ãGott erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht Ÿber
alle, die Ihn fŸrchtenÒ (Lk 1,50)
Im Rahmen der
Maiandacht-Predigten Ÿber das ãMagnificatÒ der seligsten Jungfrau Maria soll
ich heute abends Ÿber jenen Vers aus dem Magnificat predigen, der da lautet: ãGott
erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht Ÿber alle, die Ihn fŸrchten.Ò
Mir ist leid,
dass dieser Vers in der neuen EinheitsŸbersetzung der Bibel etwas schwach
klingt. Viel schšner und vielsagender wŠre die wšrtliche †bersetzung aus dem
griechischen Urtext des Lk-Ev., die auch in er lateinischen †bersetzung
beibehalten wurde: ãEt misericordia ejus a progenie in progenies timentibus
Eum.Ò (Gottes Barmherzigkeit (wirkt sich aus) von Geschlecht zu Geschlecht an
allen, die Ihn fŸrchten).
Davon war Maria
durch und durch Ÿberzeugt:
Gottes
Barmherzigkeit hat sich an allen Geschlechtern der bisherigen Menschheit, im
Besonderen an allen Geschlechtern des auserwŠhlten Volkes, von einem
Patriarchen zum andern ausgewirkt, zuletzt vor allem an Maria selber, der Dichterin
und SŠngerin des Magnificat, denn Gott hat sie in Barmherzigkeit erwŠhlt und
berufen zu hšchster WŸrde in seinem wunderbaren Heilsplan, Er hat auf die
Niedrigkeit seiner kleinen Magd herabgeschaut und unsagbar Gro§es an ihr getan,
da Er sie erwŠhlte zur jungfrŠulichen Mutter seines eingeborenen,
wesensgleichen Sohnes.
Es ist etwas
geheimnisvoll RŠtselhaftes um die Barmherzigkeit Gottes dem kleinen Menschen
gegenŸber. Es ist erst recht etwas geheimnisvoll RŠtselhaftes um die Barmherzigkeit
Gottes dem erbŠrmlichen, sŸndigen Menschen gegenŸber, der es gewagt hat, sich
frech gegen Gott aufzulehnen in der SŸnde!
Gott, der
unendlich gro§e, unsagbar erhabene, sŸndenlos Heilige, lŠsst seine Grš§e
gewisserma§en aufgehen im Erbarmen und stellt seine Allmacht am liebsten in den
Dienst seiner Barmherzigkeit. Er neigt sich herab zur Niedrigkeit menschlicher
not und hat ein Herz dem miserablen Geschšpf Mensch gegenŸber; das steckt ja im
lateinischen Wort fŸr Barmherzigkeit: ãmiseri-cordiaÒ.
Wie oft wird in
der Hl. Schrift des AT, vor allem in den Psalmen die Barmherzigkeit Gottes
gelobt und gepriesen. Ich erwŠhne von den Psalmen nur den Psalm 136, wo in
jedem Psalm- Vers – insgesamt 41mal – refrainartig die BegrŸndung
aufklingt, warum Gott von uns Menschen gelobt und gepriesen werden soll: ã
...quoniam in aeternum misericordia ejusÒ (denn seine Barmherzigkeit wŠhrt
ewig).
Maria hat das in
ihrem Magnificat ganz Šhnlich formuliert in dem Vers: ãet misericordia ejus a
progenie in progenies timentibus EumÒ (Gott erbarmt sich von Geschlecht zu
Geschlecht Ÿber alle, die Ihn fŸrchten).
Was diese Aussage
Mariens in ihrem Magnificat Ÿber Gottes Barmherzigkeit betrifft, das nŠmlich
Gott von Geschlecht zu Geschlecht all denen seine Barmherzigkeit erweist, die
Ihn fŸrchten, so hat hier Maria gewisserma§en nur zusammengefasst, was darŸber
im AT angekŸndigt worden war, und sie hat gleichzeitig das vorausgenommen, was
ihr gšttlicher Sohn im NT in so eindringlicher Sprache dann verkŸndet und
verwirklicht hat.
Denken wir nur
daran, wie die schšnsten Gleichnisse Jesu die Barmherzigkeit Gottes zum Thema
haben, etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samaritan oder das Gleichnis vom
verlorenen Sohn, das man mit vollem Recht auch das Gleichnis vom barmherzigen
Vater-Gott nennen kšnnte, wo doch in diesem Gleichnis der Vater nach dem
verlorenen Sohn sehnsuchtsvoll Ausschau hŠlt, auf ihn wartet, ihn dann, als er
endlich heimgefunden hatte, liebevoll nachsichtig und barmherzig in die Arme
schlie§t und den wieder in seine vollen Sohnesrechte einsetzt, der wegen seiner
miserablen Undankbarkeit und Schlechtigkeit und Verkommenheit hatte erklŠren
mŸssen: ãVater, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu hei§en, denn ich habe
gegen dich und den Himmel furchtbar gesŸndigt...Ò
Aus unendlicher
Barmherzigkeit hat Gott Vater seinen Sohn dahingegeben im Leiden und Sterben am
Kreuz, auf dass er uns entsŸhne und erlšse. Jesu SŸnderliebe bis in den Tod am
Kreuz aber ist Ausfluss der gšttlichen Barmherzigkeit. Ja, wir kšnnen sagen:
Jesus, der in Maria menschgewordene Sohn Gottes, ist insgesamt in seinem Wesen,
in seinem Lehren und Wirken, erst recht in seinem Leiden und Sterben die
Inkarnation der Barmherzigkeit Gottes, also die fleischgewordene, menschgewordene
gšttliche Barmherzigkeit.
Dazu kommt noch,
dass uns der Erlšser aus seinem durchbohrten Herzen das Sakrament der
Barmherzigkeit geschenkt hat, in welchem wir im kostbaren Blut Christi immer
wieder reingewaschen werden von aller SŸndenschuld.
†berdies hat er
uns vom Kreuz herab aus lauter Barmherzigkeit seine jungfrŠuliche Mutter als
ãMutter der BarmherzigkeitÒ testamentarisch vermacht.
Dieser Ehrentitel
ãMutter der BarmherzigkeitÒ fŸr Maria ist einer der tršstlichsten, schšnsten
und auch Šltesten Ehrentitel, die Maria von uns Menschen gegeben worden sind.
Im Leben des
heiligen Abtes Odo von Cluny, der 942 starb, wird u.a. von einem RŠuber
erzŠhlt, der sich bekehrt hatte und Mšnch im berŸhmten Reformkloster Cluny
geworden war. Vor seinem Tod erschien diesem bekehrten RŠuber eine Ÿberaus
schšne Frau, die ihn fragte, ob er sie kenne. Als er dies verneinte, sagte sie
zu ihm: ãIch bin die Mutter der Barmherzigkeit, die dir zur Bekehrung verholfen
hat. Dann kŸndigte sie ihm seinen nahe bevorstehenden seligen Heimgang an. Der
zum Mšnch gewordene einstige RŠuber hatte unmittelbar vor seinem Sterben noch
die Mšglichkeit, seinem Abt, dem hl. Odo von Cluny, von dieser ihm zuteil
gewordenen Marienerscheinung zu berichten. Seit dieser Zeit hat es sich der
heilige Abt Odo zur Gewohnheit gemacht, die seligste Jungfrau Maria immer als ãMutter
der BarmherzigkeitÒ anzurufen.
Vom Reformkloster
Cluny aus verbreitete sich dann in der ganzen abendlŠndischen Christenheit
dieser Ehrentitel fŸr Maria: ãMutter der BarmherzigkeitÒ. Wir finden ihn darum
auch in dem von Mšnch Hermann dem Lahmen auf der Insel Reichenau im Bodensee
verfassten Gebet des ãSalve ReginaÒ: ãSei gegrŸ§t, o Kšnigin, Mutter der
BarmherzigkeitÒ.
(Es
stellt sich hier die Frage: Wird Maria ãMutter der BarmherzigkeitÒ deshalb
genannt, weil sie selbst eine ungemein ãbarmherzige MutterÒ ist, oder wird sie
nur deshalb so genannt, weil sie Mutter Jesu Christi ist, der – wie wir
gehšrt haben – die Inkarnation der Barmherzigkeit Gottes ist.
Und die Antwort auf diese Frage lautet: Beides ist richtig:
Maria ist selbst Ÿberaus barmherzig gegenŸber all ihren Kindern, vor allem
gegenŸber den SŸndern, die in Gefahr sind, auf ewig verloren zu gehen. Und
Maria ist Mutter Christi, der wirklich die Verkšrperung der Barmherzigkeit
Gottes, die menschgewordene Barmherzigkeit Gottes ist.
Beim Propheten Jesaia (49,19) fragt der unendlich
barmherzige Gott: ãKann denn eine Frau ihr Kind vergessen, dass sie sich der
Frucht ihres Scho§es nicht mehr erbarmte? Und wenn sie es vergessen kšnnte, Ich
werde dich nie vergessen!Ò
Denken wir hier bei der trostvollen Wahrheit von der
Barmherzigkeit Gottes, auf die Maria im Magnificat ein Loblied gesungen hat,
zuletzt aber auch an das Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht, dem der Herr eine
Riesenschuld erlassen hatte, der sich aber seinem Mitknecht gegenŸber so
unbarmherzig und hartherzig benahm, so dass sich dann bei ihm die
Barmherzigkeit des Herrn in strafende, strenge Gerechtigkeit verwandelte. Jesus
gab darum am Schluss dieses Gleichnisses die ernste Mahnung: ãSeid barmherzig,
wie euer Vater im Himmel barmherzig ist!Ò
Eine der Seligpreisungen des Herrn in seiner Bergpredigt
lautet bekanntlich: ãSelig die Barmherzigen, sie werden Barmherzigkeit
erlangen!Ò)
Zuletzt darf ich
noch hinweisen auf die schšnste und wŠrmste unter den bisherigen Enzykliken des
gegenwŠrtigen Papstes Johannes Paul II., die mit den lateinischen Worten
beginnt: ãDives in misericordiaÒ (†berreich an BarmherzigkeitÒ), denn es ist
bisher noch keinem der vorausgehenden PŠpste in den Sinn gekommen, eine eigene
Enzyklika mit ausfŸhrlichen Darlegungen Ÿber die Barmherzigkeit Gottes zu
schreiben und in die Welt hinauszusenden.
Man hat die Frage
gestellt, wieso wohl Papst Johannes Paul II. auf diesen Gedanken gekommen ist,
diese Enzyklika Ÿber die Barmherzigkeit Gottes zu verfassen.
Manche haben
gemeint, der Papst sei dazu angeregt worden durch eine Ordensschwester, fŸr
deren Seligsprechung er noch als Kardinal-Erzbischof von Krakau den
Seligsprechungsprozess eingeleitet hat: Es ist die 33jŠhrig im Kloster Lagieniki bei Krakau 1938 verstorbene Sr. Faustina Kowalska: In das mystisch begnadete Leben diese Ordensfrau
und in die ihr zuteil gewordenen Offenbarungen muss damals Kardinal Wojtyla
tief eingedrungen sein. Diese Sr. Faustina empfing der Reihe nach immer
deutlicher ungemein tršstliche Offenbarungen Ÿber die Barmherzigkeit Gottes.
Was der Herr dieser Schwester Ÿber die Barmherzigkeit Gottes geoffenbart hat,
ist stellenweise so ergreifend, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Der
Herr sagte zu ihr u.a.: ãMeine Tochter, sprich zur ganzen Welt Ÿber meine
unergrŸndliche Barmherzigkeit... Ich wŸnsche, dass die Priester meine gro§e
Barmherzigkeit den sŸndigen Seelen verkŸnden: Ich kann auch den grš§ten SŸnder
nicht bestrafen, wenn er Mich bei Meiner Barmherzigkeit anruft, Ich verzeihe
ihm in meiner unendlichen, unerforschlichen Barmherzigkeit.Ò Vieles mŸsste man
hier noch aus den Offenbarungen, die der Heiland der Sr. Faustina gegenŸber
gemacht hat, erwŠhnen. Aber sie ist nicht die erste Frohbotin der
Barmherzigkeit Gottes; das war doch die seligste Jungfrau Maria in ihrem
Magnificat. Und darum nehme ich an, dass Papst Johannes Paul II. vor allem
durch die von ihm so sehr geliebte und verehrte ãMutter der BarmherzigkeitÒ zu
seiner Enzyklika ãDives in misericordiaÒ Ÿber die Barmherzigkeit Gottes
angeregt worden ist.
(Ich
mšchte zum Abschluss meiner †berlegungen zum Magnificat-Vers: ãGott erbarmt
sich von Geschlecht zu Geschlecht Ÿber alle, die Ihn fŸrchtenÒ einen besonders
schšnen Abschnitt aus dieser Enzyklika zitieren: Nachdem der Papst am
šsterlichen Geheimnis des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu die
Barmherzigkeit Gottes aufgezeigt hat, schreibt er wšrtlich: ãDer šsterliche
Christus ist die endgŸltige Inkarnation der Barmherzigkeit Gottes; er ist ihr
lebendiges, heilsgeschichtliches und zugleich endzeitliches Zeichen. In diesem
Sinn legt uns die Liturgie (der Osterzeit) den Psalm-Vers auf die Lippen: ãDie Erbarmungen
des Herrn will ich ewig besingen.Ò In diesen šsterlichen Worten der Kirche
klingen – in der FŸlle ihres prophetischen Inhalts – die Worte Mariens
nach, die sie bei der Begegnung mit Elisabeth, der Frau des Zacharias,
gesprochen hat: ãEr erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht:Ò Diese Worte
eršffnen schon beim Morgenrot der Menschwerdung eine neue Perspektive der Heilsgeschichte:
Nach der Auferstehung Christi wird diese Perspektive - geschichtlich und
endzeitlich gesehen - neu lebendig. Seither lšsen in immer grš§eren Dimensionen
jeweils neue Geschlechter der riesigen Menschheitsfamilie einander ab; und auch
im Volk Gottes folgen einander neue Geschlechter, die die Male des Kreuzes und
der Auferstehung an sich tragen, das Siegel des Ostergeheimnisses Christi, der
absoluten Offenbarung jenes Erbarmens, das Maria auf der Schwelle des Hauses
ihrer Verwandten gepriesen hat: ãEr erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht.Ò
Maria hat auf ganz besondere und au§ergewšhnliche Weise – wie sonst
niemand – das Erbarmen Gottes erfahren und ebenso auf au§erordentliche
Weise mit dem Opfer des Herzens ihre Teilnahme an der Offenbarung des
gšttlichen Erbarmens mšglich gemacht... Maria kennt am tiefsten das Geheimnis
der gšttlichen Barmherzigkeit. Sie kennt dabei auch den Preis, der fŸr dieses
gšttliche Erbarmen bezahlt werden musste und wei§, wie hoch er ist.Ò)
Ja, flŸchten wir
uns immer wieder unter den Mantel der ãMutter der BarmherzigkeitÒ, auf dass sie
uns arme SŸnder und alle, die uns lieb und teuer sind, bewahre vor dem
Missbrauch der Barmherzigkeit Gottes in vermessentlichem
Vertrauen in sie; Maria mšge uns schlie§lich auch bewahren vor dem unendlich
gerechten Gericht Gottes, denn – so schreibt der Apostel Jakobus 2,13
– ein ãerbarmungsloses Gericht wird Ÿber den ergehen, der kein Erbarmen
gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert Ÿber das Gericht.Ò Amen