Der Tod Mariens als Heimgang eines vollendeten Menschen

Maiandacht 1948

 

Katholisches Volk!

Da ging anno dazumal, vor 2200 Jahren, der alte Bernard Shaw Nr. 1, damals nannte er sich Diogenes, am helllichten Tag mit einer brennenden Laterne Ÿber den von Leuten wurlenden Marktplatz von Korinth. Man lachte und spottete Ÿber den alten Narren. Man war ja Extratouren von ihm gewšhnt. Aber heute, was hat er nur wieder, was sucht er nur mit seiner Laterne? Und die Antwort, die das Volk erhielt, klang sonderbar, hšchst sonderbar: Ich suche einen Menschen ... Einen Menschen? Ja einen Menschen, einen rechten, richtigen, echten, ganzen Menschen!

Was der alte Diogenes wohl heute machen wŸrde?

Eine Zeit liegt hinter uns, die sich nicht genug tun konnte, vom †bermenschen zu reden und vom Erbadel des Menschen: Der †bermensch hat sich als Unmensch und als Untermensch entpuppt. Und vom Erbadel zeigte sich nicht die Spur, nur eine von LŸge, †berheblichkeit und Anma§ung ŸberdŸnkte erbliche Belastung, obwohl man so gerne Ÿber die Lehre von der ErbsŸnde gespottet hatte. Und nun ist das Menschenmorden des 2. Weltkrieges schon das 3. Jahr beendet. Sind die Menschen anders, besser geworden? Man redet so viel von Menschlichkeit, von Humanismus, von Demokratie zur ersten und zweiten Potenz. Aber es zeigt sich wieder die gleiche menschliche Armseligkeit, Haltlosigkeit und Gemeinheit. Zum mindesten menschelt es Ÿberall bis in die hšchsten Kreise hinauf ganz gewaltig und die Unmenschlichkeiten haben nicht aufgehšrt, die Charta der Menschenrechte war armselige Mache. Und nun zeigt die Bestie Mensch schon wieder die Krallen und das Morden beginnt wieder, kaum dass es aufgehšrt: Krieg in PalŠstina als Vorbereitung und VorŸbung fŸr den 3. Weltkrieg, von dem man die Frechheit hat, schon wieder ganz offen zu reden. Wahrlich, da mšchte man verzweifeln am Menschen! Wo gibt es denn Menschen, rechte, richtige, echte, ganze Menschen? Und die BeschŠmung wird umso grš§er, wenn wir ein offenes Wort Ÿber uns selber wagen: Ein offenes Wort Ÿber uns Christen! Seit fast 2000 Jahren besitzen wir die volle Wahrheit vom Menschen, wie er sein sollte, seit 2000 Jahren haben wir die gro§e Botschaft, die Frohbotschaft der Liebe, seit 2000 Jahren haben wir auch die Mittel, die Heilmittel, die Gnadenmittel zum Kurieren, zur Heilung, zur Gesundung der kranken Menschheit. Und doch, wie armselig sieht oft, leider allzu oft auch in den Reihen der Christen der Mensch aus: Auch da so viel Armseligkeit und so viel Versagen. Auch da so wenig Wahrhaftigkeit und so viel LŸge, so wenig Liebe und so viel Hass! Ist es nicht sonderbar, hšchst sonderbar, dass uns der Oberhirte zu einem Jahr der Liebe aufrufen musste und zum Eintritt in die BrŸderschaft der christlichen NŠchstenliebe, als ob des nicht selbstverstŠndlich wŠre, weil wir doch seit der Taufe dazu verpflichtet sind als BrŸder untereinander rund als JŸnger dessen, der gesagt hat: Einer ist euer Meister, ihr alle aber seid BrŸder ... Und daran soll die Welt erkennen, dass ihr meine JŸnger seid, wenn ihr einander liebt!

Wo gibt es denn eine Menschen, der so ist, wie er sein sollte, edel und rein, selbstlos und voller Liebe, Šu§erlich und innerlich sauber und schšn? Wir suchen mit der brennenden Laterne in der Hand wie Diogenes nach einem solchen Menschen, der so ganz Mensch ist, fehlerfrei, so wie Gott ihn gedacht und geplant hatte, wir suchen einen vollendeten Menschen. Und auf unserer Suche landen wir immer wieder vor unseren AltŠren, vor dem Sakrament der Liebe und dem, der hier unter der HŸlle der Brotsgestalt gegenwŠrtig ist: Jesus Christus! Ecce homo, seht welch ein Mensch! Er ist kein blo§er Mensch, er ist der Gottmensch, der menschgewordene Sohn Gottes. Aber er verweist uns auf einen Menschen, der nur Mensch ist, dies aber voll und ganz und in vollendeter Weise. Er verweist uns auf seine Mutter: ecce Mater vestra: Maria!

