Maria – Mutter der Kirche
14.7.1991
G. Sšll, der Dogmatik Professor an der Salesianer-Hochschule
in Benediktbeuren, erzŠhlt in einem neu erschienenen, kleinen Buch folgendes Erlebnis:
ãEs war vor genau 50 Jahren, bald nach Beginn des Krieges
gegen Russland. Ein deutscher Sto§trupp suchte unter FŸhrung eines jungen
Leutnants in einem verlassenen Dorf nach versteckten Waffen von Partisanen.
– Im armseligen Wohnzimmer eines halbzerstšrten Bauernhauses trafen die
Soldaten auf ein altes Ehepaar, das verŠngstigt zusah, wie die Soldaten mit den
Gewehrkolben die WŠnde und den Boden abklopften.
Plštzlich ergab sich ein fŸr HohlrŠume typischer Ton, die
Miene des Leutnants hellte sich erwartungsvoll auf. Unter einer lumpigen Strohmatte
kam eine kleine FalltŸr zum Vorschein. Sie wurde hastig aufgerissen. Drinnen
lag ein in Tuchfetzen eingehŸlltes Paket. Die zwei Alten machen ein hilflos erschrecktes
Gesicht. ãAufmachen!Ò befahl der Offizier. Noch ehe es geschehen war, fielen
die zwei vor dem Offizier auf die Knie und bettelten ihn an: ãPan (Herr), bitte
nicht nehmen weg!Ò Der Leutnant wehrte sie Šrgerlich ab und griff nach dem
verhŸllten Gegenstand. – Was war es? Eine Ikone der Gottesmutter von
Kasan, die Kasanskaja, wie sie ehrfŸrchtig genannt wird. – EnttŠuscht
lie§ der Offizier das Bild auf den Boden fallen. Die zwei Alten hoben es
ehrfŸrchtig auf und drŸckten es an sich. Der Leutnant Ÿberlegte einen
Augenblick. Dann stie§ er mit einem unwirschen Ton die Fetzen der Šrmlichen
Verpackung mit seinen Stiefeln weg und kommandierte den Sto§trupp aus der Stube.
Die beiden Bauersleute knieten immer noch am Boden, glŸcklich, mit TrŠnen in
den Augen. Sie waren jetzt zu dritt, nicht mehr ganz allein. Die Kasanskaja
teilte mit ihnen die Stube, das Leid des Krieges, die Angst vor dem Kommenden.
Ein kleiner Zwischenfall am Rande des Kriegsgeschehens: Zwei
glŠubigen Menschen hatte ein Abschied gedroht von etwas oder richtiger von
jemandem, den sie liebgewonnen hatten und en sie Ÿber alles Grauen hinweg fŸr
sich retten wollten: ein Marienbild, nein, mehr als ein Bild, die tršstende NŠhe
der Mutter der Christenheit, der Helferin in mannigfacher Not – Mutter
der Kirche. Maria ist Christi Mutter – ist unsere Mutter – ist
Mutter der Kirche!
Zum Abschluss der dritten Sitzungsperiode des II. Vat.
Konzils, am 21. November 1964 hat Papst Paul VI. der jungfrŠulichen
Gottesmutter Maria in feierlicher Form diesen Ehrentitel ãMutter der KircheÒ
zuerkannt.
Manche haben damals nach der Ansprache des Papstes, in der
er feierlich Maria als ãMutter der KircheÒ proklamiert hatte, scharfe Kritik
geŸbt. Und es waren damals nicht etwa nur junge Hei§sporne im Klerus, sondern
erfahrene Konzilstheologen und sogar KonzilsvŠter wie der verstorbene
Kardinalbischof Hermann Volk von Mainz. Sie fŸrchteten, der Titel ãMutter der
KircheÒ fŸr Maria sei neu und kšnne zu MissverstŠndnissen Anlass geben und das Werk
der Wiedervereinigung der gespaltenen Christenheit noch weiter erschweren. Der Papst
selbst aber sagte damals mit Recht, dass dieser Ehrentitel fŸr Maria, der aus
vielen Teilen der katholischen Welt von ihm erbeten worden sei, seit langem
schon der christlichen Fršmmigkeit wohlvertraut sei.
So hat man Maria im
Mittelalter mit Vorliebe auch dargestellt: als die Schutzmantelmadonna, die
alle ihre geistlichen Kinder, die gro§en wie die kleinen, die hohen wie die
niedrigen, den Papst und die Bischšfe, den Kaiser, die Kšnige und Herzoge, die
Knechte und MŠgde, die Reichen und die Armen, die Gesunden und die Kranken,
unter ihren Schutzmantel nimmt.
So hat ja die
Christenheit im Morgenland und dann auch im Abendland schon seit dem 3.
