Gedenkgottesdienst am 3. November 1987 in der Universitätskirche

Verehrte Kollegen und Studenten unserer Alma Mater Paridiana!

Als während der heurigen Festspiele hier in dieser Kirche die szenische Inszenierung des „Buches mit den sieben Siegeln“ völlig unpassend über die Bühne ging, tat mir und vielen anderen dies nicht bloß deshalb sehr leid, weil die auf solche Weise entsakralisierte Kirche gerade jenem Gnadenprivileg strahlender Reinheit Mariens geweiht ist, für das sich einst Professoren unserer Universität sogar durch ein mit dem eigenen Blut unterschriebenes Gelöbnis längst vor der Definierung eingesetzt haben. Mir persönlich tat die Entsakralisierung unserer Universitätskirche auch deshalb besonders weh, weil diese Kirche ja auch die Ruhestätte für Professoren der einstigen und der wiedererstandenen Universität ist.

Ich bin darum dem derzeitigen Dekan der Theol. Fakultät überaus dankbar, dass er im Rahmen des silbernen 25-Jahr-Jubiläums der wiedererstandenen Universität zu einem Gedenkgottesdienst für die in dieser Gruft beigesetzten Professoren und für all jene Kollegen aller vier Fakultäten, die in den letzten Wochen, Monaten und Jahren von Gott in die Ewigkeit abberufen worden sind, eingeladen hat.

Wenn wir nun an diesem Abend (des 3. Tages des Allerseelenmonats) zum Gebet und hl. Messopfer für unsere verstorbenen Kollegen versammelt sind, so handeln wir dabei konträr zu jenen, die für die verstorbenen Angehörigen, Freunde und Wohltäter nicht mehr beten, weil sie entweder überhaupt nicht mehr an das Fortleben nach dem Tod oder mindestens nicht mehr an eine nach dem Tod eintretende jenseitige Läuterung glauben, in der den Verstorbenen geholfen werden kann. Es ist ja leider Tatsache, dass heute die Existenz des Purgatoriums, jenes nach dem Tod über die im Gnadenstand Verstorbenen von Gott verhängten Läuterunszustandes in Frage gestellt oder offen geleugnet wird.

Da ist es vielleicht ganz aufschlussreich, einmal zu erfahren, was ein wirklich bedeutender Akademiker, Jurist und Laientheologe, über das, was wir mit einem etwas unguten Wort „Fegfeuer“ nennen, gedacht hat. Er starb zwar schon vor 450 Jahren, er ist aber, wie ihn ein bekannter Film charakterisiert hat, ein Mann „für jede Jahreszeit“. Es ist der hl. Thomas More, der große Humanist und Staatsmann, von dessen Schriften meist nur die „Utopia“ bekannt ist. Er schrieb aber auch eine ungemein aufschlussreiche Abhandlung über die Armen Seelen im Fegfeuer, die den englischen Titel „Supplication of Souls“ (Bittschrift der Armen Seelen) trägt. Thomas More schrieb diese Abhandlung als mutiger Verteidiger der Glaubenswahrheit vom Fegfeuer, bevor er in Wort und Tat und Blutzeugentod im Jahre 1535 zum ebenso mutigen Verteidiger der Unauflöslichkeit der sakramental geschlossenen und vollzogenen Ehe und zum heldenhaften Verteidiger des päpstlichen Primats wurde.

Wie kam Thomas More zum Abfassen seiner Abhandlung über das Fegfeuer? Ende 1528 war von dem sonst ganz unbedeutenden Autor Simon Fish ein 14seitiges Pamphlet publiziert worden unter dem Titel „A supplication fort he beggars“ („Eine Bittschrift für die Bettler“). In dieser rasch sehr weit verbreiteten Hetzschrift gab der Verfasser dem berüchtigten englischen König Heinrich VIII. den Rat, er solle alle Güter der Kirche und des Klerus konfiszieren und die Priester und Mönche zum Heiraten zwingen, dann würden mit einem Schlag alle Übel des englischen Königreichs, das Bettlerunwesen samt aller Ungerechtigkeit und Ausbeutung behoben werden.

Bei diesen aufgestellten Forderungen bildete die Lehre vom Fegfeuer insofern den springenden Punkt, als gerade die Zuwendung des Messopfers und der Gebete für die verstorbenen damals eine ganz wichtige Aufgabe der Geistlichen bildete.

Der Verfasser der genannten Hetzschrift argumentierte dabei nicht theologisch, sondern nur demagogisch gegen das Fegfeuer. Er schrieb: wenn man die Kirche ihres Besitzes beraubt und ihre dem angeblichen Heil der Armen Seelen dienenden Stiftungen auflöst, dann geschieht den Verstorbenen weder ein Unrecht, noch wird ihnen ein Schaden zugefügt, weil ja Messen und Fürbitten für die Armen Seelen ohnedies nur glatter Unfug und Humbug sind.

Die Masse fiel damals vielfach auf diese Demagogie herein und dachte sich auf Grund des weit verbreiteten Pamphlets: wir dürfen uns also nicht mehr von den faulen Pfaffen das Geld für Messstipendien und Stiftungen zugunsten der Verstorbenen aus der Tasche ziehen lassen, wir müssen den Pfaffen stattdessen noch ihr eigenes, ohnedies betrügerisch erworbenes Geld abnehmen: Denn für die Verstorbenen können wir nichts mehr tun, wir haben nur an die Lebenden zu denken und für sie zu sorgen.

Da war sich nun im Herbst 1529 Thomas More, als er eben Lordkanzler geworden war, in die Bresche im Kampf für die Glaubenswahrheit vom Purgatorium und publizierte seine 140 Seiten starke Gegenschrift „The Supplication of Souls“ („Bittschrift der Armen Seelen“), deren Inhalt heute wieder sehr aktuell ist.