So endet unserer Suche nach dem vollendeten Menschen, nach dem Idealmenschen bei Maria. Vor ihrem Bild stellen wir unsere Laternen nieder, die brennenden Kerzen am Maialtar: Maria, der vollendete Mensch! Ist es Traumbild und schšne Dichtung der Mythologie, oder ist es Wirklichkeit? Und der Glaube versichert uns mit gšttlicher Gewissheit wider alle Erfahrung, die wir mit Menschen, ja mit uns selber immer wieder gemacht haben, dass es Wirklichkeit ist: Bei allem Versagen der Menschen von jeher, seit dem ersten SŸndenfall bis herauf in unser Zeitalter der Unmenschlichkeiten, unter all den vielen entarteten Menschen, den Gewaltmenschen, den Unterleibsmenschen, den verrohten und vertierten Menschen ... gibt es doch einen, der so ist, wie er sein sollte, der so ist, wie er von Ewigkeit her im Plane Gottes gedacht war: Gro§ und fein, edel und schšn, voll innerer und Šu§erer, leiblicher und seelischer Harmonie, Krone der Schšpfung und doch demŸtig anbetendes, dienendes Geschšpf vor dem einzigen Schšpfer und Herrn: das ist Maria! Sie aber, die demŸtige Magd, sagt uns, dass sie dieser vollendete, fehlerfreie, sŸndenlose Mensch nicht aus sich, aus eigener Kraft ist, sondern nur durch ihren Sohn, der gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren war. So geht vom Bilde Mariens Hoffnung und Zuversicht aus, dass wir alle am Vorbild dieses vollendeten Menschen durch die Erlšserkraft und Gnade ihres Sohnes gesunden kšnnen und auch noch zur Vollendung gelangen kšnnen.

Maria, der vollendete Mensch, schon im Augenblick ihrer unbefleckten EmpfŠngnis, im ersten Augenblick ihres Lebens, war sie so, wie der ewige Gott den Menschen geplant hatte: Makellos, fehlerfrei, frei von erblicher Belastung, frei von der ErbsŸnde, strahlend im Gnadenglanze der Gotteskindschaft.

Maria, der vollendete Mensch, sie wurde es noch mehr durch die gnadenhafte Berufung und AuserwŠhlung, Mutter des Sohnes Gottes und Bringerin des Heiles zu werden fŸr das ganze Menschengeschlecht.

Maria, der vollendete Mensch wŠhrend ihres ganzen Erdenlebens in der GnadenfŸlle ihrer SŸndenlosigkeit und ihres Tugendglanzes.

Maria, der vollendete Mensch schlie§lich erst recht in der Vollendung ihres Heimganges und Einganges in die Herrlichkeit, da dieser kšnigliche Mensch gekršnt wurde zur Kšnigin des Himmels und der Erde.

Maria als der vollendete Mensch in der Vollendung: Dormitio, assumptio, coronatio Mariae, Heimgang Mariens, Aufnahme Mariens in den Himmel auch dem Leibe nach und Kršnung Mariens, das ist das dreifache Thema, wie ich es an diesen drei Abenden behandeln soll, um euch in Maria den vollendeten Menschen in der Vollendung zu z eigen und um euch zu mahnen, wie jedes menschliche Ringen und Streben nach Vollendung vom Idealbild Mariens geleitet, in der Kraft und Gnade Christi hinfŸhren soll zum letzten Ziel: Per Mariam ad Jesum, per Jesum ad Patrem!

Mariens Heimgang als das Sterben eines vollendeten Menschen, das sei nun das Erste, was wir an Maria in der Vollendung bewundern wollen:

Niemand wei§ mit Sicherheit zu sagen, wann und wo Maria gestorben ist. Nur so viel ist gewiss, dass sie gestorben ist und dass sie der Herr nicht eher von dieser Erde abberief, als bis sie ihre Sendung an der jungen Kirche erfŸllt hatte. Nie bedurfte auch Christi Gemeinschaft, die Kirche, dringender Mariens mŸtterlicher Hilfe als in den ersten Jahren. Schon tobte die Verfolgung. Das erste MŠrtyrerblut war bereits geflossen. In diesen Tagen erster BedrŠngnis waren die Augen aller JŸnger Jesu auf Maria gerichtet. Ihr unerschŸtterlicher Glaube teilte sich der jungen Streiterschar Christi mit. Ihre Teilnahme an allen Erfolgen und Leiden der JŸnger wirkte begeisternd und stŠrkend auf die GlaubenskŠmpfer. Bei den Versammlungen, in denen die GlŠubigen in der Freude und Einfalt des Herzens das eucharistische Brot brachen (Apg 2,46), fehlte auch Maria nie. Wenn sie dann aus der Hand eines Apostels den hochheiligen Leib ihres Sohnes empfing, dem sie selbst das Leben gegeben, das er jetzt den Seinen zur Speise reichte, so war das jedes Mal ein Schauspiel fŸr die ganze Gemeinde. Welcher Glaube und welche Ergriffenheit spiegelten sich im Antlitz der seligsten Jungfrau! Wenn wir dann weiter vom Leben der ersten Christen lesen: die Menge der GlŠubigen war ein Herz und eine Seele (Apg 4,32), dann zweifeln wir nicht, dass es zu allererst Mariens Vorbild und Gegenwart war, die sie so eng zusammenhielt, so wie eben nur eine Mutter die Familie innerlich zusammenhalten kann. Es war ein geheimnisvolles Leuchten, das von ihrem Leben ausging, dem sich niemand entziehen konnte. UnwillkŸrlich fŸhlten alle etwas wie ein StŸck leiblicher Gegenwart Jesu selber in ihr weiterleben. Und so sehr sich auch der Kreis der GlŠubigen allmŠhlich erweiterte, sie blieb doch immer dessen geistige Mitte, Mutter und Herz der Familie der Kinder Gottes. – AllmŠhlich aber wurde es still um Maria. Die Apostel zogen in alle Welt hinaus, um den Všlkern die Kunde von Jesus zu bringen. Nun sah Maria auch immer klarer ihre Sendung an der jungen Kirche erfŸllt, und mit der Erkenntnis, dass ihre Aufgabe getan, lšsten sich auch die letzten Bande, die sie noch auf dieser Erde festhielten. Das Verlangen, bei ihm zu sein, den sie Ÿber alles liebte, brach jetzt mit unwiderstehlicher Gewalt in ihrer Seele durch, sodass ihr Leib immer weniger dem gro§en Drang ihres Herzens zu folgen vermochte. Die Sehnsucht nach dem Wiedersehen mit Jesus zehrte mehr und mehr ihre Lebenskraft auf. Und so schlug denn eines Tages ihre Todesstunde.

Auch Maria musste sterben, ja, aber nicht, weil sie dem Gesetz des Todes unterworfen war wie wir, die wir in Adam gefallen sind – durch einen Menschen kam die SŸnde in die Welt und durch die SŸnde der Tod – sondern Maria musste nur deshalb sterben, wie sie in allem ihrem gšttlichen Sohne gleichen wollte, der sich schuldlos und freiwillig unsertwegen dem Tode unterworfen hatte.

Und weil ihr Sterben nicht unter dem Fluch der SŸnde stand und keine Strafe fŸr die SŸnde war, war ihr Sterben auch ganz und gar ohne Angst und Unruhe. Was sollte auch die fŸrchten, die nie der leiseste Hauch einer SŸnde berŸhrt hatte, deren Leben nur ein einziges Fiat zum Willen Gottes gewesen war, ohne den geringsten Abstrich, ohne das leiseste Schwanken.

Ihren eigentlichen Tod, den schweren, schmerzvollen, hatte Maria schon frŸher erlitten, unter dem Kreuze zusammen mit ihrem Sohne.  HŠrteres konnte es fŸr sie nicht geben als jene Stunde, da die dumpfen HammerschlŠge der Kreuzigung der weiten Welt die Wandlung im blutigen Messopfer ankŸndigten und Maria dann in seltsam schmerzvoller Kommunion den blutigen Leichnam ihres Sohnes auf dem Scho§e hielt und sie die Danksagung und das Abendgebet betete zu jenem blutigen Karfreitag. Damals auf Golgotha war der Tod fŸr Maria wirklich Trennung vom Liebsten, das sie besa§.

Wenn sie sich nun aber zum Sterben niederlegte, so bedeutete der Tod fŸr sie nicht mehr Trennung, sondern nur Vereinigung mit dem Liebsten.