Jahrhundert zu Maria gebetet, wie auf einem aus dieser Zeit stammenden, vor
vier Jahrzehnten im Šgyptischen WŸstensand gefundenen Papyrus zu lesen stand:
ãUnter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige GottesgebŠrerin...Ò
Denken wir uns nun
im Sinn des verlesenen Evangeliums ein wenig hinein in das Geschehen der
letzten Stunde Jesu auf Golgotha: Alles hatte der Herr bereits an sich
geschehen lassen. Bedeckt von Wunden hing er im letzten Todeskampf am Kreuz,
einsam und verlassen und arm. Alles hat man ihm genommen. Und alles, was Er
noch besessen hat, hat Er bereits verschenkt. Nur eins war Ihm zuletzt noch
verblieben: die Mutter zu FŸ§en des Kreuzes. Auch Ÿber sie wollte er nun
gleichsam testamentarisch noch verfŸgen. So berichtet uns die Hl. Schrift: ãDa
Jesus seine Mutter und den JŸnger, den Er lieb hatte, dastehen sah, sprach Er
zu seiner Mutter: ãFrau, siehe deinen Sohn!Ò Hierauf sprach Er zum JŸnger:
ãSiehe, deine Mutter!Ò
Was mag damals
durch die Seele Jesu gegangen sein, als Er diese Worte sprach und mit seinen
blutŸberronnenen Augen seine Mutter anblickte? Und was mag durch die Seele
Mariens gegangen sein, als sie diese Worte aus dem Munde ihres sterbenden
Sohnes vernahm?
Jesus dachte wohl
nochmals in tiefer Dankbarkeit an all die Mutterliebe, die ihm zeitlebens im
Herzen Mariens entgegenschlug, auch und vor allem jetzt in dieser letzten
Stunde, von der das II. Vat. In der Dogm. Konst. Ÿber die Kirche so tief sagt:
ãIn Vereinigung mit ihrem Sohn hielt Maria in Treue bei Kreuze aus und stand
da, nicht ohne gšttliche Absicht, sie litt mit ihrem Eingeborenen schmerzvoll
mit und verband sich mit seinem Opfer in mŸtterlicher Gesinnung, indem sie der Hinopferung
des Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte.Ò
Mit-helfen und mit-opfern
beim Erlšsungsopfer ihres Sohnes, darin liegt Mariens unschŠtzbarer Beitrag zu
unserer Erlšsung.
Christus aber war
seiner Mutter fŸr all ihre Liebe und Treue zu tiefst dankbar. Er ist ja nicht
blo§ Gott, er ist auch Mensch. Und als Mensch hat ihm das mŸtterliche Mitleiden
Mariens unsagbar wohlgetan. Er mšchte ihr all das vergelten, und er wird es ihr
auch vergelten, ganz gewiss: Eine Krone hŠlt er fŸr sie bereit, schšner und
strahlender als alle Kronen dieser Erde, drŸben, in seinem Reiche, wo er sie
kršnen wird zur Kšnigin aller Heiligen. – Aber hier auf Erden kann er
jetzt nichts mehr seiner Mutter geben, hier auf Erden, wo er hilflos am Kreuze
hŠngt und stirbt, kann er nichts mehr fŸr seine Mutter tun. Es tut ihm im
Herzen weh, dass er seine Mutter allein zurŸcklassen muss. Da vertraut er sie
seinem LiebesjŸnger Johannes in treue Obhut an. Darum spricht er zu Maria:
ãFrau, siehe da deinen Sohn!Ò Und zu Johannes: ãSiehe da deine Mutter!Ò
1. Der
erste Sinn dieser Worte des sterbenden Herrn ist sicher der, dass er seiner Mutter
sagen wollte: ãLiebe Mutter, in wenigen Augenblicken sterbe ich, bald habe ich
ausgelitten, ich kann nun hier auf Erden nicht mehr fŸr dich sorgen. Johannes
soll es an meiner Stelle tun, Johannes, mein LiebesjŸnger, der mich am besten
verstanden hat und der am tiefsten eingedrungen ist in die Geheimnisse meines
Herzens und mir als einziger von allen JŸngern auch in dieser Stunde treu
geblieben ist. Er soll an meiner Statt dein Sohn sein und fortan fŸr dich
sorgen!Ò
Das war der erste,
rein natŸrliche Sinn dieses Jesuswortes am Kreuze ãSiehe diene Mutter!Ò Die
Liebe und Sorge des besten Sohnes fŸr die beste Mutter spricht daraus.
2. Aber
diese Worte des Herrn haben noch tieferen Sinn. Der Herr denkt bei diesen
Worten viel weiter. Er macht ja sein Testament. Und als er zu Johannes gewandt
sprach: ãSiehe da deine Mutter!Ò, da hat er nicht blo§ an Johannes gedacht.
Dieser war nur unser aller Stellvertreter. Gegolten haben diese Worte Jesu:
ãSiehe da deine MutterÒ uns allen, die der Herr am Kreuze erlšst und durch die Taufe
in seine Kirche eingliedert. Die KirchenvŠter der christlichen FrŸhzeit und die
Theologen des Mittelalters sagen mit Recht: ãWir alle waren damals noch nicht
auf der Welt und konnten nicht zu F٤en des Kreuzes stehen. Da hat Christus
sein gro§mŸtiges Testament, in welchem Er uns allen seine Mutter vermachte, fŸr
uns alle dem Johannes ausgehŠndigt.
