten und dort zur Umkehr aufgerüttelt wurden durch des Täufers klare, zu Herzen gehenden Worte. Heute ist er im Kerker, in der Bergfestung Machärus am Ostufer des Toten Meeres. Warum? Weil er es gewagt hatte, einem königlichen Lüstling ins Gewissen zu reden und die Wahrheit zu sagen: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zur Frau zu nehmen!“ (Lk 6,18)

Die Wahrheit hören die allermeisten Menschen nicht gern, vor allem nicht die Hochgestellten. Wenn man ihnen die Wahrheit sagt, macht man sich unbeliebt; sie wollen lieber umschmeichelt werden. Und doch wäre es Aufgabe all derer, die berufen sind, gerade auch den Hochgestellten die Wahrheit zu sagen, denn mit schmeichelnden Speichelleckern ist weder den Regierenden noch dem von ihnen regierten Volk gedient. Auf religiösem und sittlichem Gebiet die Wahrheit sagen und sie offen bekennen, auch dort, wo es unangenehm ist, auch dort, wo es unbeliebt macht, ob gelegen oder ungelegen, ist nicht leicht Um mutiger Verkünder der Wahrheit sein zu können, vor groß und klein, vor Freund und Feind, dazu muss man zuerst selber gelernt haben, in Demut die Wahrheit zu ertragen und demgemäss zu leben. Johannes war ein solcher. Kardinal Stepinac von Zagreb, Kardinal Mindszenty von Budapest, Kardinal Wyszinsky von Warschau waren solche Künder der Wahrheit nach der Art Johannes des Täufers. Und so manche Priester und mutige Laien hinter dem Eisernen Vorhang könnte und müsste man hier auch nennen aus der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart. Der Palottinerpater Reinisch, der Tiroler Pfarrer Neururer, der Kleinbauer und Mesner Franz Jägerstätter waren in unseren Landen solche Künder der Wahrheit ohne Menschenfurcht und Feigheit. Und wir denken heute auch an die vielen unbekannten Priester und gläubigen Laien hinter dem Eisernen Vorhang, die wie Johannes d. T. im Kerker schmachteten, nur weil sie es gewagt haben, die ewigen Wahrheiten zu verkünden, auch in einem gottlosen, kommunistischen Staat.

Kerkerhaft, über einen Unschuldigen verhängt, ist hart, zermürbt auf die Dauer und macht schwermütig. Besonders wenn im freien Westen viel von der Verteidigung der Menschenrechte geredet, aber nichts getan wird, um jenen zu helfen, deren Menschenrechte und Menschenwürde unter der Knute des gottlosen Kommunismus mit Füßen getreten werden.

Hat etwa auch Johannes der Täufer unter schwermütiger, depressiver Stimmung während seiner Kerkerhaft gelitten und aus dieser depressiven Stimmung heraus an Christus und dessen messianischer Würde und Sendung zu zweifeln begonnen, dass er ein paar treue Jünger, die heimlich im Kerker Kontakt mit ihm aufzunehmen gewagt hatten, zu Jesus sandte mit der Frage: „Bist du es, der da kommen soll, oder müssen wir erst noch auf einen anderen warten?“

Wahrscheinlich hat Johannes nicht aus eigenen inneren Zweifeln heraus für sich selbst diese Frage an Jesus stellen lassen, sondern für die ihm treu gebliebenen Jünger, die er endlich dazu bringen wollte, nicht mehr ihm anzuhängen, sondern Christus, dem Messias und einzigen wahren Heilbringer und Heiland.

Aber sehen wir uns da, bevor wir die Antwort Jesu auf die an ihn gerichtete Frage überdenken, zunächst die Frage selber näher an: „Bist du es, der da kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“

„Der da kommen soll“, das war ein sehr bekannter Ausdruck für den von den Propheten angekündigten, verheißenen Messias. Es ist so bezeichnend, dass die Volksscharen später Jesus Christus bei seinem feierlichen Einzug in Jerusalem am Palmsonntag zujubelten mit den Worten: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Das hieß doch so viel, als wenn die Volksscharen gerufen hätten: „Gepriesen seist du, der du wahrhaftig der verheißene Messias bist!“

Auch wir sollten es unserem Herrn Jesus Christus dankbar froh immer wieder zurufen, nicht bloß beim Benedictus der hl. Messe, sondern überall dort, wo es gilt, sich ohne Menschenfurcht und Feigheit zu Christus und seine göttliche Messiaswürde zu bekennen: „Benedictus, qui venit in nomine Domini... Gepriesen bist du, Herr, der du gekommen bist im Namen Deines himmlischen Vaters, gepriesen seist du, Herr, der du in der Wandlung der hl. Messe immer wieder wahrhaftig und wirklich mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit auf den Altar herniederkommst, gepriesen seist du, Herr, der du einmal am Ende der Zeiten wiederkommen wirst zu richten die Lebenden und Toten!“

Wie aber hat damals Jesus Christus auf die Frage der Johannesjünger, ob Er es sei der da kommen soll, geantwortet? Hat Er etwa geradeheraus gesagt: Ja, ich bin es, ich bin der verheißene Messias, ihr braucht nicht erst noch auf einen anderen zu warten. Nein, das tat Jesus damals nicht. Man hätte Ihm das als prahlerische Anmaßung auslegen können. Er wies vielmehr auf die Taten, die Er bereits seit Beginn seines öffentlichen Lehrens und Wirkens vollbracht hatte, hin: „Geht, und berichtet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote werden auferweckt, und den Armen wird das Evangelium, die frohe Botschaft, verkündet!“ Eine doppelte Antwort auf die Frage der Johannesjünger hat hier Jesus gegeben: 1. wies Er auf seine Wunder hin, die Er an Blinden, an Gelähmten, an Aussätzigen ja sogar an bereits Gestorbenen, wie beispielsweise am toten Jüngling von Naim schon gewirkt hatte. 2. wies Jesus zugleich auf die Erfüllung der prophetischen Ankündigungen früherer Zeiten hin, denn diese Wunder der Erbarmungen, auf die sich Jesus als auf ebenso viele Beweise für seine messianische Würde und Sendung berief, entsprachen ja ganz und gar den Zeichen, die die Propheten als Erkennungsmale des verheißenen Messias vorausgesagt hatten. So sagte Jesus den zwei Johannesjüngern vor dem versammelten Volk: Seht selber, ob nicht die Wunder, die in solcher Art und Zahl kein sterblicher Mensch wirken kann, mich als den verheißenen, gottgesandten Messias ausweisen?! Vergleicht selber das, was die Propheten vom Messias vorhergesagt haben, mit dem, was ihr Mich tun seht! Und dann entscheidet selber, ob Ich der Messias bin oder nicht!

Der Beweis war wahrlich überzeugend und zwingend. Und Christus konnte daraufhin mit vollem Recht den Glauben der Johannesjünger und den Glauben des Volkes an seine messianische Würde und Sendung fordern und verlangen. Er wusste aber, dass die schwankende, schwerfällige Volksmenge mit den ihr von den Schriftgelehrten und Pharisäern eingeimpften Vorurteilen und Voreingenommenheiten gegen Ihn nicht brechen werde und die klare Entscheidung für Ihn letztlich doch nicht wagen werde. Und Jesus wusste auch um das Anstoß- und Ärgerniserregende seiner menschlichen Erscheinung — ganz Mensch dem Äußeren nach wie irgendein anderer Mensch!!! — und Jesus wusste auch, dass Er in seinem ganzen Auftreten gar nicht der Volkserwartung entsprach, das sich einen kraftvollen, mächtigen, in königlicher‚ majestätischer Würde auftretenden politischen Befreier aus aller Unterdrückung und irdischen Not unter dem verheißenen Messias vorstellte. Darum schloss Er sein klares Selbstzeugnis für seine Messiaswürde mit den mahnenden Worten: „Selig, wer sich an Mir nicht ärgert!“