Und so starb Maria, wie die frommen Theologen des glŠubigeren MA sagen, nicht an einer Krankheit, sondern nur aus lauter sehnsuchtsvollem Verlangen, mit ihrem gšttlichen Sohn wieder vereinigt zu werden in nie mehr endendem Wiedersehen. Vielleicht lŠchelt mancher kalte Verstandesmensch Ÿber eine solche Behauptung, wenn wir sagen, dass Maria nicht an einer Krankheit, sondern aus lauter Liebe, aus lauter Sehnsucht, aus lauter Heimweh nach ihrem Sohne starb. Und doch kommen auch in unserer liebekalten Zeit solche FŠlle, oder sagen wir richtiger, Šhnliche FŠlle vor, die uns Mariens Sterben veranschaulichen kšnnen. So wurde mir Ÿber eine gute christliche Mutter folgendes erzŠhlt: Der einzige Sohn dieser Frau, die Witwe war, hatte vorne an der Front in treuer PflichterfŸllung gestŠrkt mit den Gnadenmitteln des hl. Glaubens den Heldentod gefunden. Er hatte seiner Mutter sein Leben lang nie Kummer und Sorge bereitet, sondern wirklich nur Freude. Das erste und einzige Leid, das er seiner Mutter bereiten musste, war sein Heldentod. Erst war die Mutter untršstlich darŸber. Dann aber fasste sie sich in christlichem Starkmut und in dem trostvollen Bewusstsein, das uns Christen der hl. Glaube gibt, dass es ja mit denen, die uns im Zeichen des Glaubens im Tode vorangegangen sind, ein Wiedersehen geben wird. Und in dieses Wiedersehen in der Ewigkeit dachte sich diese Mutter in brennender Sehnsucht nach ihrem Sohne so hinein, dass sie bald keinen anderen Gedanken mehr kannte als nur den, ihren Sohn mšglichst bald wiederzusehen in der Ewigkeit. Und die Sehnsucht nach diesem Wiedersehen wuchs von Woche zu Woche, von Tag zu Tag und wurde immer heftiger und stŠrker, bis schlie§lich das liebende Mutterherz diesem brennenden Verlangen nicht mehr gewachsen war. Eines Tages fand man die gute Frau mit frohen, ganz verklŠrten ZŸgen, wohl vom Schlage getroffen, tot im Bette auf.

Bei der besten Mutter, bei Maria, die sich wie keine Mutter nach dem besten Sohn, nach dem Heiland gesehnt hat, mag es ganz sicher in verstŠrktem Ma§e so gewesen sein: Nichts hielt sie ja mehr auf Erden zurŸck, seit ihr Ein und Alles, ihr gšttlicher Sohn in seiner Himmelfahrt diese Erde verlassen hatte. Sie, diese sŸndenlose, vollendete Mensch, fŸhlte sich auch nicht im Geringsten an das Irdische gebunden. Sie wusste, dass sie ihre Aufgabe und ihr Leben hier auf Erden vollendet hatte. Nichts hielt sie mehr zurŸck. Mit allen Fasern ihres Mutterherzens sehnte sie sich nach Jesus, Sie hatte Heimweh nach ihm, ganz gro§es Heimweh. Und dieses sehnsuchtsvolle Heimweh mag bei Maria den Tod herbeigefŸhrt haben. So wurde ihr Tod zum Heimgang: In osculo Dni, im Kuss des Herrn ging sie hinŸber aus dem Tale der TrŠnen ins ewige Vaterland. Die Apostel, die auf alten GemŠlden nach dem Bericht der Legende ihr Sterbelager umstanden, merkten Mariens HinŸbergang kaum. So leise wie das Kelchblatt einer Ÿberreifen Rose ins Gras sinkt, so war Mariens Sterben: In der Ekstase einer Liebe, die der sterbliche Leib nicht mehr zu ertragen vermochte, ist ihr irdisches Leben erloschen.

Ein vollendeter Mensch, der einzige wirklich vollendete Mensch hatte vollendet.

Und nun wir? Wir Christen? Wir wissen, dass wir armselige, schwache Menschen sind und keine vollendeten und es wohl auch nie werden und wenn wir 100 Jahre alt wŸrden.

Aber eins wollen wir uns von ihr, der Vermittlerin aller Gnaden, erbitten: Den guten Willen zum Ringen und KŠmpfen und AufwŠrtsstreben; und das andere noch dazu: Sie mšge uns vermitteln, dass wir gestŠrkt durch das Sakrament der Liebe im Stand der Gnade einmal sterben und so dennoch – trotz aller Versager im Erdenleben – zur Vollendung gelangen.

So beten wir: Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte fŸr uns arme SŸnder – denn das sind wir alle – bitte fŸr uns arme SŸnder jetzt und in der Stunde unseres Absterbens. Was die Pilger in Altštting vor dem Gnadenbild rufen, das rufen wir heute zum Bild des vollendeten Menschen, zu Unsrer Lieben Frau: O Maria hilf, o Maria hilf, o Maria hilf doch mir, ein armer SŸnder fleht zu dir, im Leben und im Sterben, lass uns nicht verderben, lass uns in keiner TodsŸndÔ sterben. Steh uns bei im letzten Streit, o Mutter der Barmherzigkeit! Amen.