So ist Maria unter dem Kreuze tatsŠchlich die Mutter aller
Erlšsten, die Mutter aller GlŠubigen, die Mutter der Kirche geworden.
Und die Schmerzen, die Maria unter dem Kreuze erdulden
musste, waren gleichsam die Geburtswehen, unter denen sie uns alle als ihre
Kinder geistlicherweise geboren hat. Und wie die Schmerzen der Mutter bei der
Geburt des Kindes der Brunnquell sind, aus dem bei jeder guten Mutter die
unerschšpfliche Mutterliebe stršmt, so war es und ist es auch bei Maria unter
dem Kreuze: Die unsagbaren schmerzen der Schmerzensreichen sind der Quell all
ihrer Mutterliebe zu uns, zum gesamten Volk Gottes in der Kirche.
Den menschgewordenen Sohn Gottes Jesus Christus hat Maria in
Bethlehem in unversehrter JungfrŠulichkeit ohne Schmerzen geboren, uns aber,
ihre nachgeborenen Kinder, die BrŸder und Schwestern in Christus, hat Maria auf
Golgotha unter Schmerzen geboren. Und darum dŸrfen wir in frohen wie in
schweren Stunden zu ihr sagen: ãMaria, du meine Mutter und ich dein Kind!Ò
Hier liegen die Wurzeln katholischer Marienverehrung und
Marienliebe, die uns niemand rauben darf: Maria ist Christi Mutter und unsere
Mutter, sie ist die Mutter der Kirche. Und wir alle, die wir zur Kirche
gehšren, dŸrfen zu Maria eilen in aller Not und dŸrfen uns unter ihren
Schutzmantel stellen in den StŸrmen des Lebens und in den StŸrmen, die Ÿber die
Kirche in Zeiten der Krise immer wieder hereinbrechen. Wir dŸrfen uns an ihrem
strahlenden Vorbild aufrichten, wir dŸrfen sie um ihre FŸrbitte am Throne
Gottes anflehen, wir dŸrfen uns an ihrer Mutterhand zu Christus und durch Ihn
zum Vater fŸhren lassen, wir dŸrfen uns am Mutterherzen Mariens Trost holen und
dŸrfen es dem gefallenen Gretchen in Goethes Faust nachsprechen: ãAch neige, du
Schmerzensreiche, dein Antlitz gnŠdig unsrer Not!Ò
Wenn Goethe das gefallene Gretchen in seinem ãFaustÒ so
beten lŠsst vor dem Bild der Schmerzensmutter, dann darf es uns nicht wundern,
wenn noch viel zustŠndigere Grš§en, nŠmlich alle PŠpste unseres Jahrhunderts
und das II. Vat. Konzil uns dazu auffordern und uns die rechte, auf Christus
und seine Kirche ausgerichtete Marienverehrung so empfehlen.
BrŸder und Schwestern in Christus! Lassen wir uns nicht
irremachen in unserer Marienverehrung! Wenn behauptet wird, das II. Vat. Konzil
habe im Interesse der Wiedervereinigung der getrennten Christenheit nahegelegt,
wir Katholiken sollten Maria weniger verehren, damit die getrennten BrŸder
nicht Ansto§ nehmen, so ist das nicht wahr. Das Konzil sagt wohl, man solle
sich in der Marienverehrung vor €u§erlichkeiten und †bertreibungen hŸten, vor
unfruchtbaren GefŸhlen und Affekten, vor LeichtglŠubigkeit und WundersŸchtigkeit,
es betont aber dabei, dass Maria, die Mutter Christi und der Kirche ein Recht
darauf hat, das wir sie verehren, lieben und anrufen, unserer Marienliebe und Marienverehrung
aber soll nicht Selbstzweck sein. Maria mšchte uns als richtige Mutter nicht an
sich ketten, sondern weiterfŸhren zu Christus. Sie ruft uns das zu, was sie den
JŸngern bei der Hochzeit zu Kana geraten hat: ãAlles, was Er euch sagt, das
tut!Ò Sie selbst hat sich daran gehalten und ist dabei, wie Papst Paul VI. (in
der genannten gro§en Rede am Schluss der dritten Konzilssession) erklŠrte, ãdas
vollkommene Vorbild der christusnachfolge geworden im Glauben, im willigen
Gehorsam gegenŸber allen Antrieben der himmlischen Gnade, im Leben nach den
Geboten Christi und den Eingebungen der christlichen LiebeÒ. Bitten wir jetzt
Maria, die Mutter Christi und die Mutter der Kirche, mit jenen Worten, mit
denen sie der hl. Vater damals am 21. Nov. 1964 angerufen hat: