ãEt misericordia ejus a progenie in progenies timentibus Eum.Ò

ãGott erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht Ÿber alle, die Ihn fŸrchten.Ò

12. Mai 1990, Maiandacht in der Kollegienkirche

 

†ber diesen Vers im Magnificat der seligsten Jungfrau soll ich heute abends zu Ihnen sprechen.

Mir ist leid, dass dieser Vers in der neuen EinheitsŸbersetzung des NT etwas schwach klingt. Viel schšner und vielsagender wŠre die wšrtliche †bersetzung aus dem griechischen Urtext des Lukas-Evangeliums 1,50: ãSeine Barmherzigkeit (existiert oder wirkt sich aus) von Geschlecht zu Geschlecht an allen, die Ihn fŸrchten.Ò

Gottes Barmherzigkeit hat sich an allen Geschlechtern der bisherigen Menschheit, an allen Geschlechtern des auserwŠhlten Volkes, von einem Patriarchen zum andern ausgewirkt, zuletzt vor allem in ergreifendster Weise in der ErwŠhlung und Berufung Mariens und ihres gšttlichen Sohnes, denn Gott hat in seiner Barmherzigkeit auf die Niedrigkeit seiner kleinen Magd herabgeschaut und unsagbar Gro§es an ihr getan, da er sie erwŠhlte zur Mutter seines eingeborenen, wesensgleichen Sohnes.

Es ist etwas geheimnisvoll RŠtselhaftes um die Barmherzigkeit Gottes dem erbŠrmlichen, sŸndigen Menschen gegenŸber, der es gewagt hat, sich frech gegen Gott aufzulehnen in der SŸnde!

Gott, der unendlich Gro§e, Erhabene, Heilige, lŠsst seine Grš§e gewisserma§en aufgehen im Erbarmen und stellt seine Allmacht am liebsten in den Dienst seiner Barmherzigkeit. Er neigt sich aus seiner unfassbaren Grš§e und Hšhe herab in die Niedrigkeit der menschlichen Not und hat ein Herz –misericordia – dem miserablen Geschšpf Mensch gegenŸber.

Das Erstaunlichste ist dabei, dass Gott sogar und erst recht seinen Feinden, seinen Beleidigern Barmherzigkeit erweist: ãSo wahr ich lebe, Spruch des Herrn, Ich habe kein Wohlgefallen am Tod des SŸnders, sondern daran, dass er sich von seinen Wegen bekehre und lebe.Ò (Ez 33,11). ãDas Mitleid des Menschen erstreckt sich nur auf seinen NŠchsten, das Erbarmen des Herrn aber auf alles Fleisch.Ò So hei§t es im Buch Jesus Sirach 18,12). Und wie oft ist in den Psalmen, die die Jungfrau von Nazareth tŠglich gebetet haben wird, von der Barmherzigkeit Gottes die Rede. Ich denke an die Psalmen 25, 31, 32, 35, 39, 56, 58, 61, 62, 68, 84, 85, 88, 93, 102, 107, 108, 116, 118, 129, 136, 143. Ich mšchte nur  den Psalm 136 ausdrŸcklich erwŠhnen, wo in jedem Vers insgesamt 41mal refrainartig die BegrŸndung aufklingt, warum wir Gott loben und preisen sollen. ã... quoniam in aeternum misericordia ejusÒ  (ãdenn seine Barmherzigkeit wŠhrt ewigÒ).

Maria hat das in ihrem Magnificat ganz Šhnlich formuliert!

Wenn moderne Exegeten erklŠrt haben, das Magnificat der Gottesmutter sei gar nicht sehr originell, sondern setze sich zusammen aus verschiedenen, alttestamentlichen schriftstellen, besonders aus Psalm Versen, so mag das – besonders was den Hinweis auf die Barmherzigkeit Gottes im Magnificat betrifft, wirklich stimmen. Man hat das Magnificat ein Mosaik genannt, dessen Steinchen Worte aus dem AT, vor allem aus den Psalmen sind. Ein solches Mosaik aber konnte nur zusammensetzen, wer die Steinchen im Gotteswort des AT genau kannte; ein solches Loblied auf die Grš§e und Barmherzigkeit Gottes konnte nur singen, wer von Jugend an in der AtmosphŠre der hl. Schrift des AB lebte. Diese Mosaiksteinchen aus dem AT sind im Magnificat Mariens so sehr zu einer Einheit verschmolzen, dass das Ganze in keiner Weise den Eindruck des Gesuchten und GekŸnstelten erweckt, im Gegenteil – das Magnificat ist – trotz der Herkunft der einzelnen Teile aus dem AT – ein Lied aus einem Guss, keine Nachahmung, sondern eine Neuschšpfung. Die Steinchen sind alt, die Idee ihrer Zusammensetzung aber ist originell und neu. Maria hat die Hl. Schrift seit den frŸhen Tagen ihrer Kindheit daheim durch die frommen Eltern und in der Synagoge beim Sabbat-Gottesdienst kennen-, verstehen- und lieben gelernt. Sie war daheim in der Gedankenwelt der hl. Schrift, ihre Seele betete und lebte in den Worten der hl. Schrift, wie sich gerade am Magnificat besonders klar zeigt.

Und was Mariens Aussagen in ihrem Magnificat Ÿber Gottes Barmherzigkeit betrifft, dass nŠmlich Gott von Geschlecht zu Geschlecht denen seine Barmherzigkeit erweist, die ihn fŸrchten, so hat die seligste Jungfrau im Magnificat gewisserma§en zusammengefasst, was darŸber im AB angekŸndigt worden war und das vorausgenommen, was ihr gšttlicher Sohn  in so eindringlicher Sprache dann verkŸndet und verwirklicht hat. Denken wir nur daran, wie die schšnsten Gleichnisse Jesu Gottes Barmherzigkeit zum Thema haben, etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samariter oder das Gleichnis vom verlorenen Sohn, da man mit vollem Recht auch das Gleichnis vom barmherzigen Vater-Gott nennen kšnnte, wo doch in diesem Gleichnis der Vater nach dem verlorenen Sohn sehnsuchtsvoll Ausschau hŠlt, auf ihn wartet, ihn dann, als er endlich heimgefunden hatte, liebevoll nachsichtig und barmherzig in die Arme schloss und den wieder in seine vollen Sohnesrechte einsetzte, der wegen seiner erbŠrmlichen Undankbarkeit und Schlechtigkeit hatte erklŠren mŸssen: ãVater, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu hei§en, den ich habe gegen dich und den Himmel so furchtbar gesŸndigt...Ò

Aus seiner unendlichen Barmherzigkeit heraus hat Gott Vater seinen Sohn dahingegeben, dass er uns durch seinen SŸhnetod am Kreuz entsŸhne und erlšse. Jesu SŸnderliebe bis in den Tod am Kreuz aber ist der Ausfluss der gšttlichen Barmherzigkeit. Wir kšnnen auch sagen: Jesus Christus, der in Maria menschgewordene Sohn Gottes ist insgesamt in seinem Wesen, in seinem Lehren und Wirken, erst recht in seinem Leiden und Sterben die Inkarnation der Barmherzigkeit Gottes, also die menschgewordene gšttliche Barmherzigkeit.

Dazu kommt noch, dass uns Christus vom Kreuz herab seine jungfrŠuliche Mutter als ãMutter der BarmherzigkeitÒ testamentarisch vermacht hat.