Die meisten Menschen damals fanden in Jesus nicht das, was sie sich in ihrer völlig falschen Messiaserwartung vorgestellt hatten. Was war denn auch schon dieser Jesus? Bei aller Wundermacht, die Er da und dort zeigte, bei aller Weisheit und Wortgewalt, die Er in seinen Reden da und dort aufblitzen ließ, erschien Er doch wieder so schlicht, so arm und bedürfnislos, so gar nicht als Triumphator und Sieger über irdische Mächte und Gewalten! Und wenn Er auch mit ergreifenden Worten die Armen und Unterdrückten zu trösten verstand, wo blieb aber der Befreier Israels, wo der Rächer für alle Übergriffe der römischen Besatzungsmacht? Statt dessen beschimpfte dieser Jesus die Führer des Volkes, die Schriftgelehrten und Pharisäer, und bedrohte den Tempel und die Stadt Jerusalem mit sinnlosen Prophezeiungen. Und zuletzt sprach Er gar davon, dass Er, der angebliche Messias, leiden und sterben müsse. Der Messias müsse sterben? Welch ein Widerspruch! Das war der Gipfel des Ärgerniserregenden an diesem Jesus!

„Selig, wer sich an Mir nicht ärgert!“ Am erschienenen Messias ärgerte sich damals Israel. Die Vorurteile, die Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit, die allzu irdische Gesinnung und Einstellung verhüllten dem Volk Israel damals die Augen, so dass es die wahre Wirklichkeit, die mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes und mit dem Anbruch des Reiches Gottes in seiner Erscheinung gekommen war, nicht sah. Israel war darum auch blind für die Beweiskraft und Zeichenhaftigkeit der Wunder Jesu, und schließlich auch taub für die Frohbotschaft Jesu und verärgert über die demütig - bescheidene Erscheinung Jesu und zuletzt total verwirrt durch den Kreuzestod Jesu, der den Juden erst recht zum Ärgernis wurde. Nur wenige aus dem Volk kamen wirklich zum Glauben an Jesus und hielten daran fest oder fanden nach der Auferstehung Jesu zum Glauben an Ihn und seine Würde und Sendung wieder zurück, wie etwa die Emmausjünger, die zuerst über den schmählichen Tod Jesu bitter enttäuscht klagten: „Wir hatten gehofft und geglaubt, dass Er der sei, der Israel erlösen werde.. .“, und dann erst, als ihnen der Auferstandene Schritt für Schritt aus den Propheten nachgewiesen hatte, dass der Messias leiden müsse, um so in seine Herrlichkeit einzugehen, fanden sie wieder zum Glauben zurück.

„Selig wer sich an Mir nicht ärgert!“ Gilt das heute nicht auch für uns? Nicht an Christus und seiner Kirche mit all dem Menschlichen und allzu Menschlichen an ihnen Ärgernis nehmen! Hier heißt es einfach glauben und sich nicht irre machen lassen. Wir haben nicht erst noch auf einen anderen Heilbringer und Erlöser zu warten. Jesus Christus, Er allein ist der Messias, der Heiland und Erlöser für uns alle! Nur dann, wenn wir wirklich an Christus und seine messianische Würde und Sendung glauben, sind wir auf dem rechten Weg und sind dann auch fähig, auch anderen den Weg zu bereiten hin zu Christus! Unser Glaube an Christus aber muss fest und stark und lebendig sein. Lebendig aber ist unser Glaube an Christus nur dann, wenn wir in der klaren Haltung Johannes des Täufers den Glauben auch im Alltag zu leben versuchen. Was hat Jesus am Täufer Johannes gerühmt? Dass er kein Schilfrohr war, das im Winde schwankt! Dass er kein weichlicher Lüstling war! Dass er vielmehr gradlinig und aufrecht, mutig und tapfer, ohne jede Menschenfurcht und Feigheit seiner Sendung entsprach.

Nur wenn wir — gerade jetzt wieder in der Adventzeit— unseren Glauben so leben, sind auch wir fähig, dem Herrn die Wege zu bereiten. Und es gilt dann das Schlusswort Jesu im heutigen SoEv: „Amen, Ich sage euch: Unter allen Menschen hat es keinen Größeren gegeben als Johannes d. T; doch der Kleinste im Himmelreich, der wahrhaft glaubt und aus dem Glauben an mich lebt, ist größer als er!“ Amen.